Streit um Solidaritätszuschlag: Rettet den Soli!
Wer den Solidaritätszuschlag abschafft, verschärft die soziale Ungleichheit. Eine Umwidmung zum „Krisensoli“ könnte genau das Gegenteil bewirken.
D em FDP-Vorsitzenden Christian Lindner war der Solidaritätszuschlag schon immer ein Dorn im Auge. Neuerdings begründet der Finanzminister die Forderung, ihn abzuschaffen, damit, die international nicht mehr wettbewerbsfähige deutsche Wirtschaft müsse auf diesem Wege entlastet werden. Früher hieß es auch schon mal, die „kalte Progression“ oder der „Mittelstandsbauch“ müssten beseitigt werden.
Dann wurde auf die „hart arbeitende Mitte“ hingewiesen, obwohl ihr das Ende des Solidaritätszuschlages am wenigsten brächte, weil nur Spitzenverdiener, Aktionäre, Wertpapierbesitzer und Kapitalgesellschaften davon profitieren würden. Es geht einmal mehr um Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung.
Man erinnere sich: Für die Kindergrundsicherung, deren Schicksal weiter ungewiss ist, weil FDP und Union ihr kritisch gegenüberstehen, bewilligte Lindner gerade einmal 2,4 Milliarden Euro, obwohl sie die einzig nennenswerte Maßnahme der Ampelkoalition gegen Kinderarmut ist. Angeblich fehlte dem Bund das Geld für ein größeres Sozialprojekt. Der gewünschte Wegfall des Solidaritätszuschlages würde ihn aber jährlich gut 12 Milliarden Euro kosten.
Hochvermögende würden nach der Verwirklichung des Plans zwei-, profitable Konzerne sogar dreistellige Millionenbeträge pro Jahr sparen, weil die im Volksmund liebevoll „Soli“ genannte Ergänzungsabgabe nicht nur auf die Einkommensteuer, sondern auch auf die Kapitalertragsteuer, also Zinsen und Dividenden, sowie die Körperschaftsteuer erhoben wird.
Kein Widerspruch von der SPD
Erschreckend ist, dass Vizekanzler Robert Habeck mit seiner Klage über die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit deutscher Wirtschaftsunternehmen und der Unternehmensbesteuerung in der Bundesrepublik sowie dem Vorschlag eines „Sondervermögens“ für die Industrie im Umfang von 70 Milliarden Euro den Türöffner für diese unsägliche Debatte gespielt hat. Seitens der SPD erfolgte zunächst auch kein energischer Widerspruch.
Obwohl die 40 DAX-Konzerne, darunter alle bedeutenden Industrieunternehmen des Landes, im Jahr 2024 die Rekordsumme von beinahe 60 Milliarden Euro an Dividenden ausschütten und ihre (Groß-)Aktionäre noch reicher machen, wird über die Abschaffung des Solidaritätszuschlages diskutiert. Es geht überhaupt nicht mehr darum, ob es sinnvoll ist, gewinnträchtige Unternehmen zu subventionieren und damit die sozioökonomische Ungleichheit weiter zu erhöhen, sondern nur noch darum, wie man dies bewerkstelligt.
Offenbar beherrscht die neoliberale Standortlogik das Denken der Regierungsmitglieder so stark, dass die verteilungspolitischen Konsequenzen ihres Handelns keine Rolle mehr spielen. Dabei weiß jede/r, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland nicht weiter vertiefen darf, wenn der gesellschaftliche Zusammenhalt gewährleistet und die AfD von der Regierungsmacht in einem ostdeutschen Bundesland ferngehalten werden soll.
Aufgrund der hohen Freibeträge müssen den Solidaritätszuschlag in diesem Jahr bloß noch Einzelveranlagte entrichten, die mehr als 18.130 Euro, und zusammen Veranlagte, die mehr als 36.260 Euro an Einkommensteuer bezahlen. Das entspricht einem zu versteuernden Jahreseinkommen von über 68.000 Euro und bei zusammen Veranlagten über 136.000 Euro.
Spitzenverdiener und Kapitaleigner zur Kasse
Für diese Steuerzahler/innen beginnt dort eine sogenannte Milderungszone, in welcher der Prozentsatz an zu zahlendem Solidaritätszuschlag schrittweise ansteigt, bis er bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von über 100.000 Euro und bei zusammen Veranlagten über 200.000 Euro in voller Höhe von 5,5 Prozent auf die Steuerschuld fällig wird. Für die Normal- und Geringverdiener/innen wäre die Abschaffung des Solidaritätszuschlages ein Danaergeschenk.
Statt zu entfallen, könnte der Solidaritätszuschlag zu einem Krisensoli umgewidmet werden und durch Verdopplung seiner Höhe von 5,5 Prozent auf 11 Prozent der Steuerschuld dazu beitragen, dass Spitzenverdiener und Kapitaleigner an den Folgekosten der sich überlagernden Krisen sowie des inflationären Preisauftriebs für den Staat beteiligt werden.
Außerdem sollte eine Vermögensabgabe in Höhe von 10 Prozent, gestreckt auf fünf Jahre, großen Reichtum begrenzen. Durch die im Erbschaft- und Schenkungssteuerrecht geltende Freibetragsregelung würde sichergestellt, dass nur Familien zu der Vermögensabgabe herangezogen werden, die über ausreichende Finanzmittel verfügen.
Für die Steuerpflichtigen wäre ein Freibetrag in Höhe von einer Million Euro angemessen, für ihre Ehepartner/innen betrüge er 500.000 Euro und für jedes im Haushalt lebende Kind zusätzlich 400.000 Euro. Darüber hinaus könnte beim Vermögen selbstgenutztes Wohneigentum bis zur Größe von 200 Quadratmetern anrechnungsfrei bleiben.
Mehr Spielraum mit Vermögenssteuer
Sinnvoll wäre auch die Wiedererhebung der unter Berufung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von CDU, CSU und FDP ab 1997 ausgesetzten Vermögensteuer, die nicht nur der Steuergerechtigkeit dienen, sondern auch die Länder finanziell handlungsfähiger machen würde.
Die Karlsruher Richter hatten in dem genannten Beschluss vom 22. Juni 1995 nicht das Vermögensteuergesetz als solches für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, sondern sie monierten nur, dass für Grundbesitz der nach seiner Wertentwicklung nicht mehr angepasste Einheitswert wie auch für sonstiges Vermögen der Gegenwartswert als Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt wurde.
Dadurch war die bis heute in der Verfassung stehende Vermögensteuer keineswegs hinfällig, wie von interessierten Kreisen gern behauptet wird. Vielmehr wurde dem Gesetzgeber eine Frist zur Nachbesserung eingeräumt, die er mit seiner damals schwarz-gelben Mehrheit allerdings verstreichen ließ, um sich der ungeliebten Steuerart zu entledigen.
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