Streckbetrieb von zwei AKWs: Atomkraft bis ins Frühjahr
Bundeswirtschaftsminister Habeck lässt den Streckbetrieb für zwei AKWs vorbereiten. Umweltverbände sind empört.
Ursprünglich wollte Deutschland bis Ende 2022 komplett aus der Atomenergie aussteigen. Drei Meiler laufen noch. Anfang September hatte Habeck erklärt, dass die AKWs Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim in Baden-Württemberg über den geplanten Atomausstieg Ende des Jahres hinaus möglicherweise für drei Monate als Reserve vorgehalten werden. Das einzige sonst noch laufende AKW in Niedersachsen soll wie vorgesehen abgeschaltet werden.
Am Montagabend teilte Habeck mit, dass er zum jetzigen Stand davon ausgehe, dass die beiden AKWs bis zum Frühjahr weiterlaufen werden. Der Meiler in Niedersachsen werde wie geplant abgeschaltet.
Habeck begründete den sogenannten Streckbetrieb – bei dem keine neuen Brennstäbe eingesetzt werden, sondern vorhandene länger laufen – mit der Lage in Frankreich. Dort wird wegen großflächig ausfallender AKWs in diesem Winter sehr viel weniger Strom produziert als vorgesehen. Mehr als die Hälfte der AKWs ist nicht am Netz. Die fehlenden Strommengen gleicht Deutschland aus. „Wenn sich die Prognosen nicht ins Gegenteil verkehren, muss ich sagen, dass Isar 2 und Neckarwestheim am Netz bleiben werden“, sagte Habeck. Die endgültige Entscheidung soll im Dezember fallen.
Haftung bleibt bei Betreibern
Um die technischen Voraussetzungen für den Streckbetrieb zu schaffen, hat sich Habeck mit den Betreibern auf ein Konzept für die sogenannte Einsatzreserve geeinigt. Wird die Energie nach dem 31. Dezember nicht abgerufen, werden den Betreibern die Kosten für den Reservebetrieb erstattet. Produzieren die Meiler Strom, erwirtschaften sie Gewinne. Die Haftung bleibt auch im Streckbetrieb bei den Betreibern von Isar 2 und Neckarwestheim.
Bei Umweltverbänden stößt Habecks Vorgehen auf harsche Ablehnung. „Der Streckbetrieb wird eine Strommangellage nicht entscheidend abwenden, er wird die Sicherheitslage in Deutschland aber deutlich verschlechtern“, sagte der BUND-Vorsitzende Olaf Brandt. Der Streckbetrieb öffne einer Laufzeitverlängerung Tor und Tür, kritisierte er. Die Umweltorganisation Greenpeace lehnt den Streckbetrieb ebenfalls strikt ab. „Es ist und bleibt energiepolitischer Unsinn, den gesetzlich festgelegten Atomausstieg zum 31. Dezember 2022 auszuhebeln“, sagte Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. Die beiden AKWs könnten nur einen winzigen Beitrag zur Stromversorgung leisten. Die Lage in Frankreich zeige, wie unzuverlässig Atomkraft sei.
Von prominenten Grünen gab es am Mittwoch zumindest keine offene Kritik an Habecks Vorstoß. Allerdings wollen sich auch noch nicht alle Spitzen-Grünen so stark wie der Wirtschaftsminister darauf festlegen, dass es wohl zur Laufzeitverlängerung übers Jahresende hinaus kommt. Es wäre „bitter, wenn wir hier die Reserve ziehen müssten“, sagte etwa Fraktionschefin Britta Haßelmann. Man werde die Situation beobachten und nach Sachlage entscheiden. Von Anfang an wurden in Partei und Fraktion mögliche Kompromisse beim Atomausstiegsdatum kritisch gesehen. Habecks Vorschlag von Anfang September, zwei AKWs in die Reserve zu stecken und nur im Notfall wieder anzufahren, war ein klassischer Kompromiss und befriedete den Konflikt zunächst.
Diskussion auf Parteitag
Während die Fraktion den Wirtschaftsminister nun zumindest zum Teil unterstützt, wird es auf dem Parteitag Mitte Oktober sicherlich verschärfte Diskussionen geben. Die Atomkraftfrage steht dort auf der Tagesordnung. Aus der Basis liegen mehrere Anträge gegen Streck- oder Reservebetrieb vor. „Jeder Tag Atomkraft ist ein Tag zu viel“, sagte am Mittwoch die Basisgrüne Asta von Oppen, die einen der Anträge miterarbeitet hat. Sie verwies auf das Alter der beiden infrage stehenden Kraftwerke und auf Meldungen über Rost und Risse in Neckarwestheim.
Mitte Oktober findet der Parteitag statt. In den Tagen zuvor soll der Bundestag erstmals über die notwendigen Gesetzesänderungen beraten, in der Woche danach dann – im Erfolgsfall mit dem Segen der Grünen-Delegierten – entscheiden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden