Tübingens OB in Ungarn: Palmer allein unter Rechten
Boris Palmer tritt bei einem Orbán-treuen Thinktank in Budapest auf. Das muss er sich eigentlich nicht antun, ist aber trotzdem interessant.
Das muss man sich als Oberbürgermeister einer renommierten Universitätsstadt und ehemaliger Grüner eigentlich nicht antun. Aber Palmer reizt das offenbar. Zuerst hieß es, der Tübinger OB habe sich von einem Professor in Tübingen die Unbedenklichkeit des MCC attestieren lassen. Später gibt besagter Professor kleinlaut zu Protokoll, er habe das Collegium mit der tatsächlich renommierten Corvinus-Universität verwechselt. Nun ja, auch in Tübingen ist nicht immer der Weltgeist zu Hause.
Kein Grund für Palmer, abzusagen, wie er ein bisschen stolz am Dienstagabend in Budapest feststellt. Er mag auch nach seiner vermeintlichen Läuterung den politischen Nahkampf. Und verbindet den umstrittenen Auftritt mit dem Besuch einer ungarischen Partnerstadt Tübingens.
Obwohl, sagt Palmer, der an diesem Abend in dunklem Anzug, Krawatte und grau meliertem Vollbart einen neuen Ernst ausstrahlt: Als er vom Auftritt des Trump-Propagandisten Tucker Carlson beim MCC gelesen habe, habe er kurz gezögert. Carlson hatte bei seinem Auftritt in Budapest unwidersprochen die These vertreten, dass die USA den Anschlag auf die Nord-Stream-Pipline verübt hätten und Deutschland und Europa dies nicht wahrhaben wollen. Wenn das MCC solche Thesen unwidersprochen lasse, sagt Palmer rustikal, müssten seine Gastgeber akzeptieren „dass man sie dann für Deppen hält“.
Kritik an „der Wokeness“
Spätestens hier kommt die Frage auf, ob sich nicht nur der Professor aus Tübingen geirrt hat, sondern vielleicht auch die Gastgeber. Keineswegs, sagt Palmer. Das MCC habe ihm versichert, es sei am kontroversen Dialog interessiert. Sonst sind die Gemeinsamkeiten dann tatsächlich überschaubar.
Palmer beginnt seinen Vortrag mit der Schilderung der Geschichte eines syrischen Flüchtlings von 2015, der, vor die Wahl gestellt, in einem Krieg für ein Regime zu sterben, das er ablehnt, oder sich der Ungewissheit der Flucht auszusetzen, sich 2015 auf den Weg nach Europa macht. Der Mann heißt Ryyan Alshebl und ist im Frühjahr zum Bürgermeister der Stadt Ostelsheim gewählt worden.
Palmer sagt nüchtern: „Wenn es nach Ungarn gegangen wäre, hätte Ryyan Alshebl seinen Weg nicht nach Europa genommen und Ostelsheim vielleicht einen weniger kompetenten Bürgermeister.“ Und er schließt spitz die Frage an: „Kann es sein, dass auch an der ungarischen Flüchtlingspolitik nicht alles richtig ist?“
Nein, man kann Palmer nicht vorwerfen, dass er sich beim Orbán-freundlichen Publikum anbiedert. Ja, er sei für ein Kopftuchverbot bei Kindern, aber nein, nicht gegen den Islam. Ja, Ungarn habe das Recht, ein homogener Staat bleiben zu wollen, aber gar niemandem helfen zu wollen, wie das Orbán vertritt, das sei nicht mit den europäischen Werten vereinbar.
Ja, „die Wokeness“ sei aus seiner Sicht eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, aber deutlich gefährlicher sei der rechtsradikale Bodensatz, der jemanden wie ihm in seiner Jugend zugerufen habe, man habe seinen Vater nur vergessen zu vergasen. Und nein, die AfD ist nicht koalitionsfähig, sagt Palmer. „Mit denen ist kein Staat zu machen.“ So geht es quer durch den politischen Gemüsegarten. Der Vortrag heißt ja auch gewollt mehrdeutig: „Über die grüne Grenze“.
Vergiftete Komplimente
Gar nicht verstehen könne er, sagt Palmer, warum Ungarn dem neuen Grenzregime der EU nicht zustimmen will, obwohl der von Flüchtlingsorganisationen kritisierte Kompromiss klar in Richtung Ungarns Forderungen gehe. „Ist Ungarn wirklich mit 3.000 Geflüchteten aus einem Verteilungsmechanismus überfordert?“
Und selbst vermeintliche Komplimente lassen die Gastgeber mutmaßlich (man sieht im Stream das Publikum nur von hinten) süßsauer grinsen. Europa solle mehr um Ungarn werben, sagt Palmer. Und schiebt dann nach: „Ehe ich dem Emir von Katar oder einen saudischen Prinz die Hand reiche, dann doch lieber Viktor Orbán.“ Da müsse man die Verhältnisse wahren. Und er lässt auch die Korruptionsvorwürfe gegen den ungarischen Ministerpräsidenten nicht unerwähnt.
Palmer sagt seinen Gastgebern auch offen, dass ein Auftritt beim Mathias-Corvinus-Collegium für einen Politiker in Deutschland mit einem Reputationsverlust verbunden sei. Das kann sich also nur einer wie Palmer leisten. Aber an diesem Abend wirkt er zumindest für Unvoreingenommene, als würde er sich einem Populisten-Lackmus-Test aussetzen. Hält man den Tübinger OB mit seinen vielfachen Entgleisungen gegen ein echtes rechtes Umfeld, wird klar: Palmer ist vielleicht kein Grüner mehr, aber er verteidigt europäische Werte. Auch gegen Deppen.
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