Frauenrechtlerin Nawal El Saadawi: Tod einer Ikone

Die Ägypterin Nawal El Saadawi verkörperte den Kampf der arabischen Frauen für Selbstbestimmung. Jetzt ist sie im Alter von 89 Jahren gestorben.

Nawan El Saadawi schaut auf ihrer Wohnung in Kairo auf die Stadt

Für viele Frauen nicht nur in Ägypten ein Vorbild: Nawal El Saadawi 2004 in Kairo Foto: Pierre-Yves Ginet/laif

KAIRO taz | Sie war die „Umm El-Frauenrechte“, die Mutter der Frauenrechte in Ägypten. Diese Woche starb Nawal El Saadawi mit 89 Jahren in Kairo. Die prominente Frauenaktivistin hat sich über Jahrzehnte als Verteidigerin der Frauen nicht nur im eigenen Land, sondern auch international einen Namen gemacht. Es war vor allem ihr Aufschrei gegen weibliche Genitalverstümmelung und Ehrenmorde, der die studierte Ärztin bekannt machte.

In ihrem Buch „The Hidden Face of Eve“ beschrieb die in einem Dorf in der Nähe Kairos 1931 geborene ­Saadawi ihre eigene Erfahrung: als man im Alter von sechs Jahren ihre Genitalien auf einem Badezimmerboden verstümmele, während ihre Mutter zusah. Mit insgesamt 50 Sach­büchern und Romanen über ­Sexualität und Religion und Ungleichheiten im islamischen Erbrecht sorgte sie immer wieder für Kontroversen in Ägypten.

Wegen ihres Buches „Frauen und Sexualität“ verlor sie 1971 ihren Beamtenposten im Gesundheitsministerium. Zehn Jahre später ließ sie der damalige Präsident Anwar as-Sadat ins Gefängnis sperren, wie viele vor allem linke Aktivisten in Ägypten. Drei Monate später, nach der Ermordung Sadats, kam sie wieder frei. Ihre Erfahrungen im Frauengefängnis von Kairo, die sie teils mit einem Kajalstift auf Toilettenpapier niederschrieb, sind auf Deutsch unter dem Titel: „Ich spucke auf euch. Bericht einer Frau am Punkt Null“ erschienen.

In den 1990er Jahren ging Saadawi aufgrund massiver Anfeindungen, vor allem aus dem konservativen und islamistischen Lager in Ägypten, für drei Jahre ins Exil in die USA. Sie wurde immer wieder bezichtigt, sie sei dem Islam abtrünnig geworden, und erhielt Morddrohungen. Die streitbare Saadawi wurde für ihre Arbeit auch international geehrt.

Verteidigung des Al-Sisi-Regimes brachte den Bruch

In Ägypten selbst war Saadawi vor allem eine Inspiration für Generationen von Frauen, wenngleich sie in der ägyptischen Frauenbewegung selbst seit Mitte der 1990er Jahre nur noch eine marginale Rolle spielte. Die Bewegung hatte sich spätestens mit dem Aufstand gegen Diktator Husni Mubarak im Arabischen Frühling 2011 diversifiziert. Kampagnen etwa gegen die grassierenden sexuellen Belästigungen in der Öffentlichkeit oder für die Reform des Familienrechts wurden von jüngeren Aktivistinnen angeführt. El-Saadawi, die auch auf dem Tahrir-Platz mitdemonstriert hatte, verlegte sich im Wesentlichen auf Interviews in internationalen Medien.

Shady Lewis Botros

„Für viele Generationen war El Saadawi das personifizierte Image der Idee der Rebellion“

Viele der damaligen Aktivistinnen folgten ihr noch, als sie die 2012 an die Regierung gewählte Muslimbruderschaft bezichtigte, die Revolution für sich vereinnahmt zu haben. Als Saadawi dann aber begann, nach der Machtübernahme des Militärs 2013 das Regime des heutigen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi und dessen Menschenrechtsverletzungen zu verteidigen, kam es zum Bruch.

Kritik und Lob in Ägypten gegenüber Saadawi hat jetzt einer der Tahrir-Aktivisten von damals, der Autor Shady Lewis Botros, auf seiner Facebookseite versucht zusammenzufassen. Es gäbe viele Gründe, ihr gegenüber kritisch zu sein, vor allem wegen ihrer beschämenden Position in den letzten Jahren und ihrer Verteidigung des Al-Sisi-Regimes, schreibt er in seinem Nachruf.

Andererseits habe sie einer großen Zahl von Frauen nicht nur in Ägypten, sondern in der arabischen Welt insgesamt, ein neues Selbstwertgefühl gegeben und so manche Lebensentscheidungen geprägt. „Für viele Generationen war El Saadawi das personifizierte Image von Feminismus, Frauenrechten und der Idee der Rebellion, um die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft mutig herauszufordern.“

Vor ihren Nachfolgerinnen liegt viel Arbeit

Selbst am Tag ihres Todes am Sonntag wurde deutlich, wie viel Arbeit vor ihren Nachfolgerinnen liegt. Zwar wurde am gleichen Tag in Ägypten ein Gesetz erlassen, das die Strafen für weibliche Genitalverstümmelung verschärft – die ist seit 2008 offiziell verboten, bleibt aber weitverbreitet.

Gleichzeitig bezeichnete Präsident al-Sisi ein demnächst modifiziertes Familienrecht, das für einen Aufschrei gesorgt hat, als „ausgewogen“ und im „Dienste der Öffentlichkeit“.

Laut den bisher kursierenden Entwürfen soll ein Ehevertrag nicht von der Frau selbst, sondern für sie stellvertretend von einem männlichen Verwandten unterzeichnet werden, der auch das Recht hat, die Ehe wieder aufzulösen. Männliche Verwandte können der Frau verbieten, zu reisen. Eine Mutter kann nicht selbst die Geburt ihres Kindes registrieren und einen Personalausweis oder eine Pass für ihr Kind beantragen oder die Art der Schulbildung bestimmen.

„Wir haben in Ägypten Ministerinnen, die nicht das Recht hätten, ihren eigenen Ehevertrag zu unterzeichnen. Außerdem könnte ihnen ein Mann verbieten, selbst auf eine Geschäftsreise zu gehen“, kommentiert Nehad Aboul Komsan, Leiterin des Egyptian Centre for Women’s Rights (ECWR), diesen Gesetzentwurf. Er sei vollkommen unzeitgemäß in einer Zeit, in der alleinstehende Frauen über 18 Prozent der Haushalte Ägyptens führen.

In einem Interview mit dem deutschen Onlineportal Qantara hatte El Saadawi einmal darauf verwiesen, dass es im alten Ägypten Göttinnen gab: „Isis war die Göttin der Weisheit und nicht der Reproduktion! Und es gab Maat, die Göttin der Gerechtigkeit. Was dann historisch passierte, war, dass die Frauen ihrer bisherigen Stellung beraubt wurden“, erklärte sie. Jetzt ist Nawal El Saadawi tot. Ihr Kampf um Frauenrechte in Ägypten, der geht weiter.

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