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Tag gegen GenitalverstümmelungBlutiges Ritual an Frauen

Weibliche Genitalverstümmelung ist in vielen afrikanischen Ländern verbreitet. In der Coronapandemie gilt das umso mehr.

Schulische Aufklärung: kenianische Mädchen schauen eine Doku über Genitalverstümmelung Foto: Fabian Weiss/laif

NAIROBI taz | Stellen Sie es sich so vor: Eine Frau mit einem Rasiermesser in ihrer Handtasche klopft an Ihre Haustür und bietet an, Ihre Tochter zu beschneiden. Selbst in Somalia, wo weltweit der höchste Prozentsatz an Mädchen und Frauen beschnitten ist, ist das äußerst ungewöhnlich. Und doch erlebte Sadia Allin es genau so. Sie ist die Leiterin der Organisation Plan International in Somalia, die sich für den Kampf gegen FGM (Female Genital Mutilation), gegen Genitalverstümmelung also, einsetzt.

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„Ich war schockiert. Die Frauen, die Beschneidungen durchführen, gehen jetzt von Tür zu Tür. Es ist hier nicht strafbar und ich konnte nur versuchen, sie zu überzeugen, dass FGM schlecht ist. Ich musste trotzdem mitansehen, wie sie danach zu den Nachbarn ging“, sagt Allin. Sie ist in der somalischen Hauptstadt Mogadischu. Das Gespräch findet per Skype statt.

In Somalia sind 98 Prozent der Frauen und Mädchen beschnitten. Jetzt hat die Coronapandemie mit ihren wirtschaftlichen Auswirkungen dazu geführt, dass viele Menschen ihr Einkommen teilweise oder ganz verloren haben. Für die Frauen, die traditio­nell im Nebenjob Beschneidungen durchführen, ist dies nun die einzige Einkommensquelle. Die Not zwingt diese Frauen, von Tür zu Tür zu gehen, um ihr Handwerk anzubieten.

In Somalia wird die brutalste Form der Genitalverstümmelung praktiziert: Die Klitoris und die äußeren Schamlippen werden abgeschnitten, die Vagina bis auf ein kleines Loch zugenäht. Das Verfahren wird häufig bei Mädchen im Alter von 5 bis 10 Jahren durchgeführt und verursacht oft lebenslange körperliche Beschwerden. Ist ein Mädchen einmal beschnitten und hatte sie ihre erste Menstruation, kann sie verheiratet werden.

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Allin weiß nur zu gut, wie schmerzhaft die Verstümmelung ist. Niemals würde sie erlauben, dass ihre beiden Töchter, die eine 5, die andere 10 Jahre alt, deren fröhliche Stimmen im Hintergrund des Gesprächs zu hören sind, diese grausame Erfahrung durchleiden. „Als ich mit 5 Jahren beschnitten wurde, war FGM völlig normal. Seitdem wurde viel darüber informiert, welche schlimmen Auswirkungen das hat. Obwohl es prozentual noch nicht weniger geworden ist, sieht man Beschneidung doch immerhin inzwischen negativer.“

Diesen bescheidenen Erfolg macht die Coronapandemie teilweise wieder zunichte. Es gibt nicht mehr genug Aktivistinnen, die von Tür zu Tür gehen und über Genitalverstümmelung und die Folgen informieren – stattdessen tun das nun die Beschneiderinnen. Und auch die Schulen, die monatelang geschlossen hatten, die öffentlichen Versammlungen, die abgesagt wurden – alles Orte, wo über die negativen Auswirkungen der Genitalverstümmelung gesprochen wird – fehlten. „Wir sehen, dass viele Mädchen seit der Wiedereröffnung der Schulen nicht zurückgekommen sind. Das deutet daraufhin, dass sie beschnitten sind. Auch hören wir von Kliniken, dass es mehr Eltern gibt, die dort ihre Mädchen beschneiden ließen“, erzählt Allin.

Somalia ist nicht das einzige Land, in dem Mädchen verstümmelt werden. FGM kommt in etwa 30 Ländern Afrikas und des Nahen Ostens vor, sporadisch auch in Asien und Lateinamerika.

Sadia Allin leitet Plan International in Somalia Foto: Plan International

Die UNO hat den 6. Februar zum Internationalen Tag gegen Genitalverstümmelung erklärt, in der Hoffnung, dass dies das Bewusstsein stärkt, ob der Abscheulichkeit dieser Praxis, und um Eltern dazu zu bewegen, ihr Verhalten diesbezüglich zu ändern. Und während es so schien, dass die Aufklärungsarbeit der vergangenen Jahre zu einem Änderung der Wahrnehmung führt, kehrt sich der Trend in der Coronapandemie um. Der UN-Bevölkerungsfonds UNFPA befürchtet, dass in den nächsten zehn Jahren rund 2 Millionen Mädchen beschnitten werden. Vor allen in afrikanischen Ländern.

In Kenia kann sehr gut beobachtet werden, wie Corona und die damit einhergehende wirtschaftliche Misere in der Bevölkerung die Genitalverstümmelung befördert. In dem ostafrikanischen Land wurde die weibliche Beschneidung 2011 verboten; sie wird aber insgeheim weiter praktiziert. Nach Regierungsangaben sind aktuell 21 Prozent der Frauen und Mädchen beschnitten. Polizei und Ak­ti­vis­t*in­nen stellen in der Coronapandemie jedoch einen Anstieg fest.

Besonders verbreitet ist FGM in Kenia bei der Kuria-Bevölkerungsgruppe im Südwesten des Landes. Im Oktober wurden dort etwa 2.800 neu beschnittene Mädchen in Dörfern und Städten durch die Straßen geführt. Traditionell wurden die meisten der Mädchen von Menschen entlang des Weges mit Geschenken überhäuft. Um Polizei und Ak­ti­vis­t*in­nen vor Ort fernzuhalten, wurden die Prozessionen von Macheten schwingenden Männern begleitet.

In Kenia sind Schulen oft Zufluchtsorte für Mädchen, die von zu Hause weglaufen, um Verstümmelung oder Kinderehen zu entkommen. Die Schulen waren jedoch in der Pandemie neun Monate geschlossen und als sie im Januar wieder öffneten, sind auch in Kenia zahlreiche Mädchen nicht zum Unterricht zurückgekehrt. „Eltern sahen ihre schlechtere wirtschaftliche Lage. Sie blicken in eine ungewisse Zukunft, weil sie Einkommensverluste aufgrund der Pandemie hatten. Also haben sie ihre Töchter beschnitten und dann sofort verheiratet“, sagt die Anti-FGM-Aktivistin Domtila Chesang.

Ke­nia­ne­r*in­nen dürfen erst ab 18 legal heiraten, aber viele Mädchen werden unter dem Gewohnheitsrecht, das keine Altersgrenze kennt, zu einer Ehe gezwungen. Oft muss die Familie des Ehemanns dabei tief in die Tasche greifen und der Familie des Mädchens einen Brautpreis zahlen, sei es in Form von Rindern, Wassertanks oder Alkohol. Das ist eine willkommene Einnahmequelle für Eltern von Mädchen, die durch Corona in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind.

Auch in Westafrika haben Aktivisten gegen FGM wenig Hoffnung. In dieser Region steht Guinea mit einer Beschneidungsquote von 97 Prozent der Frauen und Mädchen an der Spitze, obwohl FGM offiziell verboten ist. Guineas Justiz unternimmt jedoch nichts gegen traditionelle Beschneiderinnen oder gegen medizinisches Personal, das ganz öffentlich Beschneidungen durchführt.

Im Nachbarland Mali sind 87 Prozent der Mädchen und Frauen beschnitten. Dort ist FGM nicht verboten, obwohl aufeinanderfolgende Regierungen entsprechende Gesetzesvorlagen formuliert haben. Sie wurden bis jetzt nie umgesetzt – aufgrund des großen Drucks der religiösen Führer. In Mali wie auch in Guinea ist die Bevölkerung mehrheitlich muslimisch, islamischer Fundamentalismus ist in Mali politisch einflussreich. Beschneidungen geschehen allerdings nicht nur in islamischen Gemeinschaften, sondern auch in christlichen Gruppen und bei Bevölkerungsgruppen, die Naturreligio­nen anhängen.

Aufgrund der durch die Coronapandemie auferlegten Einschränkungen versuchen westafrikanische Anti-FGM-Aktivist*innen, den Kampf über soziale Medien fortzusetzen. In Mali lebt jedoch mehr als die Hälfte der Bevölkerung in ländlichen Gebieten, wo das Internet kaum zugänglich ist.

Das einzige Land, das in der Coronapandemie Fortschritte im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung gemacht hat, ist der Sudan. Dort wurde die FGM 2020 strafbar – ein Erfolg der sudanesischen Revolution, die maßgeblich von Frauen mitgetragen wurde. Aber auch dort ist fraglich, ob die Beschneidungsquote von 87 Prozent sinken wird. Das Land steckt seit Jahren in einer wirtschaftlichen Krise, die sich durch Corona verschärft hat.

Der Wunsch der Vereinten Nationen, Genitalverstümmelung bis 2030 weltweit abzuschaffen, scheint unter den gegebenen Vorzeichen jedenfalls nicht mehr realisierbar.

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10 Kommentare

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  • Ich wundere mich dass weder SISTERS, noch Lea Ackermann, noch andere Institutionen die immer lautstark die Freierbestrafung nach schwedischem Muster propagieren,weil ihnen das Wohl der Sexarbeiterinnen so am Herzen liegt, zu DIESEM Thema etwas zu sagen haben. HIER liegt eine Menschenrechtsverletzung hohen Grades vor - aber aus diesen Reihen hört mensch NICHTS. M.W.ist eine drohende Genitalverstümmelung HIERZULANDE KEIN ASYLGRUND. Das wäre doch mal lein schönes Betätigungsfeld für die Damen Breymeier, Schwarzer und Konsorten.

    • @Almuth Wessel:

      Was hat das eine mit dem anderen zu tun?



      Welchen Zweck hat dieser Kommentar?



      Oder wollten Sie einfach nur Ihren Unmut über o.g. Personen kund tun und haben dazu irgendeinen x-beliebigen Artikel mit Bezug zu Frauenrechten gesucht?

  • "Blutiges Ritual an Frauen". Das ist eine Beschönigung. Betroffen sind mehrheitlich Mädchen, teilweise schon im Alter von 4 oder 5 Jahren. Ein Teil der Mädchen stirbt an diesem Gemetzel, das traditionell ohne Narkose und Hygienevorkehrungen stattfindet.

    Es war schon immer eine Illusion zu glauben, dass FGM bekämpft werden kann, indem sie per Gesetz verboten wird. Dort wo es diese Verbote gibt, sind sie meistens nicht aus Überzeugung entstanden, sondern aus politischem Kalkül.



    In gewissen Bevölkerungen Afrikas ist FGM tief in der Kultur verankert und wird als notwenig angesehen. Die Begründungen für die Notwendigkeit variieren aber beträchtlich.



    Beschneiderinnen und Mütter sind der festen Überzeugung, das Richtige für Mädchen bzw. Töchter zu tun. Es ist nicht ihre Absicht ihnen zu schaden. Das macht die Sache so kompliziert.



    Es ist einfach sich von unserem Beobachtungsposten aus zu entsetzen, aber das hilft den betroffenen Mädchen nicht.



    Was aus europäischer Perspektive getan werden muss, ist einerseits die gefährdeten Mädchen im eigenen Land zu schützen, was die Mehrheit der europäischen Staaten nicht ernsthaft tut. Andererseits afrikanische Gruppierungen und Einzelpersonen bedingungslos unterstützen, die versuchen Überzeugungen zu verändern. Das ist der einzige Erfolg versprechende Weg, aber er wird Jahrzehnte dauern und immer wieder mit Rückschritten verbunden sein.

    Noch ein Wort an gewisse Männern: Wagen sie es niemals wieder die männliche Beschneidung mit derjenigen von Frauen zu vergleichen!



    Es versteht sich von selbst, dass Männer ein Recht auf körperliche Unversehrtheit haben, aber bevor sie sich zum Thema äussern, studieren sie: 1. die Anatomie des Vaginalbereiches und der Klitoris, 2. die Typen I, II, III, IV von FGM und was dabei abgeschnitten, ausgekratzt und zugenäht wird.

  • Nicht die Klitoris wird abgeschnitten, sondern wenn - schlimm genug, ihr äußerlich sichtbarer Teil, die Klitorisspitze. Dieser entspricht in der Empfindlichkeit beim Mann die Vorhaut. Weibliche Genitalverstümmelung folgt der männlichen und ist daher effektiv nur zusammen zu bekämpfen.

    • @Hannes Müller:

      Das ist keinesfalls so. Das Pendant zur weiblichen Genitalverstümmelung bei Männern wäre die Kastration. Die Klitoris(spitze) ist sehr sehr sehr empfindlich. Zudem werden oftmals die äußeren Lippen entfernt und der Eingang zur Vagina wird teilweise zusammengenäht. Das hat erhebliche gesundheitliche und schmerzhafte Folgen beim Wassserlassen, Geschlechtsverkehr und beim Gebären. Bitte verharmlosen Sie nicht die weibliche Genitalverstümmelung.

    • @Hannes Müller:

      "...die Klitorisspitze. Dieser (sic) entspricht in der Empfindlichkeit beim Mann die Vorhaut." Sorry, aber das ist einfach nur Unfug. Und dass sogar die äußeren Schamlippen abgeschnitten werden, wird im Artikel gesagt.



      Die Genitalverstümmelung bei Jungen ist ebenfalls unbedingt zu beenden, d´accord. Und ich hänge auch an meiner Vorhaut. Aber von Jungen stirbt nicht jeder vierte bis fünfte an der Verstümmelung. Bitte mit mehr Sachkenntnis an die Sache herangehen.

      • @HanM:

        Dass die Vorhaut eines der empfindlichsten Organe des Mannes ist, empfindlicher als die Eichel, das ist das Ergebnis der Studie:



        Sorrells ML, Snyder JL, Reiss MD, et al. Fine-touch pressure thresholds in the adult penis. BJU Int 2007;99:864-9. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17378847



        Der neuseeländische Anatom und Pathologe Ken McGrath (Senior lecturer, Auckland University) hat die Verteilung der Nervenenden in männl. und weibl. Vorhaut, Penis- und Klitoriseichel untersucht und festgestellt, dass deren höchste Konzentration sich beim Mann in der Vorhaut und bei der Frau in der Klitorisspitze befindet.

        • @Hannes Müller:

          Nichtsdestotrotz wird der Frau nicht nur die Klitorisspitze entfernt, sondern auch die gesamte Klitoris, innere und äußere Schamlippen und alles wird zugenäht, bis auf eine kleine Öffnung zum Urinieren. Das entspräche beim Mann der Entfernung des gesamten Penis.

  • "Tradition", nennt sich das. Es nennt sich auch "Kultur".

    Vielleicht wir an dieser krassen Praktik, in der sich besonders konkret und extrem systematische Frauenverachtung, -haß und patriarchale Machtverhältnisse manifestieren, deutlich, dass tatsächlich Kritik angebracht werden darf und muss, an derartiger "Kultur", ohne dass man des Rassismus bezichtigt wird.

  • Wir jammern wegen jeden Scheiss. Kämpfen für Gendersprache und anderen Unfug. Dieser Artikel ist so wichtig weil er uns zeigt was die wichtigen Probleme sind. Gewalt gegen junge Mädchen und Frauen.