Steigende Energiekosten: Her mit der Klimaprämie

Die Kosten für fossile Energien steigen. Doch im Zuge der CO2-Bepreisung könnten Haushalte mit wenig Einkommen von der Klimapolitik profitieren.

Ein mit einer Wärmebildkamera aufgenommenes Haus.

Wohnhaus in Stuttgart, Aufnahme mit einer Wärmebildkamera Foto: Arnulf Hettrich/imago

Ralf Ritter bekommt immer als einer der Ersten mit, wenn das Soziale in Schieflage gerät. Bei seinem Arbeitgeber – dem katholischen Wohlfahrtsverband Caritas in den niedersächsischen Landkreisen Uelzen und Lüchow-Dannenberg – kommt schnell an, wenn im sozialen Gefüge des Landes etwas wackelt. Fast wie bei einem Seismografen. Und zurzeit sind die Ausschläge riesig. „Die Situation bedroht die Leute in ihrer Existenz“, sagt Ritter, Geschäftsführer seiner Einrichtung.

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„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir das in dieser Form schon einmal hatten“, sagt er, der seinen Job seit 20 Jahren macht. Unter anderem beraten er und seine Kol­le­g:in­nen Menschen mit hohen Schulden oder helfen beim Ausfüllen von Jobcenter- oder Asylanträgen.

Was Ritter und seine Kol­le­g:in­nen derzeit oft hören: Die Gasrechnung hat sich verdreifacht, der Stromabschlag ist 10 Prozent höher, der Diesel teuer wie nie. Das Ausmaß des Grauens schwankt, aber viele Menschen wüssten jetzt nicht mehr weiter, sagt Ritter. „Ein Haushalt mit normalem Einkommen mag das noch verkraften, da kann man vielleicht den Urlaub kürzen oder ganz ausfallen lassen, um die Mehrkosten auszugleichen“, meint er. „Aber Haushalte mit niedrigen Einkommen oder Hartz IV machen schon lange keinen Urlaub mehr, den sie streichen könnten.“

Durch Corona sei das Leben insgesamt teurer geworden: Masken, Covid-19-Tests, mehr Seife und Desinfektionsmittel, viel Heizbedarf durch das ständige Zuhausesein. Es gibt keinen guten Zeitpunkt für eine Energiekrise, aber ausgerechnet jetzt ist es besonders schlecht.

Energieprodukte werden 10 Prozent teurer

2021 haben sich die Energieprodukte laut Bundesamt für Statistik im Schnitt um mehr als 10 Prozent verteuert, besonders zum Jahresende explodierten die Preise. Das hat verschiedene Gründe: Die Nachfrage nach Öl ist nach dem Lockdown-Jahr 2020 weltweit gestiegen, Russland liefert wenig Gas und die Große Koalition hatte mit Beginn des Jahres 2021 einen nationalen Emissionshandel eingeführt.

Da müssen Unternehmen, die Öl oder Gas auf den Markt bringen, für ihre Produkte CO2-Abgaben zahlen – so wie es auf europäischer Ebene beispielsweise Strom­pro­du­zen­t:in­nen längst tun müssen. Das macht sich jetzt vor allem beim Heizen und Tanken bemerkbar.

Es gibt eine Frage, vor der sich Menschen, die jetzt schon in finanzieller Notlage sind, fürchten und die sich auch Ralf Ritter stellt: „Ist das erst der Anfang der Preissteigerung?“ Vorab: Vieles drückt und ruckelt an Preisen auf dem Energiemarkt. Was das Zusammenspiel der Faktoren ergibt, ist schwer vorherzusagen. Einer von ihnen wird aber sicher steigen, und soll das auch: der CO2-Preis.

Der soll schließlich dafür sorgen, dass klimaschädliche Energien in einen faireren Wettbewerb mit den immer billigeren Erneuerbaren treten. Sprich: Wer mit Öl, Gas und Kohle Geschäfte macht, muss wenigstens ansatzweise für die gigantischen Schäden zahlen. Nicht, dass die potenziellen Schrecken der Klimakrise komplett in Zahlen gefasst werden könnten: Hunger, untergegangene Inseln, Hitzetote, Konflikte um knappe Ressourcen. Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht lässt sich aber festhalten: Die eigentliche Preissteigerung ist die Klimakrise – Klimaschutz ist billiger.

Die Bepreisung von ausgestoßenem CO2 steht sowohl auf EU-Ebene als auch in Deutschland im Mittelpunkt der Klimastrategien. Im Europäischen Emissionshandel hat sich der Zertifikatepreis im vergangenen Jahr sogar mehr als verdoppelt. Er liegt jetzt bei fast 90 Euro pro Tonne. Die Ampelregierung will beschließen, dass der Preis für deutsche Unternehmen nicht unter 60 Euro sinken kann. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass der Emissionshandel wirkungslos wird, weil sich In­ves­to­r:in­nen von CO2-Spottpreisen nicht in ihrem bisherigen Tun beirren lassen.

Der deutsche CO2-Preis, also der fürs Heizen und Tanken, wird auf jeden Fall steigen. Letztes Jahr lag er bei 25 Euro pro Tonne, bis 2025 steigt er auf 55 Euro. Das hat die Große Koalition festgelegt.

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Grüne Revolution macht kein Spaß

Soll der CO2-Preis weiter Kern der deutschen Klimapolitik sein, müsste der Anstieg aber noch steiler ausfallen. Auf Druck des Bundesverfassungsgerichts hatte die Große Koalition sich zwar auch höhere Klimaziele gesetzt – aber die Preise nicht angepasst. Auch die neue Ampelregierung will das laut Koalitionsvertrag vorerst nicht tun, weil ja andere Effekte derzeit schon für hohe Energiepreise sorgen. Fallen diese aber wieder, leitet also beispielsweise Russland wieder mehr Gas nach Europa, dürfte sich das ändern.

Nun macht der Ausblick auf Revolutionen, so grün sie auch sein mögen, wenig Spaß, wenn das Geld lange vor Monatsende alle ist. Und wäre das bei steigenden CO2-Preisen nicht vorprogrammiert? Nein, sagen Klimaökonom:innen. Das lässt sich verhindern – man muss es nur wollen.

Der CO2-Preis fällt nicht einfach vom Himmel, sondern wird politisch geplant. Anders als bei der aktuellen Preisexplosion kann die Politik also gezielte Vorbereitungen treffen. Österreich beispielsweise hat gerade im Zuge einer großen „ökosozialen Steuerreform“ eine Abgabe auf fossile Energien beschlossen. Und einen „Klimabonus“. Den gibt es ein Mal jährlich, nach dem Klimakassensturz des Staats. Das Geld, das der Staat für jede Tonne CO2 eingenommen hat, wird an die Bür­ge­r:in­nen wieder ausgeschüttet, etwa 100 bis 200 Euro pro Person. Wie viel genau es ist, hängt vom Wohnort ab: Menschen in ländlichen Gebieten sollen mehr bekommen, weil sie schlechter auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen können.

In der Schweiz und in Kanada gibt es ähnliche Modelle, wenn auch ohne die regionale Staffelung. Auch die deutsche Ampelregierung hat versprochen, einen „sozialen Kompensationsmechanismus“ zu entwickeln, so steht es im Koalitionsvertrag. In Klammern fällt dort das Wort „Klimageld“, was auf eine Ausschüttung für alle verweist.

Eine solche empfehlen auch Ex­per­t:in­nen wie die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Die Bepreisung von CO2 wirkt erst einmal regressiv, belastet also einkommensschwache Haushalte überproportional“, sagt sie. In einem kleinen Budget machten die Ausgaben für Energie ohnehin schon anteilig mehr aus als in einem großen. Eine weitere Abgabe würde diese Lage noch verschärfen. „Eine Klimaprämie, die das Geld aus der Abgabe zurückerstattet, schafft deswegen soziale Gerechtigkeit, weil besonders einkommensschwache Haushalte entlastet werden.“

Wenn je­de:r dieselbe Summe zurückerstattet bekäme, würden Personen, die viel fliegen, große Häuser bewohnen sowie beheizen und schwere Autos fahren, draufzahlen. Wer kaum Treibhausgase verursacht, bekäme vielleicht sogar mehr zurück, als er im Jahr gezahlt hat. Weil erstere Gruppe meist wohlhabende und reiche Menschen sind, und letztere eher Menschen mit wenig Geld, wäre diese Maßnahme auch ein Mittel der progressiven Umverteilung.

Eine Gruppe von Wis­sen­schaft­le­r:in­nen des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) kam 2021 sogar zu dem Schluss, dass ein CO2-Preis die gerechteste Form des Klimaschutzes sei – sofern es eine Pro-Kopf-Rückerstattung gebe. Nach dieser Rechnung würden nur dem reichsten Fünftel der Bevölkerung zusätzliche Kosten entstehen.

Die Faustregel, dass der CO2-Fußabdruck mit dem Gehalt steigt und sinkt, stimmt aber natürlich nicht immer. Der Caritas-Geschäftsführer und Berater Ralf Ritter wünscht sich, dass bei den Berechnungen auch bedacht wird, dass gerade Menschen mit wenig Geld manchmal gar keine Möglichkeit haben, sich klimafreundlich zu verhalten. „Wer lebt denn in den alten, schlecht sanierten Häusern, in denen man besonders viel heizen muss?“, meint er. „Und hier in Niedersachsen leben wir auch noch auf dem platten Land. Hier muss man überall mit dem Auto hinfahren, zum Einkaufen, zur Apotheke, zur Arbeit.“

Geg­ne­r:in­nen von CO2-Preisen haben die „ungedämmte Pendlerin“ mittlerweile zu einer Art Gallionsfigur gemacht. „Eine nachhaltige Verkehrswende, die auf bezahlbaren öffentlichen Verkehr und auf sichere Fuß- und Fahrradwege setzt, stärkt vor allem Niedrigeinkommensbezieher“, sagt Ökonomin Kemfert. Auch die Förderung der energetischen Gebäudesanierung komme Einkommensschwachen zugute, da sich die Kosten für die Warmmiete durch die Sanierung deutlich reduzieren würden. Jede Klimapolitik sollte also dafür sorgen, dass niemand mehr „ungedämmte Pendlerin“ sein muss. Jedenfalls dann, wenn sie erfolgreich sein will.

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