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TV-Programm ohne trans MenschenVermeintliche Zwangsvertransung

Unser Autor hat circa 200 Fernsehfilme und -serien aus dem Jahr 2022 gesehen. Sein Fazit: Die meisten Geschichten kommen ohne Queers aus.

Im Biopic „Alice“ ist das Queersein nicht alles bestimmend Foto: rbb

W ährend der letzten Monate habe ich sehr viel deutsches Fernsehen geguckt. Beruflich. Ich durfte dabei helfen, das Fernsehprogramm des vergangenen Jahrs für den Grimme-Preis in der Kategorie „Fiktion“ zu sichten. Eine ambivalente Freude, einerseits liebe ich Fernsehen und gut erzählte Geschichten – andererseits ist Fernsehen oft betulich, bürgerlich und polizeiverliebt.

An die 200 Fernsehfilme und -serien aus 2022 hab ich angeschaut. Man wird dabei ein bisschen verrückt, aber man erkennt Muster. Es ist schier unglaublich, wie viele Plots einzig auf der Idee aufbauen, dass die bürgerliche, weiße, hetero Kleinfamilie aus der Margarinewerbung insgeheim total kaputt ist.

Er tötet sie, sie tötet ihn, irgendwer tötet sich selber oder zumindest den Hund. Oder es gibt ein furchtbares Geheimnis, eine große Schuld, schleichenden Wahnsinn, Eifersucht, Gewalt, Trauma, gestörte Kindheiten, natürlich alles in schönen Häusern am Stadtrand. Die Variation besteht oft nur noch in der Frage, ob die Kleinfamilie am Ende kaputt bleibt (Drama, Krimi) oder sich zusammenrauft (Melodrama, Komödie).

Klar, dass diese Geschichten meistens ohne Queers auskommen. Ich zähle in meiner Auswahl zirka zehn Filme oder Serien mit L,G,B und T als Hauptfiguren. Dann noch mal so viele, wo queere Figuren immerhin wichtige Rollen im Ensemble spielen (zum Beispiel bei „Babylon Berlin“). Dann hie und da eine Lesbe, die ein- zweimal durchs Bild läuft. Das ist #besseralsnix und sowieso #besseralsfrüher. Und ich muss loben, dass bei den meisten queeren Hauptfiguren das Queersein wichtig, aber nicht alles bestimmend war. In den „Tatort“-Filmen„Das Opfer“ und „Schattenleben“ etwa, oder im Biopic „Alice“.

Zehn Prozent sind nicht viel

Fortschritt also. Und doch: Zehn Prozent sind nicht viel, wenn man bedenkt, dass neunundneunzig Prozent des Publikums queere Geschichten dringend brauchen – weil sie selber LGBT sind, oder Verwandte, Freund*innen, Vorgesetzte …

Schmunzeln muss ich außerdem, wenn Konservative schreiben, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen „Exekutivorgan“ der „Trans­lobby“ sei (Cicero). Eine einzige trans/nonbinäre Hauptfigur hat es dieses Jahr ins Fernsehen geschafft: in der ZDF-Serie „Becoming Charlie“. Bei „Notruf Hafenkante“ trat außerdem in einer Folge ein trans Mann auf, und natürlich darf die wunderbare Zazie de Paris in jedem Frankfurt-„Tatort“ drei Sätze sagen. Alles weit entfernt von unverhältnismäßiger Trans-Repräsentation. Das Herbeifantasieren einer öffentlich-rechtlichen Zwangsvertransung ist eine typische reaktionäre Überkompensation, wenn plötzlich nicht mehr alles Queere als krank und problematisch dargestellt wird.

Witzig oder? Dass wir so gern Familien dabei zugucken, wie sie sich gegenseitig umbringen, traumatisieren und in den Wahnsinn treiben. Aber echter Horror ist, wenn sie trans und zufrieden sind.

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Peter Weissenburger
Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Medien.
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22 Kommentare

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  • Ist das Fernsehen wirklich so wichtig?Da sitzt maus ja nur vor und schaut anderen dabei zu, die als Schauspieler das aufführen, wie andere sich das Leben vorstellen, was möglichst viele TV Zombies wohl sehen wollen..

  • Mal ganz ehrlich taz. Quote hin, Quote her. "Der Cicero hat Zwangsvertransung gesagt, die BILD hat Asyltourismus gesagt, CDU Regionalpolitiker will Vornamen wissen, auf Twitter wird gegen xy gehetzt."

    Warum muss man hier permanent zum Thema machen, was für alle ganz offensichtlich plumpes Geplärre vom rechten Stammtisch ist? Ich mein, ihr wisst das, der absolute Großteil eurer Leser weiß das.







    Das ist doch genau der Mist, der Populismusopfern als tägliches Aufregerthema vorgestzt wird. Kann man das nicht mal in der dreckigen Ecke stehen lassen, wo das auch hingehört?

  • Noch mal für alle Statistiker: Wenn es z.B. 5% queere Menschen gibt. Dann haben die schon mal p.P. zwei Eltern. Vielleicht noch 4 lebende Großeltern. Meistens Onkel und Tanten, daher Cousins und Cousinen. Vielfach 1 bis 2 Geschwister, daher Neffen, Nichten, schließlich eigene oder Patenkinder. Sie haben KolldgInnen, Vorgesetzte, MitarbeiterInnen. Fans vielleicht auch. Alle die freuen sich wenn die 5% Person ihres nshen Umfelds vor kommt, z.B. mal als erfolgreicher Mensch und nicht abonniert auf Paradiesvogelrollen. Allen diesen Menschen werden auch tagtäglich kleine Pfeilspitzen versetzt aus dem Lager derer, die sich für 95% halten. Und die habe ich z.B. ziemlich über.

    • @Maria Burger:

      Danke! Genau so ist es. Die Verbreitung der Mär, dass Repräsentation, Anerkennung, Gleichstellung und rechtlicher Schutz einer Minderheit ja nur sehr wenigen nützen würde, ist nichts als eine Strategie der Marginalisierung.



      Die Mär beruht zudem auf der falschen (und für manche auch äußerst bequemen) Vorstellung, dass Menschen, die benachteiligt werden, ja ein spezielles Problem hätten. Nein, es ist die Gesellschaft, welche bestimmte Gruppen benachteiligt, die ein Problem hat - und zwar ein generelles, das jeden betreffen kann.

  • Wenn queere Menschen ihrem Anteil an der Bevölerung entsprechend in TV-Filmen/-Serien repräsentiert sein sollen, wie steht's denn dann mit Menschen mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung? Sieht man wohl eher weniger, oder? Ich schaue kein TV, vermute aber mal, dass diese Gtuppe auch nicht gerade üppig vertreten ist.

  • Ich möchte zu bedenken geben, dass es doch auch Themen gibt, über die man einen Film oder eine Serie machen kann, für die die sexuelle Orientierung der Beteiligten keine Rolle spielt. Diese Quotendiskussion unterstellt, dass in fast jedem Kontext und beinahe jeder Situation die sexuelle Orientierung handlungsbestimmend ist oder zumindest sichtbar wird. Das sehe ich kritisch und treibt nur die Sexualisierung der Gesellschaft immer noch weiter. Es gibt doch wohl genügend wichtige Inhalte, die unabhängig von sexueller Orientierung und Identität von Bedeutung sind.

    • @Fünfpluseins:

      Fühlen Sie sich also schon sexualisiert, wenn ihr Kollege von seinem Ehemann erzählt? Wenn es so ist, dann kann ich Sie beruhigen: Dann wurden Sie nämlich auch früher schon immer laufend sexualisiert, zum Beispiel von ihren Kolleginnen, die von ihren Ehemännern erzählten. Sie haben es bloß nicht bemerkt (und bemerken es vielleicht immer noch nicht).



      Also: Nichts hat sich geändert, nichts nimmt irgendwie gesellschaftlich zu. Das einzige, was sich ändert, ist, dass Menschen, die immer auch schon mit da waren, aber unsichtbar gemacht wurden, jetzt sichtbar werden.

    • @Fünfpluseins:

      Natürlich geht es nicht immer um Sex. Aber eine Orientierung ist fast immer irgendwo sichtbar - immer dann, wenn ein Partner oder eine Partnerin auftaucht oder erwähnt wird, gegenwärtig oder verflossen, oder auch nur ein Jugendschwarm. Nach dem Bankraub fliegt die Freundin des Helden wider Willen diesem in die Arme, der gerettete Schiffbrüchige sucht seine Verlobte wieder auf, oder Politiker, Banker, sonstige Angestellte geben zu Beginn des Filmes der besseren Hälfte ein Abschiedsküsschen, bevor das Drama losgeht. Die oben erwähnten verstörten Familien bestehen zumeist aus Vater, Mutter und 1-x Kindern, letztere (sofern im passenden Alter) gelegentlich mit Partnern, üblicherweise vom "anderen" Geschlecht.



      Heteronormative Darstellung ist immer noch die Regel. Ich selbst habe erst mit Mitte 20 begriffen, dass ich lesbisch bin, weil ich vorher NIE irgendwo gesehen hatte, dass es abseits von Mann+Frau noch andere Kombinationsmöglichkeiten gibt. Die Zeit vor dieser Entdeckung hat mich unglücklich gemacht und in Depressionen gestürzt, aus denen ich mich immer noch nicht ganz befreien konnte - und möglicherweise nie werde.



      Nicht-binären Menschen dürfte es nicht besser gehen - aber es geht langsam aufwärts. Erkenntnisse wie aus dieser Kolumne tragen ihren Teil dazu bei.

  • Ich lasse mich vom TV gerne zwangsvertransen und -verpocen, weil dort eine gesellschaftliche Utopie inszeniert wird, die teile. Nämlich dass Cis, Trans und Poc nicht nebeneinander, sondern miteinander leben, reden, interagieren. Das sie gemeinsame Ziele verfolgen, z. B. "diesen Mord" aufzuklären. Zwanglos konstituiert sich so eine diverse Mittelschicht. Der nächste Schritt zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft besteht nämlich nicht - wie ständig behauptet wird - in einer Stärkung der verschiedenen "Communities", sondern in der Auflösung.

    • @Running Man:

      Sorry, hier die Korrektur der Autokorrektur: (1) "Dass sie gemeinsame Ziele verfolgen ...". (2) "... sondern in deren Auflösung".

  • Schauen Sie das Dschungelcamp.



    Das ist erfreulich queer. (Schon lange)

    • @KeineHeldin:

      Ist nur ein Frage, ob eine Teilnahme am Dschungelcamp wirklich eine Akzeptanz fördert (so noch nötig).



      Oder ob es eher so ist, dass sich damit eher die Meinung verfestigt, dass queer lesbare (!) Personen halt in einem Camp-Spektakel vorkommen, aber eher nicht in der realen Welt.

    • @KeineHeldin:

      Und der mehr oder weniger geneigte Zuschauer lernt dort auch, dass man Insekten essen kann, ohne daran zu sterben!



      (Fortschritt, wo man nie welchen vermutet hätte!)

  • Wenn man sich die Zahlen aus aktuellen Zensus anschaut (etwa England/Wales) dann sind 10% queere Personen im TV ein Grund zufrieden zu sein. In der Gesamtbevölkerung sind das deutlich weniger.

    3,2% LGB+



    0,5% Trans oder NB

    Selbst wenn man da noch das ein oder andere Prozent dazurechnet, weil man beim Zensus ihre Identität nicht angeben wollen, ist man weit von 10% entfernt.

    • @gyakusou:

      Letzt Aussage ist völlig falsch, da nur 89,4% angegeben haben, dass sie heterosexuell sind bzw. nur 94,0% dass sie cisgender sind.

      Aber selbst wenn man nur nach den tatsächlichen Antworten von einem LGBT-Anteil von 5% ausgeht, sind diese immer noch unterrepräsentiert, da 5% aller dargestellten Charaktere queer sein müssten.

      Wenn man z.B. davon ausgeht, dass bei durchschnittlich vier Figuren die sexuelle oder geschlechtliche Identität gezeigt wird (z.B. durch einen Partner/Partnerin) wären es schon über 18.5% der Serien, die einen queeren Charakter beinhalten müssten (1 - 0.95^4)

      Davon sind die 10% tatsächlich ziemlich weit drunter und die meisten Filme/Serien und die tatsächliche Anzahl an gezeigten cis hetero Figuren wird erheblich höher sein.

    • @gyakusou:

      Es sind nicht 10% der dargestellten Personen, sondern nur in 10% der Sendungen überhaupt queere Personen vorhanden. Soweit ich das mitbekommen habe, gibt es in 100% der Realität queere Personen. Insofern können wir von einer realistischen Repräsentation erst sprechen, wenn in allen Filmen und Serien mindestens 3-5% der Rollen (nach Ihrer Rechnung) queer sind.

    • @gyakusou:

      Mit der Statistik gibts nur ein Problem. Es ist nirgendwo von 10% Queers die Rede. Es sind gut 10% der Filme in den überhaupt ein Queer vorkommt. Dabei müsste rechnerisch in jedem Film an dem mehr als 25 Schauspieler beteiligt sind, einer queer sein (gerne auch als Kurzzeitrolle). ..und schon kann ich den Autor hier verstehen.

      • @TV:

        Es sind gut 10% der Filme in den überhaupt ein Queer vorkommt.

        Das stimmt nicht. Der Artikel zählt nur Filme mit Queers in Haupt- und wichtigen Nebenrollen - wobei "wichtig" schon sehr subjektiv ist. Filme und Serien in denen gar keine Nichtheteros vorkommen, habe ich schon lange nicht mehr gesehen.

  • Zehn Prozent sind nicht viel, .....



    Ich würde sagen, damit sind queere Menschen im Fernsehen klar überrepräsentiert - im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung. Finde ich persönlich völlig in Ordnung, verstehe aber nicht, warum man daraus ein mediales Dauerdrama macht.

    • @Jörg Schulz:

      Naja, wenn man bedenkt, dass die längste Zeit die übergroße Mehrheit der Hauptfiguren (denn nur um diese ging es bei dieser Statistik: Filme mit Hauptfiguren mit bestimmten Eigenschaften) cis-männlich und hetero war, obwohl männliche hetero-Menschen statistisch allerhöchstens die Hälfte (grob gerundet) der Weltbevölkerung ausmachen, sind die 10% eher noch dem Nachholbedarf geschuldet.



      Mir fehlen jetzt noch Zahlen zu Filmen mit weiblichen Hauptfiguren aus den genannten 200 Filmen, wie sieht es da eigentlich aus?

      • @Tetra Mint:

        Seit mindestens 20 Jahren sind starke Frauen in Filmen und Serien nicht die Ausnahme, sondern die Regel - als gute und böse Heldinnen, als Hauptrolle und interessant gezeichnete Nebenrolle.



        Und Filme oder Serien, in denen nicht mindestens ein Schwuler mitspielt kenne ich seit langem nicht mehr.