„Tatort“ über Flüchtlinge und Rassismus: Der Zorn der Trolle
Klare Kante gegen Rechts im TV-Heiligtum „Tatort“? Die Ausgabe vom Sonntag, „Land in dieser Zeit“, lässt die sozialen Medien braun anlaufen.
Wenn es eine Fernsehserie gibt, die in Deutschland Kultstatus hat, dann ist das ganz klar der „Tatort“. Egal, wie schlecht der Krimi in der vergangenen Woche mal wieder war – das Stammpublikum sitzt jeden Sonntag Punkt 20.15 Uhr vor dem Fernseher. Nun fühlt sich ein Teil der Zuschauer verraten, verkündet in den sozialen Medien laut ihre Wut über den „Tatort“ und die Öffentlich-Rechtlichen, sieht gar den Untergang der Kultserie eingeläutet – denn die Sendung hat es gewagt, ganz klar Haltung gegen Rechts zu beziehen.
Doch von vorne. Ein Molotowcocktail fliegt in einen Friseursalon, dabei stirbt die Auszubildende. Mit Farbe hat jemand „Kill All Nazis“ vor den Tatort gesprüht. So geht er los, der Frankfurter „Tatort“ „Land in dieser Zeit“.
Die Kollegin der Toten beschuldigt einen jungen Flüchtling, der in der Gegend Drogen verkauft. In ihrer Freizeit tanzt sie in einem bei Neonazis beliebten Club und singt deutsches „Liedgut“ in einem Chor. Dort singen auch ihre zwei Freundinnen, beide beim Verfassungsschutz bekannt als Mitglieder der „Kongruenten“ – einer an die neurechten „Identitären“ angelehnten Gruppierung.
Am Ende stellt sich heraus: Das Feuer hat das rechte Trio gelegt. Die Frauen wollten damit gezielt eine in ihren Augen nicht nach Deutschland gehörende Person diskreditieren. Währenddessen sind einige Flüchtlinge vorübergehend bei einem der Kommissare einquartiert – in ihrer Sammelunterkunft gab es einen Wasserschaden.
Die Spielarten des Rassismus
Eine junge Frau aus dieser Gruppe wird nachts von drei Männern angegriffen und brutal zusammengeschlagen. Und dann rückt auch noch die Polizei im Haus des Kommissars an, um einen der Flüchtlinge abzuführen – er habe eine falsche Identität benutzt, sei Afghane und nicht Syrer, lautet die Begründung der Beamten. Ob Afghanistan etwa ein sicheres Land sei, will die verzweifelte Hausherrin wissen. „Das habe ich nicht zu entscheiden“, lautet die bürokratische Antwort des Polizisten.
Twitter-Nutzer
Dieser Frankfurter „Tatort“ hat einige der drängenden Themen unserer Gesellschaft aufgegriffen. Es geht um Rassismus in seinen vielfältigen Spielarten – vom dumpfen Neonazi bis zum pseudointellektuellen Neurechten, der „zwar nichts gegen Ausländer“ hat, aber möchte, dass bitte alle da bleiben, wo sie „hingehören“. Es geht um wachsende Ressentiments auf allen gesellschaftlichen Ebenen und um ein Asylrecht, das Entscheidungen auf Grundlage innenpolitischer Debatten fällt statt auf den tatsächlichen Bedingungen in den Herkunftsländern.
Leider kommt der Film dabei sehr steif daher. Zu gestelzt die Dialoge, zu bemüht der Versuch, noch aus jeder Ecke einen Rassisten hervorzukramen. Dabei hat der „Tatort“ in der Sache Recht, und trifft ganz offensichtlich einen sensiblen Punkt. Nicht von ungefähr werden diejenigen, die dieser Tage vor Rassismus warnen, vor allem im Netz massiv angegangen.
Auch der „Tatort“ hat prompt seinen ganz persönlichen rechten Shitstorm abbekommen: „Wie die 68er und deren Brut mit Arroganz, Unfähigkeit und Meinungsdiktat die Kultkrimiserie der ARD zerstören“, twittert einer, „zwangsfinanzierter Gesinnungsterror, für den ihr auch noch zahlt“, ein anderer. Dazu die obligatorische Aufzählung von „Ausländerkriminalität“.
Nun könnte man sich wünschen, der Frankfurter „Tatort“ sei besser umgesetzt gewesen. Doch so oder so hat er offensichtlich einen Nerv getroffen. Sei es der Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt oder die Debatte um Racial Profiling in Köln – sofort tobt im Netz der rassistische Mob. Und er vergiftet die gesamte gesellschaftliche Debatte. Reichlich zynisch könnte man zusammenfassen: Wer den Zorn dieser Trolle auf sich zieht, hat alles richtig gemacht.
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