TV-Duell Merkel gegen Schulz: Sie gegen ihn

Kanzlerin Angela Merkel trifft auf Herausforderer Martin Schulz. Wer macht die bessere Figur?

Martin Schulz und Angela Merkel stehen sich gegenüber und unterhalten sich

Er sagt, sie sagt Foto: dpa

Humor

Mutterwitz nennt man das wohl, was Angela Merkel, 63, humorseitig anzubieten hat: eine Mischung aus schneller Auffassungsgabe und angeborenem Sinn für Situationskomik. Selbst ihre Reaktion auf Donald Trumps Verweigern des Handshakes bei der ersten Begegnung der beiden in Washington gehört in diese Kategorie. Als sie ihn leise fragt, ob er für die versammelten Fotografen ein Handschlagfoto machen wolle, stellt der sich taub. Merkel hätte brüskiert sein können. Stattdessen zog sie die Schultern hoch, bildete die Merkel-Raute und grinste in Richtung Pressekorps. Will heißen: Ihr wisst ja, wie er ist, der Donald. Im Übrigen fällt schlechtes Benehmen stets auf den Verursacher zurück. Beim TV-Duell wird nicht viel Raum für Merkel’schen Humor sein. Womöglich läuft es wieder wie bei Trump: Einfach lustig blinzeln. Macht macht großzügig.

★★★★☆

Der Martin kann eine Nonne aus dem Kloster quatschen, sagen sie in der SPD gerne. In der Tat ist Martin Schulz, 61, aufgewachsen in Würselen, ein typischer Rheinländer. Jovial, nahbar, humorvoll. Vor Schulz’ Witzchen ist keiner sicher, nicht mal er selbst.

Ein Montag im Juli, Schulz auf Tour, Stippvisite in einem Technologiezentrum für bayerische Toptüftler. Ein Start-up-Unternehmer führt Schulz einen Fahrsimulator vor einem riesigen Bildschirm vor. Schulz fragt ihn: „Können Sie auch virtuelle Wahlsiege?“ Seine SPD lag damals schon weit abgeschlagen hinter Merkels CDU. Schulz bereitet sich seit Wochen akribisch auf das TV-Duell am Sonntag vor, trainiert mit einem Coach. Doch das, was in dem penibel durchgeplanten Fernsehauftritt am sympathischsten rüberkäme, wäre Lockerheit. Ein bisschen von der Schulz-Schnauze, die den Leuten das Gefühl gibt, er sei ein guter Typ von nebenan. Eine Frage ist deshalb, ob Schulz in der Stress­situa­tion schlagfertig bleibt, oder ob er zum Sprechroboter mutiert.

★★★★★

Strategie

Derzeit spricht Angela Merkel viel über Innenpolitik. Dieselskandal, Breitbandausbau, ­Bildungspolitik – auf keine Frage zu einem der Brot-und-Butter-Themen wird sie im TV-­Duell eine Antwort schuldig bleiben. Richtig auf blüht sie aber erst bei der Außenpolitik, bei Globalisierungsfragen und Entwicklungspolitik. Ihren jeweiligen Außenministern hat sie fachlich stets Konkurrenz gemacht. Ob Steinmeier, Westerwelle oder aktuell Gabriel – jeder hatte eine besser vernetzte und im Zweifel die Richtlinienkompetenz innehabende Kanzlerin dicht an der Seite. Weil die Probleme mit Trump, Putin, Brexit eher mehr als weniger geworden sind, trauen die Wähler Merkel da sehr viel zu. Eine Weltpolitikerin, die lieber zum tausendsten Mal mit Putin telefoniert, als anzugreifen – fühlt sich gut an und macht wenig Lust auf den Anfänger Schulz.

★★★★★

Schulz steht ein Balanceakt bevor. Merkels unprätentiöse Art wirkt sympathisch, viele Deutsche mögen die Kanzlerin. Geht Schulz sie zu aggressiv an, dann wirkt er wie ein verbiesterte Beißer, der sich an einer cool lächelnden Frau abarbeitet. Aber als Herausforderer muss er auch attackieren und Schwachstellen offenlegen. Der Erfolg von Schulz hängt also davon ab, dass er seine Angriffslust am Sonntag fein dosiert. Für besonders chancenreich halten Sozialdemokraten die Innenpolitik, weil sie mit dem Alltag der Menschen am meisten zu tun hat. Schulz will zum Beispiel bei der Bildung und der Rente punkten. Sein Vorteil: Die SPD hat hierzu ausgefeilte Pläne vorgelegt, während die CDU lieber auf lästige Details verzichtet. Sein Nachteil: Schulz muss das Duell unbedingt gewinnen, und zwar eindeutig. Nur dann bekäme der Wahlkampf vielleicht noch mal neuen Schwung. Für die umfrageverwöhnte Merkel wäre dagegen schon ein Unentschieden ein Sieg.

★★☆☆☆

TV-Tauglicheit

Optisch sind sich Angela Merkel und Martin Schulz gar nicht so unähnlich. Wie der SPD-Mann ist Merkel mittelalt, mittelgroß und mittelgewichtig. Aber anders als er ist sie nur so mittelmitreißend. Die offene Bühne ist nicht ihre Welt, man sieht es an ihrem zögerlichen Blick und den noch höher als sonst gezogenen Schultern. Körpersprachlich wirkt sie anfangs bei Fernsehaufzeichnungen wie eine gute Schülerin, die nicht so recht weiß, warum ausgerechnet sie ins Direktorat gerufen wurde. Schulz ist da von anderem Kaliber. Irgendwann aber fügt sich Merkel in die Situation und schafft es, die Kameras zu ignorieren. Ihre Schachtelsätze bleiben aber gewöhnungsbedürftig und bieten viel Raum für Kreml-Astrologie.

★★☆☆☆

Ein kleiner älterer Mann mit Haarkranz und O-Beinen. Ginge es um Optik und Schönheit, könnte Schulz einpacken. Aber darum geht es nicht – sondern um: glaubhaft, sympathisch, hat Ahnung. Schulz’ großes Plus ist: Er kann so über die Wähler reden, dass das TV-Publikum fühlt: Mit dem kann man einen Abend in der Kneipe verbringen, ohne dass er dauernd auf die Uhr schaut. Das können nicht viele aus dem Raumschiff Politik. Schulz ist ausreichend schlagfertig, allerdings auch leicht biestig. Malus: Er neigt dazu, bei Innenpolitik – für den Europapolitiker noch immer kein Heimspiel – en detail zu beweisen, dass er ganz viel weiß. Dann werden die Sätze unübersichtlich. Interessant: Die Geschlechtsstereotype passen nicht. Schulz ist emotional, Merkel eher tonlos kühl.

★★★★☆

40 Jahre Deutscher Herbst: Am 5. September 1977 entführten RAF-Terroristen Hanns Martin Schleyer, um ihre Führungsspitze freizupressen, die in Stammheim inhaftiert war. 91 Geiseln kamen hinzu, als die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführt wurde. Die Bundesregierung zeigte sich unbeugsam, Schleyer wurde ermordet, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nahmen sich das Leben. Zeitzeugen und Nachgeborene rechnen mit der RAF ab – auf 14 Seiten. Am Samstag am Kiosk, im eKiosk oder im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Überzeugungen

Die Überzeugungen von Angela Merkel sind leicht auszumachen: immer dort, wo sie aktuell die Mehrheit verortet. Atomausstieg, Flüchtlingspolitik, Ehe für alle, Mindestlohn – ihr politischer Pragmatismus ist legendär. Ihren Kritikern dient er als Beweis der Gewissenlosigkeit, ihre Fans nennen ihn Realpolitik. Sie selbst sagt dazu christlich-sozial. Das macht sie angreifbar. Einer Partei, deren Chefin heute die Grenzen für Flüchtlinge öffnet und morgen Waffenexporte gutheißt, gibt man lieber nicht die Stimme. Einer Chefin, die die Leitkultur im Wahlprogramm abnickt, aber die Ehe für alle durchwinkt, folgt man nicht mehr bedingungslos. In der Krise, man hat es bei ihrem Zoff mit Horst Seehofer beobachtet, gehen ihr deshalb selbst sicher geglaubte Verbündete von der Fahne.

★★★☆☆

Nicht so einfach. Schulz gehört nicht zum rechten Flügel wie Olaf Scholz, aber ist viel zu viel Seeheimer, um als links zu gelten. Er ist für ein bisschen mehr Gerechtigkeit, findet staatliche Eingriffe akzeptabel und ist kein Neoliberaler. Zur SPD kam er aus dem gewöhnlichsten aller Gründe: Willy Brandt. Schulz kann sehr überzeugend und unwirsch gegen Autokraten wie Berlusconi oder Erdoğan vom Leder ziehen und mit heiligem Zorn gegen Rechtsex­treme. Kerne seiner Überzeugungen sind, wenn gerade kein Bundestagswahlkampf ist: Demokratie, Rechtsstaat, europäische Einigung. Manches klingt dabei wie ein Best of Bundeszentrale für politische Bildung. In manchem ist er fast so mittig wie seine Konkurrentin.

★★★☆☆

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