Sparkurs bei der „Süddeutschen Zeitung“: In der Druckkammer
2020 war hart für alle Zeitungen. Aber bei keiner der großen wird jetzt so gespart wie bei der „Süddeutschen“. In der Redaktion kommt langsam Wut auf.
Die Geschichte beginnt im April dieses Jahres. Da schickt der Verlag die Redaktion in Kurzarbeit. Weil, so sah das der Verlag, durch Corona weniger zu berichten sei. Im Gegenteil, erzählen SZ-Mitarbeiter: In den meisten Ressorts habe sich der Arbeitsaufwand extrem vergrößert. Und das wurde auch gelesen. Während der Verlag über neue Aborekorde jubelte, kürzte er seinen Mitarbeitern die Arbeitszeit – und bekam dafür Geld vom Staat.
Im September dann – die Kurzarbeit war gerade beendet – kündigten die Verleger etwas an, das sie „Effizienzprogramm“ nannten: 50 Leute sollten gehen, innerhalb von drei Monaten. Bis Freitag können sich Freiwillige melden. Wer länger als drei Jahre bei der SZ gearbeitet hat und geht, bekommt eine Abfindung.
Stellenabbau als Dank für die Kurzarbeit, so sehen das viele SZ-Mitarbeiter. Sie sind wütend auf die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), jenen Verlag, der die Zeitung seit 2008 mehrheitlich besitzt. Die SWMH habe mit der Süddeutschen einen Edelstein bekommen und schleife ihn nun „zu einem Isarkiesel“, sagte im September ein Redakteur vor der versammelten Belegschaft.
Die Sparer laden zum „Lunch“
Es werden wohl nicht ganz 50 Leute sein, die SZ freiwillig verlassen, eher 35, sagen Mitarbeiter. Am Jahresende dürfte die Redaktion der relevantesten Tageszeitung Deutschlands dann etwa um 10 Prozent geschrumpft sein. Ob dem Verlag das reicht, ist unklar. Gegenüber der taz will sich ein SWMH-Sprecher nicht äußern. Es gehen Sekretärinnen, aber auch Print- und Onlineredakteure. Namen, die das Haus geprägt haben, durch ihre Expertise oder ihre Haltung.
Aber schon vor dem Sparprogramm haben auffallend viele Mitarbeitende die SZ verlassen, vor allem junge, digital geprägte Frauen. Im Sommer gab außerdem Kurt Kister nach neun Jahren seinen Posten als Chefredakteur auf. Er stand für die Zeitung wie sonst nur der Apostel Heribert Prantl.
Kister ist jetzt leitender Redakteur der Zeitung. Über die heutigen Verleger der SZ könne man keine Fernsehserie drehen, jedenfalls keine lustige, schrieb er neulich in seinem Nachruf auf die Alt-Verlegerin Anneliese Friedmann auf der Seite 3. Es ist die Freiheit eines ehemaligen Chefredakteurs, der keine Rücksicht mehr nehmen muss auf die Launen einer Holding.
Das Verhältnis zwischen Redaktion und Geschäftsführung ist in kaum einem Verlag freundschaftlich. Man hält Abstand. SZ-Redakteure erzählen aber, dass ihre Geschäftsführung präsenter im Redaktionsalltag geworden sei. Sie schreibe Mails, in denen sie die Mitarbeiter jetzt duze. Mitarbeiterversammlungen heißen neuerdings „Town Hall Meetings“, vor Corona lud Christian Wegner, CEO der SWMH, Angestellte zum „Lunch mit Christian“ in die Kantine ein.
Es ist der Versuch einer Unternehmenskultur wie im Silicon Valley. Nur dass die Süddeutsche eben kein Start-up ist.
Digitales läuft gut, aber nicht gut genug
Der Umbau von einem alten in ein neues Medienhaus ist die größte Herausforderung für alle Medienunternehmen. Er knirscht überall. Natürlich kann man auch die Konflikte bei der SZ als das übliche Geschimpfe von Angestellten auf ihren Arbeitgeber sehen. Aber bei keiner anderen Zeitung ballt es sich gerade so wie bei der Süddeutschen. Der Spiegel hat seine Online- und Printredaktion relativ harmonisch integriert und kam ohne Kurzarbeit durch das Jahr. Die Zeit vermeldet die höchste Gesamtauflage seit ihrer Gründung, und die FAZ gehört nicht Schwaben, die Silicon Valley spielen, sondern einer Stiftung, die nicht profitorientiert arbeitet.
Die SWMH will bis 2023 über 30 Prozent des Umsatzes aus digitalen Produkten generieren. Davon ist sie weit entfernt, heißt es aus Redaktionskreisen – und das, obwohl das Jahr nicht schlecht lief: Im Sommer vermeldete die SZ 150.000 Digitalabonnenten, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Während der Spiegel sein Jugendangebot Bento einstampfte, steigerte jetzt.de, das junge Angebot der SZ, seine Klickzahlen.
Im Sommer veröffentlichte der Redaktionsausschuss der SZ einen Zehn-Punkte-Plan, der in der digitalen Transformation „als Kompass“ dienen soll. Die SZ verstehe sich „als Leuchtturm in einer unruhigen und unübersichtlichen Welt“, steht darin. Und: „Ein guter Text ist ein guter Text, egal ob dieser digital ausgespielt oder gedruckt wird.“ Es geht um Wertschätzung, um Diversität in der Autorenschaft und darum, die Digitalisierung als Chance zu begreifen. Einiges mag banal klingen, aber für eine altes Haus wie die SZ sind solche Sätze nicht selbstverständlich.
Spricht man mit Leuten, die für das Online-Angebot der SZ arbeiten, sagen die, der Zehn-Punkte-Plan sei weit entfernt vom Redaktionsalltag. Das hat auch strukturelle Gründe. Print und Online-Redaktion sind zwei verschiedene Gesellschaften. Die Printler haben bessere Arbeitsbedingungen als die Onliner, sind tarifgebunden, müssen vertraglich weniger arbeiten und werden im Schnitt besser bezahlt. Wenn beide nebeneinander an denselben Produkten arbeiten, wirft das Gerechtigkeits- und Machtfragen auf.
Immer wieder „eine von draußen“
Die Süddeutsche hat ein in dieser Form einzigartiges Gremium: die „Impressionisten“. Da versammeln sich all jene, die im Impressum stehen, also leitende Funktionen innehaben. Weil das fast ausschließlich Printler sind, können die Onliner bei wichtigen Entscheidungen kaum mitsprechen. Viele Onliner fühlen sich zurückgesetzt. Das schlage sich auch in der Arbeitskultur nieder, erzählen einige. Gelobt werde, wer einen Leitartikel in der Zeitung geschrieben habe oder eine Reportage auf der Seite 3.
Wenn es stimmt, dass der Leitartikel und die Seite 3 die Orte sind, an denen sich zeigt, wer Macht im Haus hat, ergibt sich ein recht eindeutiges Bild: Dort schreiben vor allem Printredakteure, vor allem Männer. Das ändert sich zwar allmählich, unter anderem weil die SZ mehrere wichtige Korrespondentenstellen mit Frauen besetzt hat, die nun also auch viel kommentieren und Reportagen schreiben. Aber die weltpolitisch wichtige US-Wahl zum Beispiel haben vor allem männliche Autoren begleitet, die, das lässt sich nachlesen, vor allem über Männer geschrieben haben. Man kann das als Erbsenzählerei abtun, aber es steht im Gegensatz zum Selbstverständnis der Redaktion.
Ein Teil der digitalen Transformation ist der Umbau der Ressorts. Einige wurden fusioniert, neue Ressortleitungen berufen, Print- und Onlineredakteure arbeiten enger zusammen. Auch das Politikressort wird neu aufgestellt. Es ist eines der größten der SZ.
Das neue Politikressort soll vom bisherigen Außenpolitik-Chef Stefan Kornelius geleitet werden. Dazu wurde auch eine Frau gesucht – ob als Doppelspitze oder als Stellvertretung, darüber kursieren unterschiedliche Erzählungen im Haus. Einige Frauen aus dem Haus seien für die Position angesprochen worden oder hätten sich beworben, erzählen Mitarbeiter. Viele dieser Frauen seien fachlich sehr gut, aber keine bekam den Job. Stattdessen suchte man extern. Eine Kandidatin war Anja Reschke, Leiterin der Innenpolitik des NDR, Moderatorin von „Panorama“. Ein großer Name, aber eine von außen. Schon wieder.
Eine Diplomatin
Das verärgerte einige in der Zeitung: Was sei das für ein Signal, wenn man keiner Frau aus dem eigenen Haus die Leitung des zentralen Ressorts zutraue? Noch dazu in einer Zeit, in der 50 Stellen abgebaut werden müssten. Kurz darauf verkündete die Chefredaktion: Stefan Kornelius soll das Politikressort nun doch alleine leiten. Er bekommt zwei Stellvertreter, einen Mann und – die zweite Position ist noch offen. Wenige Wochen nach dem Zoff um das Politikressort werden für vier weitere Ressorts neue männliche Leiter berufen: für den Sport, die investigative Recherche, Mobilität und das Meinungsressort.
Offiziell will sich die SZ-Chefredaktion gegenüber der taz nicht äußern. In der Redaktionskonferenz sagte sie, man sei noch nicht da, wo man sein wolle. Frauen sollen auf Stellvertreterposten berufen und gefördert werden. Viele in der SZ erkennen ein Muster: 2017 wurde Ferdos Forudastan Leiterin des Inlandressorts: eine Frau von außen. Als im Sommer eine neue Chefredakteurin engagiert wurde, wurde es Judith Wittwer: eine Frau von außen.
Wittwer ist seit Juli gleichberechtigt neben Wolfgang Krach Chefredakteurin der SZ. Sie kommt aus der Schweiz, wo sie Chefin des Tages-Anzeiger war. Anders als ihr Vorgänger Kurt Kister ist sie kaum durch wuchtige Leitartikel aufgefallen. Sie sei eher die Managerin, eine, die Karriere gemacht habe wie keine vor ihr, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. In der SZ beschreiben sie viele als freundlich und kompetent in Sachen digitale Transformation. Aber auch als schweizerisch diplomatisch in den aktuellen Konflikten.
Der Verein Pro Quote Medien zählt regelmäßig, wie viele Führungspositionen in den Medien mit Frauen besetzt sind. 2012, als der Verein damit anfing, waren bei der Süddeutschen rund 4 Prozent der Machtpositionen weiblich besetzt – so wenige wie in keinem anderen Printmedium. Bei der letzten Zählung, Mitte 2020, waren es gut 34 Prozent. Die SZ ist damit nun auf dem vierten Platz. Es ist also viel passiert, einerseits. Andererseits ist der vierte Platz nichts, womit man sich in München gerne zufrieden gibt.
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