Tote Tiere: Die deutsche Agrarpolitik hinkt hinterher
Das Ernährungssystem kann nur zukunftsfest werden, wenn weniger Fleisch gegessen wird. Zwei Nachbarländer zeigen, wie Transformation funktioniert.
W eniger Grün, mehr Wurst: Zumindest für Markus Söder scheint das das Ziel der Agrarpolitik der Regierungskoalition zu sein. Den neuen CSU-Landwirtschaftsminister Alois Rainer präsentierte er im April mit den hoffnungsfrohen Worten „Jetzt gibt’s wieder Leberkäs statt Tofutümelei.“ Entlang des Themas Ernährung wird von Politikern wie Söder ein Kulturkampf inszeniert, in dem Fleischfans ihre Freiheit gegen linksgrüne Veggies verteidigen müssten.
Der Minister selbst gab sich in seiner Regierungserklärung Mitte Mai zwar versöhnlicher. Er betonte aber, dass „mündige Bürgerinnen und Bürger“ selbst entscheiden sollten, was sie einkaufen, und dass für ihn Fleisch zu einer „ausgewogenen Ernährung“ dazugehöre – dabei ist erwiesen, dass Fleisch für die Gesundheit nicht nötig und in den heute üblichen Mengen schädlich ist. In der Tierhaltung in Deutschland sieht Alois Rainer keine Probleme – sie stehe schon jetzt für höchste Qualität.
Um den „Diskussionen um mehr Tierwohl“ zu begegnen, wolle er aber ein Förderprogramm für „Tierwohlställe“ auf den Weg bringen, „um langfristige Planungssicherheit“ zu schaffen. Die Planungssicherheit für Landwirt*innen soll zusammen mit dem Bürokratieabbau ein Kernziel seiner Politik werden. Er wolle auch der jungen Generation mehr Lust auf Landwirtschaft machen.
Diese Ziele erfordern aber ganz andere Schritte, als sie der Minister vorhat: Die Landwirtschaft kann nur zukunftsfähig werden, wenn die Tierzahlen sinken und die Ernährungsweisen sich verändern – weg von Fleisch und Milch, hin zu pflanzlichen Alternativen. Darüber, dass ein solcher Wandel für den Klimaschutz entscheidend ist, besteht in der Wissenschaft schon lange Konsens. In jüngster Zeit wird dazu immer klarer, dass die voranschreitende Klimakrise den Wandel sogar unausweichlich machen wird.

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Dürreopfer Landwirtschaft
Wetterextreme wie Dürren, Hitzewellen und Überschwemmungen treffen direkt die Landwirtschaft. Gerade die Tierhaltung beruht auf hohem Ressourceninput, verlässlichen Lieferketten und stabiler Infrastruktur und ist damit besonders krisenanfällig. In Rainers Regierungserklärung kamen das Thema Klimaschutz und Klimaanpassung in der Landwirtschaft schlicht nicht vor. Das einzige Problem, das er bei der Tierhaltung angehen will, sind die „Diskussionen um mehr Tierwohl“.
Aber seine Lösung – bis zu 1,5 Milliarden Euro pro Jahr an Steuergeldern in Errichtung und Betrieb von „Tierwohlställen“ zu stecken – kann so nicht funktionieren. Wie Videoaufnahmen der Organisation Animal Rights Watch aus genau solchen Ställen Ende Mai wieder bewiesen haben, bedeuten auch höhere Standards für Tiere Leid und Gewalt. Die neuen Ställe werden daher vorhersehbar weitere Skandale produzieren.
Wer profitiert, sind also auf Dauer weder die Tiere noch die Tierhaltungsbetriebe und damit auch nicht die junge Generation in der Landwirtschaft. Stattdessen dient die Politik den kurzfristigen Interessen der Agrar- und Tierindustriekonzerne, die ungeachtet der Folgen aktuell noch gut verdienen. Währenddessen ist die Ernährungswende in der Bevölkerung längst im Gange: Seit 2012 ist der Fleischkonsum um 13 Prozent gesunken, und Alternativen zu Tierprodukten erfreuen sich immer größerer Beliebtheit.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt derweil im Sinne von Gesundheit und Nachhaltigkeit, den durchschnittlichen Fleischkonsum um weitere zwei Drittel und den Milchkonsum um die Hälfte zu reduzieren. Denkt man all das zusammen, ist es unverantwortlich, landwirtschaftliche Betriebe über Fördergelder dazu zu motivieren, weiter in die Tierhaltung zu investieren. Damit die Landwirtschaft insgesamt zukunftsfest wird, müssen die Tierzahlen stattdessen deutlich sinken und die Ernährung sich entsprechend ändern.
Anreize schaffen
Ein wichtiger Baustein, um für die Betriebe Planungssicherheit zu schaffen, besteht also darin, diesen Wandel voranzutreiben und gerecht zu gestalten. Welche Maßnahmen die Regierung dafür ergreifen könnte – aber auch, welche Herausforderungen sich dabei stellen –, zeigt ein Blick in andere europäische Länder. In Dänemark hat die Regierung 2021 beschlossen, massiv in die Ernährungswende zu investieren. In dem kleinen Land werden pro Fläche deutlich mehr Tiere gehalten als hier.
Der Fleischkonsum liegt ebenfalls höher. Die Entscheidung, darauf politisch einzuwirken, war Teil eines umfassenden Plans zur grünen Transformation der dänischen Landwirtschaft. Dazu gehören Subventionen für den Anbau von Eiweißpflanzen und ein Aktionsplan für pflanzenbasierte Lebensmittel. Letzterer ist mit einem Fördertopf ausgestattet, der mittlerweile 135 Millionen Euro umfasst – übertragen auf Deutschland entspräche dem relativ zum Bruttoinlandsprodukt über eine Milliarde Euro.
Aus dem Topf werden Schulungen für Küchenpersonal finanziert und die Entwicklung von Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten. Klar ist: Was wir essen, hängt nicht allein von individuellen Vorlieben ab, sondern von Angeboten und Anreizen. Im Rahmen der grünen Transformation hat das dänische Parlament 2024 nach einer Einigung mit Agrarverbänden auch eine Steuer auf Treibhausgase aus der Landwirtschaft beschlossen. Mit dem Geld sollen unter anderem bis zu 15 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen renaturiert werden.
Eine solche Steuer kann, wenn sie sozial gerecht ausgestaltet ist, die Reduktion der Tierzahlen vorantreiben. Allerdings wird dieses Potenzial in Dänemark noch nicht ausgeschöpft, denn die Steuern sind niedrig und werden teilweise durch Subventionen ausgeglichen. Klare Zielvorgaben sowohl zum Abbau der Tierzahlen als auch zur Stärkung pflanzlicher Alternativen fehlen. Trotzdem zeigt das Beispiel Dänemark: Es gibt Wege, den Umbau zu einem stärker pflanzenbasierten Ernährungssystem anzustoßen.
ist hauptamtlich für den Verein „Faba Konzepte“ tätig. 2022 veröffentlichte sie ihr letztes Buch: „Anders satt“, Ventil Verlag, mit Ideen zur Transformation des Ernährungssystems.
Ein inszenierter Kulturkampf
In den Niederlanden sorgen die Güllemassen aus der Tierindustrie für dramatische Stickstoffüberschüsse in Gewässern und Naturschutzgebieten, womit das Land gegen EU-Richtlinien verstößt. Ändern lässt sich das praktisch nur, wenn die Tierhaltung drastisch abgebaut wird. Ab 2020 legte daher die damalige niederländische Regierung freiwillige Ausstiegsprogramme auf: Tierhalter*innen bekommen Entschädigungen aus Steuergeldern, wenn sie ihre Tierhaltung beenden.
Zwischenzeitlich sollte ein entsprechender Umbaufonds mit 25 Milliarden Euro bis 2035 ausgestattet werden. Allerdings wurden die Angebote zunächst nur schleppend angenommen. Zugleich brachen massive Bauernproteste gegen die Abbauziele los, mitfinanziert von der Futtermittelindustrie. Die rechtspopulistische Bauernpartei gewann in Wahlen und wurde 2024 Teil der Rechtsregierung um Geert Wilders. Diese Regierung hat die Gelder massiv reduziert und Zielfristen verlängert.
Dieses Hin und Her bedeutet für die Landwirtschaft letztlich auch keine Planungssicherheit. Und es zeigt, dass der erbitterte Protest gegen den sogar rechtlich notwendigen Wandel mindestens zum Teil ein inszenierter Kulturkampf ist, den rechtspopulistische Kräfte und Lobbygruppen der Agrarindustrie gezielt für ihre Interessen nutzen. Das ist umso frustrierender, als mit den Ausstiegsprogrammen eigentlich ein zwar teures, aber wirksames Instrument für einen gerechten Umbau der Landwirtschaft weg von der Tierhaltung vorliegt.
Zurück nach Deutschland: Hier hatte die Ampelregierung im Haushalt 2024 das „Chancenprogramm Höfe“ verankert. Es sollte gezielt Betriebe unterstützen, die von der Nutztierhaltung auf die Produktion und Verarbeitung innovativer Proteine und klimafreundlicher Lebensmittel umsteigen wollen. Die Idee war vielversprechend, die vorgesehene Summe leider mit 30 Millionen Euro winzig und die Umsetzung schleppend.
Ernährungswende selbst in die Hand genommen
Im neuen Koalitionsvertrag finden sich immerhin die Vorhaben, den Anbau von Eiweißpflanzen zu stärken sowie die Entwicklung und Markteinführung alternativer Proteine zu fördern. Letzteres klingt nach einer Lösung durch Technik: Neue Fleisch- und Milchalternativen aus pflanzlichen Rohstoffen, aber auch aus Verfahren wie Präzisionsfermentation und Zellkultur könnten mit gezielter Förderung viele Arbeitsplätze schaffen und die Ernährung nachhaltiger machen.
Zugleich ist aber entscheidend, eine vollwertige und möglichst regionale Versorgung für alle Menschen zugänglich und attraktiv zu machen. Die Loblieder von Agrarminister Rainer auf den Fleischkonsum weisen bedauerlicherweise in die umgekehrte Richtung. Um die dringend notwendige Transformation voranzutreiben, gibt es noch Hebel auf anderen Ebenen: So könnte die Europäische Kommission einen EU-Aktionsplan für pflanzenbasierte Lebensmittel nach dänischem Vorbild entwickeln.
Genau das forderte im Herbst letzten Jahres das Forum Strategischer Dialog, das Vertreter*innen von 30 Interessengruppen aus der gesamten Lebensmittelkette versammelte. Immer mehr Menschen nehmen die Ernährungswende selbst in die Hand, zum Beispiel in Initiativen für stärker pflanzenbasierte Schul- oder Universitätsmensen.
Der Ernährungsrat Kassel hat eine eigene „Kantine für Alle“ gegründet, die von der Stadt Kassel gefördert wird: Einmal die Woche kochen Ehrenamtliche ein pflanzliches Abendessen, das kostenlos ausgegeben wird. An solchen Orten der Gemeinschaftsverpflegung lassen sich Gewohnheiten verändern. Wenn die Alternativen günstig und lecker sind, kann das ganz ohne Kulturkampf funktionieren.
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