Studie über Gewalt gegen die Polizei: Entscheidend ist das Wie
Der Bundesinnenminister will Gewalt gegen PolizeibeamtInnen untersuchen lassen. Ob das Sinn macht, ist unter ExpertInnen umstritten.
Beim Racial Profiling mangelt es laut ExpertInnen an Zahlen – aber ist das auch bei Gewalt gegen PolizistInnen der Fall?
„Es gibt durchaus Bedarf an einer solchen Studie, aber sie müsste völlig unabhängig sein“, sagt der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes dazu. Gewalt sei immer eine Frage der Interaktion, deshalb müsse auch die Person und das Agieren der PolizistInnen berücksichtigt werden. Genau das habe die größte Studie, die es hierzulande zum Thema bislang gibt, wegen des Drucks aus Polizeigewerkschaften und Innenministerien nicht getan.
Die Studie, die Feltes meint, hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) 2010 durchgeführt und dabei gut 20.000 PolizistInnen in zehn Bundesländern befragt. 82 Prozent von ihnen gaben an, im vergangenen Jahr im Dienst beleidigt oder bedroht worden zu sein, rund 27 Prozent wurden geschlagen oder getreten. Jeder 50. Polizist wurde mit einer Schusswaffe bedroht. Laut Studie werden PolizistInnen häufig Ziel von Angriffen, wenn sie bei Ruhestörungen oder Rüpeleien im öffentlichen Raum oder bei Familienstreitigkeiten und häuslicher Gewalt eingreifen.
Fragen gestrichen
Ursprünglich wollten die ForscherInnen deutlich mehr Fragen auch zur Persönlichkeit der BeamtInnen, ihrer Erziehung und eigener Opfererfahrung stellen, räumt Dirk Baier ein. Der heutige Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention in Zürich war damals an der KFN-Studie beteiligt. „Nach Kritik insbesondere von der Deutschen Polizeigewerkschaft haben wir den Fragenkatalog gekürzt.“ Das Bundesinnenministerium und einige Länder hätten sich trotzdem nicht beteiligt.
Zwei Jahre später aber habe das Team bei einer kleineren Untersuchung in Niedersachsen zumindest einige der Fragen aufnehmen können. Demnach habe die Persönlichkeit der PolizistInnen relativ wenig Einfluss.
Den Erkenntnisgewinn einer neuen Studie hält Baier für „relativ gering“. Die Zahlen seien gut erfasst und auch über die Täter sei viel bekannt: meist junge Männer, die oft bereits zuvor auffällig geworden sind, der Anteil derer mit Migrationsgeschichte etwas überdurchschnittlich. Oft seien die Täter alkoholisiert, die Taten erfolgten oft aus Gruppen heraus. „All das wissen wir eben schon.“
Ob Seehofer aber überhaupt eine Studie in Auftrag geben will, war zunächst nicht zu erfahren. Die Überlegungen würden konkretisiert, heißt es aus dem BMI. Alljährlich erstellt bereits das Bundeskriminalamt ein Lagebild zur Gewalt gegen PolizeibeamtInnen. Die darin jüngst verzeichnete steigende Tendenz ist allerdings mit Vorsicht zu genießen: Sie geht zumindest zum Teil auf strafrechtliche Verschärfungen zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen