Reaktionen auf das Fernsehduell: Keine Dynamik für Veränderung
Im TV-Duell zwischen Merkel und Schulz fehlten wichtige Fragen, bemängeln Zuschauer. Die wirklichen Gewinner seien die Rechtspopulisten, meint Linken-Chefin Kipping.
Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter hält die Absage von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an die Rente mit 70 für unglaubwürdig. „Weil nämlich starke Kräfte innerhalb der Union da ganz anderer Meinung sind und die Leute dazu bringen wollen, bis 70 zu arbeiten“, sagte er am Montag im ARD-Morgenmagazin. Hofreiter sprach sich für eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters aus. Merkel hatte im TV-Duell mit Herausforderer Martin Schulz (SPD) eine Anhebung des Renteneintrittsalters von derzeit 67 auf 70 Jahre vehement ausgeschlossen.
Hofreiter warf der Kanzlerin zudem vor, in der Debatte wichtige Themen nicht angesprochen zu haben. „Sie hätte etwas sagen müssen, wie sie eines der größten Menschheitsprobleme lösen will, nämlich die Klimaschutzfrage“, sagte der Grüne. Zudem hätte sie erklären müssen, wie sie insbesondere die Autoindustrie modernisieren wolle. Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hätte im TV-Duell mehr über solche Themen sprechen müssen.
Rechte Parteien profitieren
Aus Sicht der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping profitieren vor allem rechte Parteien vom Fernsehduell. „Die wirklichen Gewinner waren die Rechtspopulisten und die Kapitalseite“, sagte Kipping im ARD-Morgenmagazin. „Themen, von denen ich weiß, aus dem direkten Gespräch mit Menschen, die wirklich die Leute umtreiben, sind so gut wie gar nicht vorgekommen.“ Dazu gehöre etwa der Personalmangel sowie der Stress in der Pflege. Über Flüchtlinge sei zudem immer nur als Problem gesprochen worden. „Und auch wichtige Zukunftsthemen wie Bildung oder Klimaschutz kamen nicht vor und das ist wirklich enttäuschend“, kritisierte Kipping.
Unionsfraktionschef Volker Kauder sieht die Bundestagswahl trotz guter Umfragewerte für Kanzlerin Angela Merkel nach dem TV-Duell mit ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz nicht entschieden. CDU und CSU gingen nun mit großer Zuversicht in den Schlussspurt des Wahlkampfs, sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er mahnte aber: „Wir wissen aber auch: Die Wahl wird nicht in einem TV-Duell entschieden.“
Er bezeichnet das Fernseh-Duell als fair. „Demokraten müssen streiten, sie dürfen sich aber nicht herabwürdigen. (…) Das TV-Duell war insofern durchaus vorbildlich.“ Kauder selbst sagte aber, es sei deutlich geworden, „dass Herr Schulz Angela Merkel in dieser schwierigen Weltlage nicht das Wasser reichen kann“.
Es sei wichtig, dass die Politiker in den nächsten drei Wochen viele Wähler direkt ansprächen. „Gemeinsam müssen wir alle im Land darauf achten, dass die demokratische Kultur in Deutschland erhalten bleibt“, sagte Kauder. Leider stelle sich eine Partei, die den erstmaligen Einzug in den Bundestag anstrebe, gegen die demokratische Kultur und trete sie mit „unerträglichen Provokationen mit Füßen“, sagte Kauder, ohne die Alternative für Deutschland zu nennen.
Fragen, die fehlen
Bundesjustizminister Heiko Maas glaubt, dass der Auftritt von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im TV-Duell den Sozialdemokraten Mut für den Wahlkampf-Endspurt macht. „Martin Schulz und der gesamten SPD wird das Duell Rückenwind geben“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Schulz sei überzeugend, souverän und leidenschaftlich gewesen.
Maas betonte, die Menschen hätten im Alltag ein feines Gespür dafür, wer konkrete Ideen für die Zukunft habe. „Sie konnten sich ein Bild davon machen, dass Martin Schulz klare Vorschlägen für eine gute und sichere Rente hat.“ Ein schlichtes „Weiter so“ der Kanzlerin reiche nicht. Die Sozialdemokraten würden die soziale Gerechtigkeit in den verbleibenden drei Wochen in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellen. „Die SPD ist so geschlossen wie nie“, sagte Maas.
Flüchtlinge, Rente, Diesel, der Konflikt mit der Türkei: Die Themenauswahl hat nicht jeden überzeugt. Unter dem Hashtag #fragendiefehlen schrieben Menschen auf Twitter am Sonntagabend, was sie die Kontrahenten stattdessen gefragt hätten. Viele vermissten zum Beispiel Fragen zu sozialer Gerechtigkeit oder Digitalisierung.
Eine Nutzerin fragte in Richtung Martin Schulz: „Wann wird Bildung in Deutschland wieder unabhängig vom sozialen Status?“ An die Kanzlerin gerichtet fragte ein anderer: „Frau Merkel, in ihrer Regierungszeit ist die Ungleichheit immer größer geworden. Wie ändern sie das?“
Inklusion, Video-Überwachung, Klima und Tierschutz waren einige der weiteren Themen, zu denen Fragen formuliert wurden. Zeitweise war der Hashtag einer der meistgenutzten im Zusammenhang mit dem TV-Duell.
Erdoğan ist unglücklich
Die türkische Führung hat Angela Merkel und Martin Schulz Populismus im Umgang mit den EU-Türkei-Beitrittsgesprächen vorgeworfen. „Wir hoffen, dass diese problematische Atmosphäre enden wird, die die türkisch-deutschen Beziehungen zum Opfer eines engen politischen Horizonts gemacht hat“, twitterte der Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, İbrahim Kalın, am Montag. Er fügte hinzu, dass er auf verbesserte Beziehungen zu Deutschland hoffe.
Das Verhalten der Türkei lasse keine andere Wahl als die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden, obwohl er sich lange dafür ausgesprochen habe, hatte SPD-Chef Schulz beim TV-Duell gesagt. „Die Türkei entfernt sich in einem atemberaubenden Tempo von allen demokratischen Gepflogenheiten“, betonte Merkel. „Wir sind einig: keine Vorbeitrittshilfen. Und die Tatsache, dass die Türkei nicht Mitglied der EU werden soll, das ist auch klar“, fügte die Kanzlerin hinzu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus