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Streit um AKW-LaufzeitenStreckbetrieb senkt Strompreis kaum

Der Effekt einer Laufzeitverlängerung würde in den normalen Schwankungen der Strombörse untergehen. Ein Grund dafür ist die Logik am Spotmarkt.

Wann ist hier Schluss mit Stromproduktion? Das AKW Isar 2 in Bayern Foto: Dirk Sattler/imago

Freiburg taz | Ein Streckbetrieb der beiden süddeutschen Atomkraftwerke hätte nur geringe Auswirkungen auf den Strompreis. Das zeigen verschiedene Berechnungen von Strommarktanalysten. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte am Montag einen optionalen Weiterbetrieb der Anlagen in Bayern und Baden-Württemberg verkündet. Grund für diesen Schritt war aber ohnehin nicht der Strompreis, sondern vielmehr die Systemsicherheit – weshalb man den dritten noch laufenden Reaktor – jenen im Emsland, im besser versorgten Norden – vom Streckbetrieb ausschloss.

Schon vor der Bekanntgabe der Entscheidung in Berlin hatte das Öko-Institut Berechnungen veröffentlicht, wonach die „Strompreiseffekte im Großhandelsmarkt eines Streckbetriebs der Kernkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim äußert gering“ seien. Konkret gehe es um eine Preissenkung im Umfang von 0,5 bis 0,8 Prozent, erklärten die Wissenschaftler.

Felix Christian Matthes, Umweltökonom und Energie-Experte beim Öko-Institut, ergänzte: „Das sind Spotmarkteffekte, die sich faktisch im Terminmarkt nicht niederschlagen werden und deswegen bei den Verbrauchern auch nicht ankommen werden.“ Auswirkungen auf den Strompreis könnten daher „keine Begründung für Streckbetrieb sein“.

Auch andere Marktanalysten errechneten eine Preisdämpfung in ähnlich bescheidener Größenordnung. Sollten die beiden Reaktoren von Januar bis April – also die maximale Zeit – am Netz sein, wäre der Grundlastpreis im Jahr 2023 um etwa fünf Euro pro Megawattstunde billiger als ohne die Kraftwerke, rechnet Mirko Schlossarczyk vom Beratungshaus Enervis vor.

Bei einem Preis von gut 500 Euro am Terminmarkt – das war der Preis am Mittwoch – wäre das ein Preisvorteil wiederum von nur knapp einem Prozent. Auch Tobias Federico, Chef der Energieberatung Energy Brainpool, nannte gegenüber einem Branchen-Newsletter den Preiseffekt „vernachlässigbar“.

Das Marktlogik-Problem

Die geringen Auswirkungen des zusätzlichen Atomstroms hängen mit der Logik des Marktes zusammen. Im Rahmen der sogenannten Merit Order (Leistungsbestellung) sortiert der Spotmarkt die Kraftwerke nach ihren variablen Kosten. Dann kommen zu jedem Zeitpunkt die jeweils billigsten Angebote zum Zuge, bis der Bedarf vollständig gedeckt ist. Das letzte Kraftwerk, das dann gerade noch notwendig ist, bestimmt nach der an allen Warenmärkten geltenden Logik den Spotmarktpreis.

Nun würde ein zusätzliches Atomkraftwerk möglicherweise das bisher teuerste Kraftwerk aus dem Markt drängen mit der Folge, dass dann das bisher zweitteuerste Kraftwerk den Preis setzt. Wenn dieses aber kaum billiger ist als das bislang preisbestimmende, sinkt der Börsenpreis kaum. Genau das ist hier der Fall: Die Preiskurve ist im aktuell relevanten Bereich der Merit Order sehr flach.

Für die Preise von Haushaltskunden sind ohnehin weniger die Spot- als die Terminmarktpreise relevant. Dort kaufen die Versorger den Strom oft langfristig ein; zum Beispiel werden dort Jahresverträge für 2023 gehandelt. Der Terminmarkt spiegelt zwar gewissermaßen den erwarteten mittleren Spotmarktpreis im betreffenden Zeitraum wider.

Doch weil die Einflussgrößen auf den Terminmarkt so vielfältig sind, variiert der Preis so sehr, dass die Frage, ob der Streckbetrieb kommt oder nicht, keine relevante Rolle mehr spielt. Das jüngste Beispiel vom Mittwochvormittag: An der Strombörse EEX schwankte der Preis der 2023er-Grundlast binnen nur einer Stunde zwischen 505 und 530 Euro. Da gehen die errechneten fünf Euro an Preissenkung durch den Streckbetrieb im Rauschen unter.

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20 Kommentare

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  • Ist Kernkraft eine Hochrisikotechnologie?

    Wissenschaftliche Definition von Risiko = Potentielle Schadenshöhe multipliziert mit Eintrittswahrscheinlichkeit.

    Die Risiken der unterschiedlichen Kraftwerkstypen im Vergleich in Zahlen (Our World in Data, Oxford University).

    Tote pro TWh:

    Kohle: 24,6



    Öl: 18,4



    Gas: 2,8



    Wasserkraft: 1,3



    Wind: 0,04



    Nuklear: 0,03



    Solar: 0,02

    Bei der Höhe der Todeszahlen bei den schwersten Katastrophen führen mit großem Abstand Wasserkraftwerke: Vagast (Italien, 1963): 2000 und Banquiao (China 1975): 250.000

    Dagegegen verblassen die Zahl der Todesfälle nach Tschernobyl (einige Dutzend, ca. 1000 vorzeitige Todesfälle nach Krebserkrankung in den nachfolgenden Jahrzehnten möglich) und Fukushima (ein Todesfall). Anmerkung: Angaben der Weltgesundheitsorganisation.

    • @Pi-circle:

      Na dann rechnen sie bitte auch auch die Risiken der Uranförderung in Ländern wie Kasachstan oder Niger ein. Dann würden wohl ganz andere Zahlen für Atomkraft zusammenkommen.

    • Roland Schaeffer , Autor*in ,
      @Pi-circle:

      Dass es nach Tschernobyl nur einige Dutzend Tote gab zählt zu den großen Statistik-Lügen des letzten Jahrhunderts. Die großflächige atomare Verseuchung und die Krebserkrankungen von zehntausenden Militärangehörigen, die ohne Schutzkleidung den Bau des "Deckels" über der Anlage ermöglicht haben, werden dabei einfach weggelassen. Man sollte solche Statitiken, die auch sonst einfach dahererfunden sind, nicht verbreiten.

  • Streckbtrieb ist wie Globuli. Helfen würde eine richtige Medizin: Weiterbetrieb so lange technisch machbar und ökonomisch sinnvoll und zwar von sechs Kraftwerken.

  • Herr Janzing, und nicht nur er, drehen sich die Argumente mit dialektischer Finesse und viel Mühe, bis das Weltbild für eine kurze Zeit notdürftig wieder passt, aber ignorieren den Elefanten im Raum.

    Das zum Jahreswechsel ca. 6GW (!) Dauerleistung vom Netz gehen, dürfte z.T. bereits im jetzigen Strompreis mit eingepreist sein. Wenn Strom perspektivisch so teuer bleibt wie jetzt, dürfte die Begeisterung für die E-Mobilität stark nachlassen.



    Das trifft gottseidank nur die Oberschicht.



    In Haushalten, wo das Geld von vornherein knapp ist dürfte es aber tatsächlich bitter werden. Das ist den Grünen allerdings egal.

    6 GW, das ist der EE Zubau der letzten 5 Jahre. Bei steigendem Stromverbrauch wird somit der Kohleanteil an der Verstromung ab Januar einen Sprung nach oben machen und für einige Jahre zwischen 30 und 40% wie festgetackert sein.

    Wirklich auch eine sehr tolle Klimapolitik.

  • "weshalb man den dritten noch laufenden Reaktor – jenen im Emsland, im besser versorgten Norden – vom Streckbetrieb ausschloss."

    Nein, "von der Notreserve ausschloss". Lingen wird im November in den "Stauchungsbetrieb" - für praktische Belange ein Streckbetrieb mit anderem Namen - gehen, weil die Brennelemente nicht mehr genug spaltbares Material für Vollast enthalten.

  • 0G
    06792 (Profil gelöscht)

    Das ist die selbe Argumentation nach der ein Tempolimit nur X% einspart. Viel zu wenig. Und nachts Werbung ausschalten bringt nur Y%. Kaum ein Effekt. Und 10% kürzer duschen bringt auch nur Z%. Warum sollte man das machen?

    Natürlich weil X+Y+Z dann am Ende doch 5% macht. Oder 10... Keine Einzelne Massnahme wird das Problem lösen...

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    "Streckbetrieb senkt Strompreis kaum"



    Und ich hatte gedacht, es ginge auch darum, nicht Gas für die Stromproduktion zu ver(sch)wende.

  • Ich sehe das deswegen anders, da es sich bei einer Börse nicht ausschließlich um eine logisch berechnende Institution handelt sondern eben eine Börse, die (auch) emotionsgetrieben Preise findet. Gerade in unsicheren Zeiten sind Erwartungen, Meinungen und Ängste wichtige Preisfindungskomponenten.



    Das jetzt rein mathematisch anzugehen anhand bestehender Preiskurven ist methodisch fragwürdig und lässt die Wissenschaft hier in schummrigem Licht dastehen. Ähem, wer hat denn die "Berechnung" in Auftrag gegeben?



    Das wäre so, als wenn ich sagte, bei 2% weniger Bruttoinlandsprodukt, also deutliche Rezession, sinken die Börsenkurse der Aktiengesellschaften um genau 2%. Da eine Null dranhängen scheint realistischer, genau wie auch beim Strompreis. Und dass Leute, das wäre eben dann doch von Relevanz!

    • @Tom Farmer:

      Ne.



      Der Vergleich hinkt.



      Im Artikel ist doch ausführlich erläutert, dass es keinen wesentlichen Unterschied macht, ob das Gaskraftwerk y oder x das Preisniveau bestimmt.



      Weil deren Produktionskosten so hoch sind.



      Da ist nicht so viel Marge drin, dass ein Preiswettbewerb eine spürbare Senkung erzeugt.

  • Es geht doch nicht vorrangig um Strompreissenkungen sondern darum, dass es nicht zu Blackouts und Stromausfällen kommt.

    • @gyakusou:

      Das ist ja eh nicht zu erwarten.



      Genau dazu gab es die Stresstests...

      • @mensch meier:

        Ich erwarte heute Abend, wenn ich heimfahre auch keinen Unfall und lege den Sicherheitsgurt trotzdem an...

  • Das Öko-Institut ist ja nicht neutral in der Frage. Ich habe mir tatsächlich die Passagen durchgelesen. Folgende möchte ich kurz hervorheben:

    " [...] sondern auch für Strom in der Grundlast, wo Gas gar nicht eingesetzt wird, sondern Atomkraftwerke, Wasser- und Kohlekraftwerke. Dieser Preisanstieg bei der Grundlast ist viel bedeutender für die Strompreise für die Verbraucher und die Industrie und hat weitere Ursachen.."

    Wenn die Grundlast bedeutend ist und hier AKW eingesetzt werden, dann sind doch AKW relevant und es erschließt sich nicht der folgende Satz:

    "Berechnungen des Öko-Instituts zeigen, dass die Strompreiseffekte im Großhandelsmarkt eines Streckbetriebs der Kernkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim äußert gering sind und lediglich zu einer Preissenkung von 0,5 bis 0,8 Prozent führen."

    "Richtig ist auch, dass ein wichtiger Grund für die hohen Strompreise die aktuelle Krise der Atomkraft in Frankreich ist. [...] Damit lag das Defizit bei Atom- und Wasserkraft in Frankreich im Juni bei 9,6 Terrawattstunden. Zum Vergleich: In Deutschland haben die Braunkohlekraftwerke ca. 9 Terrawattstunden Strom im Juni erzeugt."

    "Das wirkt sich auf die Großhandelspreise an der europäischen Strombörse aus: Eine Megawattstunde Strom für Dezember in Frankreich wird deswegen gerade für mehr als 1.600 Euro gehandelt, vor einem Jahr lag der Preis noch bei 86 Euro. Deutschland hat circa 10 Terrawattstunden Strom in diesem Jahr bereits nach Frankreich exportiert [...]"

    Jetzt nimmt man weiteren Strom weg und dies soll nur minimale Auswirkungen auf den Preis haben? Wie kommen die drauf, dass es sich um 0,6%-0,9% handelt, wenn der Preis um 1860% (!!!) gestiegen ist. Eine so präzise Berechnung von so minimalen Beträgen (0,6-0,9%) bei einer Steigerung von 1860% kann kaum zuverlässig sein.

    • @Strolch:

      Die Preisbildung am Strommarkt ist idiotisch, aber eben leicht berechenbar.



      Nimm die Kosten der Kraftwerke an der Lastgrenze, also der 10% Gaskraftwerke, und schätze ihre Angebotsspanne.



      Deutlicher Wettbewerb, also vielleicht nur 10% Rendite zu den Kosten.



      Und dann berechne, wie es spart, wenn statt der 10% nur 5% der Gaskraftwerke laufen.



      Das ist völlig unabhängig vom konkreten Gaspreisniveau einfach der Mittelwert der Rendite im Vergleich zu den Geboten am oberen Ende.



      Und daraus ergibt sich die Wirkung auf den Strompreis durch die Kernkraft.



      Das kann aus den historischen Daten sehr genau abgeschätzt werden.

      • @mensch meier:

        Hmm... Und wenn es im nächsten Winter viel Wind gibt, sinken die Preise am Spottmartk und wenn es wenig gibt, steigen sie. Jetzt sagen Sie mir bitte kurz, ob es viel oder wenig Wind geben wird, um nur ein Beispiel zu nennen. Das beruht alles auf Schätzungen des Instituts. Ich muss nur die "richtigen" Schätzungen nehmen und komme zum gewünschten Ergebnis...

    • @Strolch:

      "Eine so präzise Berechnung von so minimalen Beträgen (0,6-0,9%) bei einer Steigerung von 1860% kann kaum zuverlässig sein."

      ... und dann sagte der Onkel Wachtmeister: "Ist mir egal. Sie geben mir jetzt Ihren Führerschein, und nehmen sich ein Taxi!"

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Der Streckbetrieb hat NICHT den Hintergrund, die Preise zu senken.

    Er hat den Hintergrund die Versorgung sicherzustellen, ohne auf Gas zurückgreifen zu müssen.

    Geld kann man nicht essen und so. Dieser Spruch ist doch Standard in der Öko Community ;-)

  • Damit wird ersichtlich, dass auch die Preisargumentation von FDP und Union reiner Populismus ist und die Fakten im Sinne unserer Sicherheit gegen jeglichen Weiterbetrieb nach dem 31.12.22 sprechen.

    • @Sonnenhaus:

      Klar versuchen Union und FDP auch den Grünen eins reinzuwürgen und sie als Ideologen hinzustellen.



      Was die Grünen sich leider bisher nicht hinreichend klar machen ist, dass Strompreise von 500 €/MWh tatsächlich ein massives Problem darstellen und relativ schnell zu einer massiven Deindustrialisierung führen können.



      Wenn die 3 AKW im Streckbetrieb ab Januar eine Gesamtstrommenge von 4 TWh (=4.000.000 MWh) erzeugen können, entspricht das bei einem Strompreis von 500 €/MWh einem Wert des erzeugten Stroms von 2 Mrd. €. Wenn der Staat von diesen erzielten Einnahmen die Hälfte abschöpft, ist schon wieder eine Milliarde für sozialen Ausgleich da. Und durch den Streckbetrieb entsteht kein zusätzlicher Atommüll, da keine neuen Brennelemente gebraucht werden.