Evakuierungen aus Afghanistan: Retten, wen man retten kann

Die Bundesregierung muss die Evakuierungen ausweiten, fordert „Pro Asyl“ – und auch in Nachbarländer geflüchtete Menschen aufnehmen.

Menschen steigen aus einer Bundeswehrmaschine, Kinder schauen auf einen deutschen Sodaten, der etwas erklärt

Nach der Evakuierung aus Afghanistan: Zwischenlandung in Taschkent Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr via dpa

BERLIN taz | Die Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ hat die Bundesregierung aufgefordert, alle Schutzbedürftigen mit Bezug zu Deutschland aus Afghanistan zu retten. Dafür müssten die Evakuierungen aus Kabul so lange wie möglich fortgesetzt und gleichzeitig Aufnahmeprogramme aus den Nachbarstaaten vorbereitet werden, erklärte der Geschäftsführer der Organisation, Günter Burkhardt, in einem Pressegespräch am Freitag. Bereits jetzt müsse die Bundesregierung Gespräche etwa mit Iran, Pakistan und Usbekistan aufnehmen und den Ländern versichern, geflüchtete Ortskräfte von dort nach Deutschland zu holen.

Die Betroffenen bräuchten eine verbindliche Zusage, dass Deutschland sie aufnimmt, so Burkhardt weiter. Insgesamt sei die Gruppe der aufnahmeberechtigten Ortskräfte zurzeit viel zu eng gefasst: „Die Taliban interessiert nicht der Arbeitsvertrag“, stellte er klar. Menschen, die von Subunternehmen beschäftigt wurden, sowie Personen, deren Arbeitsverhältnis vor mehr als zwei Jahren endete, müssten ebenfalls sofort in die Rettungsmission einbezogen werden.

Auch die Gruppe der Familienangehörigen, die schutzberechtigt sind, muss laut „Pro Asyl“ weiter gefasst werden. „Die Engführung auf die Kernfamilie, wie sie das Bundesinnenministerium festgelegt hat, ist unerträglich“, kritisierte Burkhardt. Bislang erhalten nur Ehe­part­ne­r:in­nen sowie deren minderjährige Kinder Schutz. Dabei seien volljährige Kinder und weitere Familienmitglieder genauso gefährdet, so Burkhardt. Das gleiche gelte für Angehörige von in Deutschland lebenden Geflüchteten: Auch sie seien in Lebensgefahr. Alle Botschaften in der Region müssten deshalb unbürokratisch und schnell Visa zum Familiennachzug ausstellen, forderte Burkhardt.

Trotzdem bleibt die Frage: Wie gelangen die Menschen überhaupt aus dem Land – zumal die Sorge besteht, dass der Flughafen von Kabul nicht mehr lange offen gehalten wird. Für Karl Kopp, Leiter der Europa-Abteilung von „Pro Asyl“, steht fest: „Es hängt von den Taliban ab, ob die Leute herauskommen.“ Nach Auffassung von „Pro Asyl“ bleibe nichts anderes übrig, als mit den Taliban zu verhandeln. Nur so bestehe die Chance, dass zumindest die Fluchtwege in die Nachbarländer offen bleiben.

Mit Taliban verhandeln

Die Evakuierungen müssten dann aus den Anrainerstaaten fortgesetzt werden. „Dabei geht es um das individuelle Recht auf Schutz und nicht um abstrakte Zahlen“, stellte Burkhardt klar. Mehrere Bundesländer hatten in den vergangenen Tagen Aufnahmeprogramme aufgelegt und Kontingente festgelegt. Das helfe wenig, so Burkhardt, da jede Schätzung derzeit reine Spekulation sei. Das wichtigste Kriterium bleibe die Schutzbedürftigkeit.

Auch aktuelle und ehemalige Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) riefen die Bundesregierung am Freitag dazu auf, ihre Anstrengungen zur Evakuierung von Ortskräften und deren Angehörigen auszuweiten. Sie warnten in einem offenen Brief davor, einheimische Hel­fe­r:in­nen der Entwicklungszusammenarbeit im Stich zu lassen. Die Ortskräfte hätten nie gezögert, sich für ihre deutschen Kol­le­g:in­nen in Gefahr zu begeben. Nun gelte es, sie unbürokratisch und schnell zu retten.

Der „World University Service“, eine internationale Nichtregierungsorganisation, forderte die Bundesregierung auf, auch Wis­sen­schaft­le­r:in­nen die Ausreise zu ermöglichen. Studierende und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen aus Kabul und Herat hätten sich an die Organisation gewandt: „Die Universität ist geschlossen und wir wissen nicht, wie es weitergeht. Bitte vergesst uns nicht und holt uns raus“. Deutschland habe sich in den vergangenen zwanzig Jahren für die Hochschulen in Afghanistan engagiert, so die WSU. Jetzt müsste Deutschland den Studierenden eine Fortsetzung ihres Studiums ermöglichen und den Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Lehr- und Forschungsmöglichkeiten eröffnen.

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