Selektive Aufnahme von Geflüchteten: Zwei-Klassen-Asyl
Die Luftbrücke aus Kabul ist richtig. Umso größer ist der Hohn für die Schutzsuchenden, die nicht für ausländische Regierungen gearbeitet haben.
![Junge Frau trägt ihren Sohn Asrah auf dem Arm Junge Frau trägt ihren Sohn Asrah auf dem Arm](https://taz.de/picture/5047214/14/25884580-1.jpeg)
E s gibt neuerdings zwei Klassen von Fliehenden aus Afghanistan. Die einen haben in der Vergangenheit für ihr europäisches Gastland gearbeitet und sich dadurch in der afghanischen Heimat in Gefahr gebracht, seit dort wieder die Taliban an der Macht sind. Sie bekommen jetzt Einreisevisa und Aufenthaltsrecht und werden mit dem Flugzeug abgeholt – jedenfalls sofern sie die richtigen Papiere haben und überhaupt zum Flughafen von Kabul gelangen, was vielen verwehrt wird mittels Bürokratie und Waffengewalt oder einfach deswegen, weil sie gar nicht bis in die Stadt kommen.
Die anderen Flüchtenden aus Afghanistan werden einfach nur verfolgt und fürchten um ihr Leben, weil ihre bisherige Vita nicht den Moralvorstellungen der Taliban entspricht. Sie können jetzt sehen, wo sie bleiben. Entweder werden sie gleich an den Toren des Flughafens von Kabul zurückgewiesen und erschossen, oder sie landen in von Spitzeln durchsetzten Lagern in der Islamistenhochburg Pakistan, oder sie sterben auf dem Weg nach Europa: auf der lebensgefährlichen Odyssee durch Iran und die Türkei, in der Hölle der griechischen Insellager oder irgendwo in einem der vielen rechtsfreien Räume Europas zwischen Bosnien und Calais, in denen „Illegale“ gejagt werden wie Ungeziefer.
Diesen Flüchtlingen wird Europa nicht die Hand reichen, denn „2015 darf sich nicht wiederholen“, wie es derzeit fast täglich irgendein deutscher Politiker sagt. Man wird vielleicht noch ein paar medienwirksame Sonderevakuierungen veranstalten – für „Verteidiger der Menschenrechte, Künstler, Journalisten“, wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verspricht – und vielleicht kommen sogar einige Zehntausend in den Genuss eines Resettlement-Programms. Aber auch das heißt: Europa wählt einzelne Personen aus, der Rest wird ignoriert.
Das ist neu: Europa sucht sich seine Afghanistanflüchtlinge selbst aus. Über Einreise und Aufnahme entscheidet nicht das Ausmaß der Gefährdung, sondern der Grad der Loyalität beziehungsweise das europäische Interesse. „Die Menschen, die für uns gearbeitet haben, denen gegenüber haben wir eine Verpflichtung – aber das muss exakt begrenzt sein auf diese Menschen“: Wer hätte gedacht, dass die Maxime von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland zu Afghanistanflüchtlingen ziemlich genau die Position der EU und ihrer Regierungen wiedergibt.
Die westliche Luftbrücke aus Kabul ist gut und richtig. Sie zeigt, was möglich ist, wenn man nur will. Umso größer ist der Hohn für die große Mehrheit der Afghanen, die Schutz brauchen, ohne für ausländische Regierungen gearbeitet zu haben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau