Streit in der Linkspartei im Saarland: Bis zur Staatsanwaltschaft
Der Streit in der Saar-Linken eskaliert. Ein Ex-Mitarbeiter sagt, der Bundetsagsabgeordnete Thomas Lutze habe Stimmen gekauft.
Mit der Anzeige erreicht der erbitterte Machtkampf in der Saarland-Linken eine neue Eskalationsstufe. Es stehen sich zwei Lager gegenüber: Auf der einen Seite eines um Parteigründer Oskar Lafontaine und Astrid Schramm, auf der anderen der Bundestagsabgeordneten Lutze und seine MitstreiterInnen.
Bei der Aufstellung der Landesliste im Jahr 2017 habe Lutze „Wählerstimmen gekauft und damit die Wahl zur Aufstellung der Landesliste und in der Folge die Bundestagswahl manipuliert“, heißt es in der Strafanzeige, die der taz vorliegt. Lutze habe für Mitglieder im Zusammenhang mit der Kandidatenaufstellung ausstehende Mitgliedsbeiträge beglichen und zusätzlich Geldprämien bezahlt, um sich Platz eins zu sichern, so der Vorwurf. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hat Vorermittlungen eingeleitet.
Als Urknall des Zerwürfnisses gelten die dubiosen Umstände der Kandidatenaufstellung für die letzte Bundestagswahl, am 7.Mai 2017 in Klarenthal, im Westen Saarbrückens. Seitdem geht ein Riss durch den Linken-Landesverband. Zeugen hatten damals berichtet, Lutzes MitstreiterInnen hätten zum entscheidenden Wahlgang für den aussichtsreichen Platz eins der Landesliste zahlreiche Mitglieder in Bussen „herangekarrt“.
50 Euro im braunen Umschlag
Einige seien gar eigens „für einen Tag“ neu in die Partei aufgenommen worden; Lutze habe in großem Stil ausstehende Mitgliedsbeiträge bezahlt, damit sie stimmberechtigt waren. Schließlich seien Prämien für die Stimmabgabe geflossen. Lutze setzte sich schließlich bei der Entscheidung über Platz eins der Landesliste durch und zog erneut in den Bundestag ein.
Mit den Vorwürfen der Lutze-Kritikern war die Justiz bereits mehrfach befasst. Die Landeswahlleiterin hatte 2018 die Landesliste der Linken im Saarland nur „trotz schwerer Bedenken“ zugelassen“. Für einen Ausschluss der Partei von der Wahl reichten ihr die Beweise nicht.
Diese bisher fehlenden Beweise liefert mit dem Ex-Landesvorstandsmitglied Mekan Kolasinac jetzt ausgerechnet ein ehemaliger Mitstreiter Lutzes. Kolasinac selbst wurde 2017 für einen antisemitischen Beitrag auf Facebook kritisiert, in dem er Parteichef Reixinger als „Falsche, hinterlistige Jude“ (sic!) bezeichnete. Kolasinac behauptete später, er habe „Judas“ statt „Jude“ schreiben wollen. im In eidesstattlichen Erklärungen, die der taz vorliegen, bekennt Kolasinac nun, 2017 habe Lutze bei einem internen Treffen versprochen, „dass er jedem Mitglied, das ihn bei der Versammlung wählt, 50 Euro geben wird“.
Kolnasiac selbst, und die Lutze-Vertrauten Andreas und Andrea Neumann, hätten bei der Versammlung „braune Umschläge“ mit je 50 Euro ausgeteilt und „Stimmzettel kontrolliert“. Im Auftrag Lutzes habe er Speisen und Getränke für die Unterstützer „spendiert“, so Kolnasiac. Im Vorfeld des Parteitags habe er außerdem in Lutzes Auftrag 1286,30 Euro an ausstehenden Mitgliedsbeiträgen für Dritte bei der Landespartei eingezahlt, um deren Wahlberechtigung zu sichern, so erklärt er jetzt an Eides Statt.
Nur noch „Inhalte und Politik“?
Die taz hatte Lutze im Juli 2018 auf den Vorwurf angesprochen, er habe Beitragszahlungen für Mitglieder geleistet, um sich deren Stimmen zu sichern. Lutze schrieb damals: „In früheren Jahren hatte ich für 5–6 Mitglieder eine Patenschaft übernommen und nie ein Geheimnis daraus gemacht.“ Er habe Hartz-IV-Beziehern helfen wollen, in der Partei zu bleiben. „Da dies nun aber gegen mich verwendet wird, habe ich das eingestellt“, so Lutze damals.
Mit einem Paukenschlag hatten sich im Juli 2019 nach langen Querelen die letzten Lutze-Kritiker aus dem Landesvorstand verabschiedet. „Satzungswidrige und manipulative Machenschaften in der Mitgliederpartei“ attestierte ihm damals der scheidende Landesgeschäftsführer Stefan Leo Schmitt, ein ehemaliger Polizeibeamter. Und Heinz Bierbaum, wie Schmitt ein langjähriger Mitstreiter von Parteigründer Lafontaine, zog nüchtern Bilanz: „Es geht um Mandate, Geld und Macht!“
Seit September 2009 amtiert Lutze als gewählter Landesvorsitzender. Die Vorstandsmehrheit steht hinter ihm. Beim Parteitag 2019 versprach er einen Neuanfang, es werde zukünftig „nur noch um Inhalte und Politik gehen“, sagte er. Linken-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler war damals eigens nach Wiebelskirchen gereist, um die Konflikte zu schlichten. „Wir möchten, dass ihr zur politischen Arbeit zurückkehrt“, hatte Schindler den saarländischen GenossInnen zugerufen. Zur jüngsten Entwicklung ließen Schindler und Lutze taz-Anfragen unbeantwortet.
Neun Monate vor der Bundestagswahl ist jetzt die Staatsanwaltschaft am Zug. Die Immunität des Bundestagsabgeordneten Lutze steht Vorermittlungen nicht im Wege. Nur wenn sie Durchsuchungen veranlassen, Strafbefehle beantragen oder Anklage erheben will, muss die Ermittlungsbehörde die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten beantragen, teilte die Pressestelle des Bundestages mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“