Tucholsky-Preis für Margarete Stokowski: „Ich denke dann kurz: Ja, normal“
In ihrer Rede zur Preisverleihung spricht die Autorin über Morddrohungen und die Untätigkeit des Staates. Die taz veröffentlicht einen Auszug.
Ich freue mich sehr über diesen Preis, aus mehreren Gründen. Weil es ein Preis ist, natürlich, aber besonders weil es der Tucholsky-Preis ist – und auch, weil Kolumnenschreiben etwas ist, wofür man gar nicht so leicht Preise kriegen kann. Es gibt zwar einen Haufen Preise in Deutschland, die für literarische oder publizistische Tätigkeiten vergeben werden, aber selten für Kolumnen.
Das ist einerseits verständlich. Die meisten Journalismus-Preise werden für das vergeben, was offensichtlich sehr viel Arbeit macht: lange Recherchen, Reportagen, Porträts. Und dann gibt es Literaturpreise, die meist für Romane vergeben werden.
Nur leider ist das manchmal etwas einseitig – zumindest hatte ich in den letzten Jahren das Gefühl, wenn man Sachbücher schreibt, dann ist die Chance sehr klein, dass man mit einem linken, feministischen Buch einen Preis kriegen wird. Also, sagen wir mal, die Chance, einen Sachbuch-Preis zu kriegen, ist in Deutschland immer noch sehr viel größer, wenn man über Hitlers Hunde oder Bismarcks Garten schreibt oder Luthers … Hunde, falls er welche hatte.
Nun ist es natürlich im Grunde schon eine Ehre an sich, überhaupt eine eigene Kolumne schreiben zu dürfen, die von vielen Menschen gelesen wird. Es ist zwar oft eine eher kurze Form von Text, aber dafür auch die persönlichste.
Margarete Stokowski
Jahrgang 1986, ist Autorin und befasst sich vor allem mit feministischen Themen. Seit 2015 ist sie Kolumnistin bei „Spiegel Online“. Zuvor war sie vier Jahre taz-Kolumnistin. Sie hat zwei Bücher veröffentlicht.
Die Tatsache, dass es so eine persönliche Textform ist, die zudem meist nicht ohne Autor_innen-Foto auskommt, suggeriert, dass eine Kolumne das Werk einer einzelnen Person ist, und das stimmt zwar in gewissem Sinne, aber dann auch wieder überhaupt nicht.
Denn man bekommt so eine Kolumne nur, wenn es Leute gibt, die an einen glauben, und man hält es nur durch, sie über längere Zeit zu schreiben, wenn es Leute gibt, von denen man weiß: Die sind auf meiner Seite, egal, was ich mir da diese Woche wieder ausgedacht habe. Und von denen man zugleich weiß, dass sie Bescheid geben, wenn sie das Gefühl haben, dieses oder jenes war dann doch etwas daneben.
In diesem Sinne danke ich allen, die um mich herum darauf achten, dass ich keinen Quatsch mache, die mich unterstützen, inspirieren und kritisieren. Danke den Menschen, die meine Texte lesen und weiterverbreiten. Danke der taz, die als Erste meine Texte druckte. Und natürlich meiner Redaktion bei Spiegel Online und meinem Verlag Rowohlt. Dass sie mich machen lassen, und helfen, wenn ich Hilfe brauche.
Heute möchte ich darüber sprechen, was es für mich bedeutet, eine politische Autorin zu sein. Vor ein paar Monaten habe ich einen Reporter getroffen, der mich fragte, wie das war, als ich anfing zu schreiben: „Dachtest du, als du angefangen hast, dass du mal eine so wichtige feministische Stimme in Deutschland werden würdest?“ Und ich sagte: „Ja, klar.“ Er: „Ach, wirklich?“ – Und ich musste sehr lachen, weil: Nein, Mann, natürlich nicht. Das war ein Scherz gewesen. Ich habe bei der taz mit Theaterkritik angefangen. Ich will nicht sagen, dass das niemand liest, aber sagen wir: nicht so viele.
Man muss sich überlegen, wen man angreift
Irgendwann schrieb ich dann Kolumnen, die am Anfang aber eher eine Art Tagebuch waren und nicht sehr politisch. Aber je mehr Leute meine Texte lasen, desto stärker hatte ich das Gefühl, ich sollte diesen Platz, den man mir gibt, für relevantere Fragen verwenden, und die Texte wurden politischer.
Das ist die eine Seite: Eine Autorin zu sein, die politische Texte schreibt, bedeutet für mich Verantwortung. Eine Verantwortung, die größer wird, wenn die Reichweite der Texte größer wird. Man muss sich gut überlegen, wen man angreift. Immer nach oben, nie nach unten.
Die andere Seite ist: Eine Autorin zu sein, die politische Texte schreibt, bedeutet für mich auch, vieles von den hässlichen Seiten dieser Zeit zu sehen. Ich mache meine Arbeit sehr gerne, ich könnte mir keine bessere vorstellen. Aber ich frage mich auch: Wie gesund ist das eigentlich, einen Job zu machen, bei dem man Morddrohungen irgendwann normal findet, und bei dem man sich daran gewöhnt, dass diejenigen, die diese Drohungen schreiben, oft nicht gefunden werden?
„Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf.“ Das ist eine Aussage von Tucholsky, die gerne zitiert wird, und ich finde sie gut, aber diese Waffe haben nicht nur wir, sondern auch die anderen: diejenigen, die Hass verbreiten, die mit Gewaltandrohungen reagieren.
Sie ertragen es nicht, die Meinungen von Frauen zu hören
Wer sind diese Leute? Ich weiß es nicht. Ich kenne ihre Namen nur selten. Aber ich kenne ihre Ängste und ihre Unfähigkeit, mit Veränderung umzugehen. Veränderung in dem Sinne, dass die Stimmen vielfältiger werden, die heute hörbar sind.
Der Mann Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel waren die Pseudonyme, unter denen der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky seine Texte veröffentlichte. Er wurde 1890 in Berlin geboren, war Mitherausgeber der Wochenzeitschrift Die Weltbühne, außerdem Satiriker, Kabarettautor, Liedtexter, Lyriker und Kritiker, verstand sich selbst als linker Demokrat, Sozialist, Pazifist und Antimilitarist und warnte vor der Erstarkung der politischen Rechten – vor allem in Politik, Militär und Justiz. 1929 ging er ins Exil nach Schweden, wo er 1935 Suizid begangen hat.
Der Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik wird alle zwei Jahre vergeben. Gestiftet wurde er anlässlich des 60. Todestages Tucholskys 1995. Mit ihm sollen engagierte deutschsprachige Publizist_innen oder Journalist_innen ausgezeichnet werden, die der „kleinen Form“ wie Essay, Satire, Song, Groteske, Traktat oder Pamphlet verpflichtet sind und sich in ihren Texten auf zeitgeschichtlich-politische Vorgänge beziehen.
Die Kurt-Tucholsky-Gesellschaft verleiht den mit 5.000 Euro dotierten Preis und organisiert Deutschland- und Europaweit Tagungen zu Leben und Werk Tucholskys.
Sie ertragen es nicht. Sie ertragen nicht, die Meinungen von Frauen zu hören. Sie ertragen nicht, die Meinungen von jungen Frauen zu hören. Von Feministinnen zu hören. Von Linken zu hören. Von Migrant_innen zu hören. Von queeren Menschen zu hören. Sie ertragen es nicht, die Meinungen von Menschen zu hören, die anders sind als sie selbst.
Wenn ich Lesungen mit meinen Büchern mache, dann fragen auf fast jeder Veranstaltung Leute nach dem Thema „Hass im Netz“. Meistens ungefähr so: Was macht der Hass mit Ihnen? Oder: Was war bisher die schlimmste Drohung, die du bekommen hast? Oder: Wie halten Sie das aus?
Der Witz ist: Es ist keine besonders interessante Frage, ob und wie ich das aushalte. Ich halte es aus. Die Fragen, die mir zu diesem Thema gestellt werden, lassen eine Neugier durchscheinen, die ich bisweilen als Sensationslust beschreiben würde: Wie ist das für diese junge Frau? Geht sie daran kaputt? Macht es sie zynisch, macht es sie bitter, macht es ihr Angst?
Mit Straftaten meine ich nicht Beleidigungen
Ich kann die Neugier ein bisschen nachvollziehen, ich habe aber kein Interesse daran, sie zu befriedigen. Ich habe ein Interesse daran, zu sagen, um was für eine politische Situation es sich handelt. Denn die Fragen nach dem Hass sind meist individuell gestellt, aber das Problem mit dem Hass ist kein individuelles, und es gibt keine individuelle Lösung dafür.
Ein Teil der Lösung wäre eine bessere Verfolgung dieser Straftaten, und mit Straftaten meine ich nicht Beleidigungen. Theoretisch sind das zum Teil auch Straftaten, aber Beleidigungen sind mir egal, ich beleidige auch Leute in meinen Texten, es ist okay, wenn was zurückkommt. Mit Straftaten meine ich Bedrohungen, Einschüchterungsversuche, Aufrufe zu Gewalt.
Denn ich sehe, dass diese Worte manchmal wirken: Ich sehe Autor_innen, die sich aus sozialen Medien zurückziehen; Journalist_innen, die sich ganz genau überlegen, ob sie zu einem bestimmten Thema noch mal etwas schreiben; Kolleg_innen, die Drohungen von Nazis im Briefkasten haben, weil ihre Adressen veröffentlicht wurden. Ich sehe, wie Kolleg_innen an der Arbeit der Polizei und Staatsanwaltschaft verzweifeln. Und man muss sagen: mit Recht verzweifeln.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Man ist als politische Autorin in diesem Land heute nicht besonders gut geschützt, und das liegt unter anderem daran, dass diejenigen, die für den Schutz von Presse- und Meinungsfreiheit eigentlich zuständig wären, ihre Arbeit zum Teil nicht gut machen. Es gibt dort Leute, die sich Mühe geben, aber es gibt auch die, die komplett versagen.
Und dann hat man Arbeit, die man nicht haben sollte. Es macht eh schon Arbeit, Drohungen zu dokumentieren und anzuzeigen, auch wenn man eine sehr gute Anwältin hat – und noch viel mehr, wenn diese Sachen nicht richtig bearbeitet werden. Ich würde die Zeit, die ich darin investiere, lieber nutzen, um Texte zu schreiben, weil das meine Arbeit ist. Ich würde gern mehr daran glauben, dass diese Leute ihre Arbeit auch machen.
Manchmal fühlt es sich an wie ein schlechter Witz. Ein Beispiel. Eine Vergewaltigungsdrohung, die ich mal bekam, war sehr explizit und brutal formuliert, eine Aufzählung sexueller und gewalttätiger Fantasien. Anzeige, Verfahren, Verfahren eingestellt, Täter nicht gefunden – okay, manche können nicht gefunden werden, aber: Der Straftatbestand, den die Staatsanwaltschaft formulierte, lautete „Verbreitung pornographischer Schriften“. Ich wusste bis dahin nicht mal, dass das überhaupt etwas Strafbares ist, aber vor allem war das kein Porno.
Ein anderes Beispiel. Ich bekomme die meisten Drohungen, wenn ich über Gewalt gegen Frauen schreibe. Die Leute werden irgendwie inspiriert dadurch. In einem Text ging es darum, wie viele Frauen in Deutschland von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet werden, und jemand reagierte so: „Du rotes Stück Scheiße gehörst so verprügelt, dass du nie mehr schreiben und deinen versifften sozialistischen Scheiß verbreiten kannst. Ihr Zecken werdet bald brennen. Du Hure. Du verdammtes Stück Dreck bist bald fällig. Du Schlampe gehörst erschossen. Kriegst du nicht genug Schwänze oder was ist los?“
Der Absender dieser Nachricht wurde ermittelt – also, ich muss sagen, er wurde von mir ermittelt, weil er sich leicht googeln ließ. Die Staatsanwaltschaft sah am Ende von der Verfolgung ab und begründete das damit, dass der Täter im Ausland wohne, nicht vorbestraft sei und seine Äußerungen als „private Nachricht“ verschickte. Im Einstellungsschreiben stand: „Ein öffentliches Interesse, das die Strafverfolgung gebietet, liegt nicht vor.“ – Sicher? Ich würde gern glauben, dass es ein öffentliches Interesse daran gibt, dass Autorinnen Texte schreiben können, ohne erklärt zu kriegen, sie sollten verprügelt, erschossen und verbrannt werden. Das scheint mir nicht zu viel verlangt.
Mich irritiert vieles am juristischen Umgang mit diesen Dingen, und das liegt nicht nur daran, dass ich keine Juristin bin.
Sie halten es aus, meistens
Wegen konkreter Drohungen hatte ich mal eine Sicherheitsberatung beim LKA. Nett, einerseits, aber auch bizarr. Ich bekam da unter anderem den Tipp, abends im Dunkeln nicht allein unterwegs zu sein. Und wenn doch, eine Taschenlampe mitzunehmen. Und wenn mir etwas komisch vorkommt, die Polizei zu rufen. Ja. Mir kommt etwas komisch vor. Ich kenne ähnliche Geschichten von anderen Autor_innen. Manchen wird geraten, gar nicht mehr allein rauszugehen. Schwierig.
Taschenlampe gegen Nazis, ich fürchte, das funktioniert nicht. Das ist nicht der Antifaschismus, den ich mir vom Staat wünsche. Was funktionieren würde, wäre Abschreckung, weil Täter ermittelt und bestraft werden. Damit sich die Feinde von Presse- und Meinungsfreiheit nicht mehr so sicher fühlen können. Was funktionieren würde, wäre eine Gesellschaft, die Angriffe auf Journalist_innen ernster nimmt und nicht als etwas betrachtet, was diese eben aushalten müssen. Sie halten es ja aus, meistens.
Was funktionieren würde, wäre eine Öffentlichkeit, die „Hass im Netz“ nicht als etwas betrachtet, das frustrierte Typen am Computer im Keller ihrer Mutter verbreiten, weil sie von der Welt enttäuscht sind. Sogenannter „Hass im Netz“ bleibt nicht unbedingt im Netz. Walter Lübcke bekam auch „Hass im Netz“ ab, bevor er erschossen wurde.
Es gibt diesen Text von Kurt Tucholsky von 1922, in „Was wäre wenn, …“, er warnt darin vor politischen Morden und sieht darin ziemlich beachtlich in die Zukunft: Er stellt sich vor, dass ein Minister erschossen wird – und zwei Tage später wurde dann tatsächlich Walther Rathenau von Rechtsextremen erschossen.
„Wie war das möglich?“, schreibt er. „Das war möglich, weil die Republik vier Jahre hindurch geschlafen hatte. Das war möglich, weil man sich darauf verlassen hatte, dass ein großer Teil des Bürgertums und fast die gesamte Arbeiterschaft gut republikanisch sei – was ja auch stimmte. Aber man hatte nichts, nicht das Geringste getan, um diese Leute zu unterstützen. Warnten sie, so hatte man abgewiegelt.“
Ich möchte Morddrohungen nicht normal finden
Man wiegelt auch heute ab. Das Komische ist: Wir tun das zum Teil selbst. Ich finde sehr unangenehm, dass ich an mir selbst beobachten kann, wenn über einzelne Morddrohungen berichtet wird, wie ich dann kurz denke: Ja, normal. Ich möchte das nicht normal finden. In Wirklichkeit müsste man von jeder dieser Drohungen berichten, um zu zeigen, bei welchem Level wir inzwischen angekommen sind.
Ein Text von Tucholsky heißt „Wir Negativen“, er ist 100 Jahre und ein paar Monate alt. Darin heißt es: „Wir wollen kämpfen mit Hass aus Liebe.“ Guter Satz, finde ich. Der Text beginnt mit den Worten: „Es wird uns Mitarbeitern der Weltbühne der Vorwurf gemacht, wir sagten zu allem Nein und seien nicht positiv genug.“
Mir kommt das bekannt vor. Wenn man linke, feministische Texte schreibt, dann kennt man den Vorwurf, dass man immer nur meckert. Ja, man meckert viel. Es mag etwas negativ wirken, aber sagen wir mal so: Wenn ich nicht die Hoffnung hätte, dass sich an den Zuständen, wie sie sind, etwas ändern lässt, dann würde ich mir nicht die Mühe machen, Texte darüber zu schreiben. In diesem Sinne danke ich allen, die diese Mühen mittragen, und dazu beitragen, dass es trotz allem auch sehr viel Spaß macht.
Der Text ist die gekürzte Rede von Margarete Stokowski, die sie am 3. November 2019 hielt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin