Technologieoffenheit der FDP: Warten auf unrealistische Lösungen
In den Debatten über Heizung und E-Fuels blockiert die FDP. Ihr Argument: Technik und Markt würden das Problem lösen. Experten sehen das anders.
Die Liberalen sagen von sich, sie seien das Korrektiv für Marktwirtschaft und Technologieoffenheit in der Regierung, „Blockieren hieße, dass wir ohne Bedingungen sagen, es darf nichts kommen. Das machen wir nicht“, so Köhler. „Nach dieser abwegigen Logik müsste man daher auch immer, wenn die Grünen nicht zu hundert Prozent unsere Vorschläge teilen, sagen: Die Grünen blockieren ein Gesetz.“
Der allgemeine Eindruck ist derzeit ein anderer. Demnach sagen die Liberalen zu den Plänen des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck zur Energiewende konstant Njet, verzögern oder stellen unannehmbare Forderungen. Habeck ist beim Thema Heizungsgesetz inzwischen so geladen, dass er der FDP Wortbruch vorwirft. Was ist also dran an diesen verschiedenen Sichtweisen? Hat die FDP gute fachliche Argumente, die Grünen zu bremsen?
Es begann im Februar mit dem Streit über die E-Fuels: FDP-Verkehrsminister Volker Wissing legte sein Veto gegen eine EU-Regelung ein, die die Zulassung von Verbrennerautos nach 2035 untersagte. Parteifreund Köhler steht zu dem dann gefundenen Kompromiss. Er sagt: „Wir widersprechen der Prämisse, dass E-Fuels in der Zukunft global gesehen teuer und knapp sein werden. Jeder Versuch, die Zukunft der Märkte vorherzusagen, ist in der Vergangenheit gescheitert.“
Champagner der Energiewende
Im Prinzip, so Köhler, seien E-Fuels einfach herzustellen. Er kann sich andererseits „nicht vorstellen“, wie die weltweit 1,3 Milliarden Autos rechtzeitig für die Klimaziele des Pariser Abkommens von E-Autos ersetzt werden. Auch weil unklar sei, wo der ganze grüne Strom dafür herkommen soll.
Experten halten E-Fuels für den „Champagner der Energiewende“ – Köhler sagt: „Absoluter Quatsch!“ Dagegen zeigen Kalkulationen von Agora Verkehrswende, der Bundesregierung und der EU-Kommission, dass E-Fuels bisher drei- bis fünfmal so teuer wie E-Mobilität sind und dass E-Autos fünfmal so effizient die Energie einsetzen wie E-Fuels.
Gibt es sie, würden sie für die Industrie oder den Flugverkehr gebraucht, wo es keine E-Alternativen gibt, das sagt auch offiziell das FDP-geführte Forschungsministerium. Deshalb seien diese Treibstoffe knapp und teuer, jedenfalls bis Grünstrom im Übermaß vorhanden ist.
Wasserstoff nur die Ausnahme
Die FDP vertraut da auf den Markt: Der habe es auch geschafft, durch explodierende Nachfrage die Preise durch „Skaleneffekte“ massiv zu senken – beim Solarstrom etwa sind deshalb weltweit in den letzten Jahren die Preise um 80 Prozent gesunken. Aber selbst dann, so Wasserstoffexperte Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, blieben die Treibstoffe „auf absehbare Zeit knapp und vergleichsweise teuer. Eine Wette darauf, dass es anders kommt, als die Wissenschaft berechnet, ist keine robuste Strategie.“
Ähnlich bei dem Streit fossile Heizungen im „Gebäudeenergie-Gesetz“. Für Habecks Ministerium ist die Heizung auf Basis von grünem Strom über die Wärmepumpe die Regel, nur in Ausnahmefällen sollen Holzpellets oder grüner Wasserstoff zum Tragen kommen.
Die FDP aber sieht Wasserstoff nicht als knappes Gut, „bei der großen Nachfrage in den Industrieländern und der Zahlungsbereitschaft wird das Angebot in den nächsten Jahren massiv zunehmen“, ist sich Köhler sicher. „Das ist kein Hexenwerk“, er setze darauf, dass klimaneutraler Wasserstoff „sehr günstig werden wird“. Auch hier sieht allerdings das Forschungsministerium „bereits heute effizientere Alternativen“ beim Heizen als Wasserstoff.
Emissionen verschieben
Beispiel Tempolimit: Die FDP glaubt nicht, dass sich durch langsameres Fahren der Verkehr verringern oder verlagern würde. Eine Studie des Umweltbundesamts, die deutliche CO₂-Reduktion durch das Tempolimit im Straßenverkehr errechnete, konterte die FDP-Fraktion mit einer umstrittenen „Kurzstudie“. Auch Köhler hält eine Reihe der Annahmen aus der Studie für fragwürdig. Den Verdacht eines Gefälligkeitsgutachtens wies das Amt empört zurück.
Streitpunkt Klimaschutzgesetz (KSG): Die FDP hat erreicht, dass darin die scharfen Sektorziele aufgeweicht werden, nach denen die betroffenen Ressorts wie Verkehr und Gebäude jährlich CO₂-Minderungen nachweisen müssen. Weil das CO₂-Gesamtbudget aber sinkt, müssen andere Bereiche wie Industrie oder Kraftwerke mehr einsparen, wenn etwa der Verkehr seine Ziele nicht erreicht.
Wie soll das gehen? „Es gibt diese Flexibilitäten zwischen den Sektoren“, ist sich Köhler sicher. „In den letzten beiden Jahren haben wir die Klimaziele eingehalten, weil Industrie und Energie weniger emittiert haben als geplant. Wir verschieben die Emissionen ja jetzt schon: Mehr Elektroautos und mehr elektrische Wärmepumpen bewegen die Emissionen von Verkehr und Gebäuden hin zu den Kraftwerken.“ Diese aber unterliegen dem Emissionshandel – also müssten sie laut FDP wie geplant sinken.
Allerdings: Die Verschiebung der Emissionen durch E-Autos und Wärmepumpen (und dadurch deutlich sinkende Emissionen bei Verkehr und Gebäuden) ist derzeit in der Statistik noch kaum sichtbar. Auch hier geht die FDP eine Wette darauf ein, dass die Situation in der Zukunft besser ist, als es sich derzeit abzeichnet.
Der Glaube an die Kernfusion
Am deutlichsten wird diese Begeisterung für die Technik wohl beim Beispiel Kernfusion. Zum Erstaunen vieler Fachleute erklärte FDP-Bildungsministerin Martina Stark-Watzinger Ende 2022, sie hoffe auf Strom aus der Kernfusion in einem Zeitraum von „ich sag mal zehn Jahren, es kann auch etwas länger dauern“. Das widerspricht selbst den optimistischsten Planungen der Kernfusionsfans in der EU: Eine „kommerzielle Stromproduktion“, die zu den Klimaschutzzielen beitragen könne, sei „erst nach 2050 denkbar“, heißt es von der EU-Kommission, die das Projekt unterstützt.
Köhler verteidigt seine Parteifreundin Stark-Watzinger: „Als Liberale blicken wir optimistisch auf den technologischen Fortschritt. Und als liberale Forschungsministerin blickt sie daher genau mit diesem Optimismus auf die Schaffenskraft von Menschen und Unternehmen.“ Für ihn sind die Milliardensummen, die aus der Privatwirtschaft in den letzten Jahren in Start-ups zur Fusionstechnik fließen, ein Hinweis darauf, dass an der Kernfusion etwas dran ist. Als seien nicht schon früher Milliardensummen von Wagniskapital für technologische Blütenträume verbrannt worden.
Auch beim deutschen Emissionshandel für Öl und Gas im Verkehr und in Gebäuden, der die privaten Haushalte betrifft, will die FDP schneller und härter vorangehen: Die Preise (derzeit 30 Euro pro Tonne CO₂, ansteigend bis 2027, dann Freigabe der Preise) sollten sich deutlich früher als bislang geplant am Markt bilden – was auch Klima-Ökonomen wie Ottmar Edenhofer oder Veronika Grimm fordern.
Eine Preisexplosion könne durch eine kluge Ausgestaltung des Systems verhindert werden, hofft die FDP. Aber natürlich würden die Preise perspektivisch immer weiter steigen. Die Einnahmen müssten nach dieser Vorstellung durch Rückverteilung an die Menschen zurückgegeben werden (das sogenannte Klimageld). Dessen Grundlagen sollen aber laut Finanzminister Christian Lindner frühestens 2024 vorliegen. Und die Koalitionspartner wären schon froh, wenn es zum Ende der Legislatur 2025 käme.
Hohe Heizkosten
Die FDP kümmerte das auf ihrem Parteitag im April nicht: Sie stimmte dafür, den CO₂-Preis für Heizen und Benzin schon ab 2024 über den Emissionshandel zu regeln – was politisch kaum machbar ist. Für Köhler allerdings – von dem diese Idee stammt – bedeutet das nicht, im Gegenzug alle anderen klimapolitischen Maßnahmen abzuschaffen: „Der CO₂-Preis würde vielleicht durch die Decke gehen, wenn wir alle anderen Regelungen wie Flottengrenzwerte, Gebäude-Energiegesetze oder staatliche Förderungen radikal abschaffen. Aber das will ja keiner“, sagt er.
Doch Experten warnen: Ohne staatliche Regulierung würden viele Hauseigentümer an ihrer Gasheizung festhalten und in einigen Jahren sehr hohe Heizkosten haben. Das könne der Staat dann nicht mehr ausgleichen – und müsse die Klimaziele senken, weil es sonst zu teuer werde. „Um die Wirkung der Regulierung zu ersetzen, müsste der Preis für die Tonne CO₂ nicht bei jetzt 30, sondern bei etwa 500 Euro liegen“, heißt es.
Insgesamt zeigt sich: Die FDP setzt – im Widerspruch zu den meisten der zuständigen Behörden, Thinktanks und Experten – darauf, dass große Nachfrage und Milliardeninvestitionen weltweit den grünen Wasserstoff sehr schnell ausreichend verfügbar machen.
Während die Planer etwa in Habecks Ministerium mit dem „Spatzen in der Hand“ planen und damit kämpfen, genug erneuerbare Kraftwerke zu bauen, neue Leitungen zu legen und die Wasserstoffindustrie hochzuziehen, schauen die Liberalen nach der „Taube auf dem Dach“: Sie stellen sich eine Welt vor, in der günstiger und grüner Wasserstoff im Überfluss vorhanden ist und alle Energie- und Klimaprobleme löst. Eine Welt, in der laut dem Willen von Christian Lindner „CO₂ ein knappes und handelbares Gut wird“, das man etwa zur Herstellung von E-Fuels braucht.
Kohlendioxid (CO₂) ein knappes Gut? Derzeit stößt die Welt knapp 37 Milliarden Tonnen des fossilen Klimagases aus, und Deutschland beteiligt sich mit etwa 750 Millionen Tonnen daran. Knapp sind nicht die Moleküle, sondern die Lizenzen, um die Atmosphäre zu verschmutzen. Und knapp wäre CO₂ etwa für E-Fuels, das keinen fossilen Ursprung hätte. Aber bis dahin ist es ein sehr weiter Weg, sagen Klimaökonomen, CO₂ ist für sie deshalb kein „Gut“, sondern ein „Schlecht“.
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