Selenski auf Europavisite: Eine Antwort schuldig

Solidarität mit der Ukraine? Ist im Westen längst zur Floskel verkommen. Umso nötiger ist eine klare Ansage, was das konkret heißt – und was nicht.

Ursula von der Leyen und Wolodimir Selenski.

Seit' an Seit': EU-Kommissionchefin von der Leyen und der ukrainische Präsident Selenski in Brüssel Foto: Yves Herman/reuters

Wir haben sie noch im Ohr, die Warnung von Kanzler Olaf Scholz vor einem Überbietungswettbewerb. Damit gemeint waren, das ist noch nicht allzu lange her, Waffenlieferungen an die Ukraine.

Doch dieser Wettbewerb ist schon längst in vollem Gange. Das zeigte sich erneut beim Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski anlässlich des EU-Gipfels in Brüssel – nach London und Paris die dritte Station der spontanen Europavisite. Standing Ovations im Parlament nebst der Begrüßung „Slawa Ukraini!“ (Ruhm der Ukraine) durch Parlamentspräsidentin Roberta Metsola – eine auch in ukrainisch nationalistisch grundierten Kreisen gängige Standardformel. Sie klingt, von westlichen Po­li­ti­ke­r*in­nen in den Mund genommen, absolut deplatziert.

Bei einem solchen Präsenztreffen geht es auch immer wieder um die viel beschworene Solidarität mit der Ukraine, die „zur europäischen Familie gehört“. Floskeln, wie die, man stehe fest an der Seite Kyjiws, sind so ritualisiert wie inhaltsleer. Sie stehen vielen Interpretationen offen. Folglich überrascht es nicht, dass Scholz’ Mantra, Russland dürfe diesen Krieg nicht gewinnen, genauso nebulös bleibt wie die Ankündigung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Ukraine bis zum „Sieg“ unterstützen zu wollen.

Diese Rhetorik muss Selenski geradezu dazu ermutigen, seinen Forderungskatalog immer weiter zu verlängern – inklusive eines beschleunigten Beitritts der Ukraine zur EU. Denn anders als Macron und Scholz redet die ukrainische Führung Klartext: Sieg, das heißt Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine – nicht nur aus den seit dem 24. Februar 2022 besetzten Gebieten, sondern auch aus dem Donbass und von der Krim.

Zur Erreichung dieses Ziels sollen die westlichen Staaten Kampfflugzeuge liefern – für Scholz eine rote Linie, doch derer gab es schon einige. Solidarität, ja bitte. Aber hat sie auch Grenzen? Nicht zuletzt diese Frage muss der Westen eindeutig beantworten. Das ist er vor allem den Ukrai­ne­r*in­nen schuldig.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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