„Sea Watch“-Kapitänin über ihren Einsatz: „Die Blockade der EU wird wanken“
Trotz Drohungen von libyischer Seite lassen sich Seenotretter nicht einschüchtern. Kapitänin Pia Klemp sticht jetzt mit der „Sea Watch III“ in See.
Libyen hat NGOs wie Sea Watch gedroht, falls sie sich in die Zone begeben, in denen die libysche Küstenwache selbst die Rettungen koordinieren will. Sie fahren jetzt trotzdem dorthin?
Wir laufen gerade aus dem Hafen von Malta aus, wir sehen die Lichter noch. In den nächsten 24 Stunden werden wir das Einsatzgebiet erreichen. Soweit wir wissen, soll die Rettungszone, die Libyen abdecken will, ein Gebiet von bis zu 73 Seemeilen vor der Küste umfassen. Da fahren wir auf jeden Fall rein. Libyen hat da überhaupt keine Handhabe. Es sind internationale Gewässer, die für alle frei zugänglich sind und damit natürlich auch für uns. Wir werden bis an die 24-Meilen-Zone vor Libyen fahren.
Es gab in der Vergangenheit mehrfach Konfrontationen mit der libyschen Küstenwache. Teils hat diese geschossen, als sie den Seenotrettern begegnet ist. Wie wollen sie damit umgehen?
Die libysche Küstenwache ist leider völlig unberechenbar. Genau genommen ist es nur eine Miliz. Das macht es für uns sehr schwer, es gibt für uns kein erkennbares Schema ihres Verhaltens. Wir werden mit Vorsicht und Augenmaß unseren Einsatz durchführen und vermeiden, mit denen in Kontakt zu kommen.
Gab es dazu Gespräche mit der italienischen Rettungsleitstelle MRCC in Rom?
Nein. Es gibt keine Absprache mit der MRCC. Man ist da relativ allein gelassen.
Im Sommer waren noch zehn NGOs zur Seenotrettung vor Libyen unterwegs. Wie viele sind nach den Drohungen der Libyer und den Ermittlungen der Italiener noch vor Ort?
Sechs, inklusive uns: Sea Eye, SOS Mediterannée gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen, Mission Lifeline, Proactiva Open Arms und wir.
Auf den Schiffen einer Umweltorganisation kämpfte die 33-Jähige Biologin weltweit gegen Walfangflotten und die Zerstörung der Meere. Jetzt hat sie umgeschwenkt und setzt sich für die Rechte und das Leben von Flüchtenden ein.
Es ist die erste Sea Watch Mission mit einem neuen Schiff. Was ist anders?
Die Sea Watch III ist 20 Meter länger und deutlich breiter als die Sea Watch II. Wir können viel mehr Menschen bei uns aufnehmen und deren Sicherheit gewährleisten. Auch die Crew ist größer: 22 Besatzungsmitglieder, viele Deutsche, aber auch Freiwillige aus Großbritannien, Österreich, den Niederlanden und Italien.
Bevor Sie als Kapitänin zur Sea Watch kamen, waren Sie bei der Tierrechts-Organisation Sea Shepherd. Was haben Sie da gemacht?
Ich war sechs Jahre dort, zunächst als Ship-Manager, später auch auf der Brücke. Ich war bei Missionen im Südpolarmeer gegen Walfang dabei, im Südpazifik gegen illegalen Haifang und gegen Fischfang in einem italienischen Meeresschutzgebiet bei Sizilien.
Kürzlich waren Sie bei einer Talkshow und gelobten, sich für immer für den Schutz der Meere einzusetzen. Jetzt haben Sie das Gebiet gewechselt. Warum?
Für mich ist das gar nicht so sehr ein Fachwechsel. Ich möchte mich gegen alles stellen, was jemanden oder etwas an seinen Rechten beraubt und diese Rechte unterdrückt, ob es Tiere oder Menschen sind. Das eine Unrecht macht das andere nicht kleiner. Ich habe mich letztes Jahr bei der Sea Watch über deren Online-Formular beworben und wurde genommen.
Wie kamen Sie zur Schifffahrt?
Ich habe auf einem Handelsschiff gelernt, ein Kapitänspatent gemacht, dazu einen kommerziellen Yachtenschein. Das war vor sechs Jahren. Danach bin ich direkt zu Sea Shepherd.
Die Lage im zentralen Mittelmeer war zuletzt etwas ruhiger als im Sommer. Was für eine Situation erwarten Sie während ihres Einsatzes in den nächsten Wochen?
Es wurde den Menschen immer schwerer gemacht, Libyen zu verlassen. Es sind sehr viele Gelder geflossen, damit die Küstenwache Pushbacks macht, die Menschen zurückholt und vom Asylantrag abhält. Allerdings ist die Lage in Libyen sehr instabil. Wir gehen davon aus, dass die Blockade der Route, die die EU unter großem Kraft- und Geldeinsatz erreicht hat, wieder ins Wanken gerät.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt