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Schule in CoronazeitenWoher kommt die Ungleichheit?

In der Pandemie sorgen sich auf einmal alle um „benachteiligte“ Kinder. Das sagt mehr über die Besorgten als über die Situation der Schüler*innen.

Das Bildungssystem ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems Foto: Fleig/Eibner-Pressefoto/imago

E s ist schon herzzerreißend, wie sehr sich das Bildungsbürgertum im zweiten Lockdown um sie sorgt: „benachteiligte“ Kinder aus „sozial schwachen“ Familien; Kinder, die durch die Schulschließungen den Anschluss beim Unterrichtsstoff verlören, weil sie kein digitales Endgerät besäßen oder ihre Eltern ihnen bei den Schulaufgaben nicht helfen könnten; Kinder, die jetzt endgültig die Chance verpassten, sozial aufzusteigen; Kinder, die man gleich selbst verliere, an die tägliche Tracht Prügel der Proleteneltern, an Computerspiele, an die Straße.

Da ist natürlich was dran. Wer ein Proletenkind ist, für den führt der Weg zum sozialen Oben durch die Schule. Proleteneltern können ihren Kindern bestimmt weniger helfen, weil sie nicht über jenes ökonomische Kapital verfügen, das sich jederzeit in kulturelles und soziales Kapital verwandeln lässt. Es gibt gewalttätige Eltern, wobei ihre Gewalt auch irgendwoher kommt. Für ihre Kinder kann die Schule Zufluchtsort sein. Auch für Proletenkinder, die nicht geschlagen werden, wird in der Schule erfahrbar, was alles anders sein kann.

Trotzdem verraten die Sorgen der Besorgten mehr über sie selbst als über die Situation der Proletenkinder. Die Besorgten sprechen zwar über soziale Ungleichheit und dass die Schule dieser entgegenwirken würde. Aber sie reden nicht darüber, woher diese Ungleichheit kommt. Sie wollen nicht wissen, wo genau sich der Nullpunkt des Übels befindet, weil dieser zu ihnen selbst führen, auf diese Weise ihr angenehmes Wohl mit dem betrauerten Übel verbinden würde. Weil sie aber keine schlechten Menschen sind, glauben sie fest daran, dass die Schule das Problem schon irgendwie, irgendwann, irgendwo lösen wird. Und wenn sie dann mitfühlend auf die armen Proletenkinder blicken, dann sehen sie in ihnen vor allem unvollkommene Versionen ihrer selbst.

Ihr Bildungsfetisch führt dazu, dass der Unterschied zwischen den „benachteiligten“ und anderen Kindern als ein Problem des Mehr- oder Wenigerwissens erscheint; nicht als eines systematischer, nicht nur tolerierter, sondern gewollter und durch die Schule geförderter ökonomischer Ungleichheit. Die Überhöhung der Bildung diente vor und auch in der Coronakrise dazu, Ungleichheit zu zementieren, weil man auf die Schule zeigen kann als Ort, an dem jeder die Chance habe, sein Schicksal zu verändern.

Als die Coronakrise begann, dachten manche, dass die Pandemie zu einem Umdenken führen könnte, weil sie offenbart, wie unvernünftig unsere Gesellschaft eingerichtet ist. Wie naiv das war, wissen wir heute. Die Fließbänder laufen trotz über 1.000 Coronatoter am Tag weiter, und auch beim Thema Bildung zeigt sich: Die Not weicht den Fetisch nicht auf, sie verhärtet ihn. Und je offener und schmerzlicher die Ungerechtigkeit zu Tage tritt, desto fanatischer beschwören die Besorgten ihren Irrglauben. Dabei wissen auch sie, dass unser Bildungssystem keine Lösung, sondern Teil des Problems ist.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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23 Kommentare

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  • RS
    Ria Sauter

    Das System war schon immer ungerecht. Meine inzwischen 40jährige Tochter wurde am Gymn. übelst gemobbt, da wir die angesagten Markenklamotten nicht bezahlen konnten.



    Das System ist festgefahren und wird sich auch in oder nach Corona nicht verbessern.

  • Das schlimme ist dass die benachteiligten Kinder auch wenn alle zur Schule gehen weiter benachteiligt werden. Dagegen sagt dann aber niemand der Leute die sie sie jetzt für ihre Zwecke instrumentalisieren etwas. Ich würde gerne wissen was Lobby Vereine im Moment bzw. In Sachen so alles lancieren um die Coronapolitik zu beeinflussen. FidK und streeck sind ja nur die bekanntesten Beispiele. Präsenzunterricht wird hochgejubelt. Wer aber wie ich in einer hamburger Stadtteilschule in Kirchdorf süd arbeitet weiß dass die benachteiligten Kinder auch die Sparmaßnahme die als Inklusion getarnt wird komplett alleine ausbaden müssen. In Wirklichkeit möchte das obere Bürgertum dass seine Kinder keine Nachteile hat und die armen benachteiligten Kinder werden schamlos vorgeschoben. Andere wollen das die Eltern weiter arbeiten und instrumentalisieren schamlos die benachteiligten Kinder. Hinterher wird keiner das Gymnasium antasten. Wir lassen es zu dass die biodeutschen oberen Bürger ihre Kinder in eigenen Schulen dazu bringen, dass sie den selben sozialen Status haben wie die Eltern selber. Grundsätzlich zum Kotzen diese Scheinheiligkeit

    • @bartosh:

      Sie beschreiben genau meine Erfahrungen mit unserem Schulsystem und dem Verhalten der bürgerlichen Mitte, wenn es um Solidarität mit den KIndern geht, die per se benachteiligt sind.

  • Naja -- irgendwie richtig. Und dann doch wieder nicht.

    Irgendwo muss mensch ja anfangen, und Schule scheint ja ein guter Startpunkt zu sein.

    Ich bin ja eher Praktiker: lasst uns endlich das mehrstufige deutsche System abschaffen. Sowas von XIX Jahrhundert, ey.

    "Als die Coronakrise begann, dachten manche, dass die Pandemie zu einem Umdenken führen könnte [...] Wie naiv das war, wissen wir heute"

    Auch wieder sehr richtig, dann auch wieder nicht: jeder revolutionäre Moment braucht eine ordentliche Portion Naivität: das ist ein Bisschen wie verliebt sein. Ohne gibt es keine Veränderung.

  • Ich rate mal, daß auch das "Bildungsbürgertum" am Unterrichten ihrer Kinder gnadenlos scheitert. Was die Hälfte und das Doppelte einer Anzahl Äpfel ist, kammer ned mit klugen Zitaten und der Schönheit der Lavendelfelder der Bretagne (oder wo auch immer in Frankreich das blaublütige Grünzeug in Massen wächst) erklären.



    (Ich hab mal für die Tochter eines Freundes Nachhilfe gegeben, daran bin ich fast verzweifelt *lol*, aber die Kleine hatte es irgendwann kapiert.)

  • Deutschland hat, wie schon mehrfach von der OECD kritisiert, ein sehr ungerechtes, weil sozial selektives Bildungssystem. Das war vor Corona so, das wird nach Corona wieder so sein und es wird sich auch langfristig wenig ändern, weil keine strukturellen Reformen in Sicht sind.



    Selbst die Tatsache, dass ein hohes/gutes Bildungsniveau positive Auswirkungen auf verschiedene Bereiche hat, ist leider kein Ansporn für unsere PolitikerInnen, endlich etwas zu ändern. Deutschland hat in verschiedenen Bereichen den Anschluss verpasst. Ob bei der digitalen Infrastruktur, den Informationstechnologien oder der Lehrerausbildung, überal wurde der Anschluss dem Diktat der schwarzen Null unterworfen. Und genau das ist, was der jungen Generation noch sehr schaden wird und nicht etwa hohe



    Staatsschulden, die ohnehin nicht komplett zurück gezahlt werden.

    • 2G
      27871 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Na, wenn die ohnehin nicht komplett zurück gezahlt werden, kann man doch ruhig noch mehr davon machen. Ist das schon ein Ergebnis der staatlich zusammengesparten Schwarzen-Null-Lehrerausbildung?

      • @27871 (Profil gelöscht):

        Nein, erster Semester Volkswirtschaft.



        Ich kenne natürlich die Propaganda mit der unzumutbaren Belastung der jungen Generation und Staatsschulden. Der Staat ist keine schwäbische Hausfrau.

        • 2G
          27871 (Profil gelöscht)
          @Rolf B.:

          "erster Semester Volkswirtschaft."



          Das halte ich für einen populistischen Witz, denn in VWL wurde ich auch mal ausgebildet, und da kam das nicht vor.

          • @27871 (Profil gelöscht):

            Als Dipl. Volkswirt lasse ich mich gerne belehren von Ihnen, weil Sie auch mal in VWL ausgebildet wurden.



            Wer hier Populist ist, will ich aber nicht mit Ihnen klären.

            • 2G
              27871 (Profil gelöscht)
              @Rolf B.:

              Na, wenn Sie sogar VWL Dipl. Ing. sind, sollten Sie doch lieber belehren, oder?



              Fangen Sie am besten mit dem ungerechten Bildungssystem an, was ist ungerwcht, was kann man wie besser machen und wovon finanzieren und was mit den Staatsschulden passiert, die ohnehin nicht komplett zurück gezahlt werden.

  • Was für ein Schubladendenken schon wieder: Alle die um "Proletenkinder" besorgt sind, sind verlogene Bildungsbürger, die mit ihrer Sorge eigentlich nur ihr Gewissen beruhigen wollen?



    Hauptsache wieder arrogant jedem über den Mund fahren, der die Coronamaßnahmen kritisiert. Ich als "Proletenkind", das trotzdem Abi gemacht und einen gutverdienenden Akakemiker geheiratet habe, mache mir Sorgen um Kinder, die nicht die selben Chancen haben wie meine gepamperten Kinder mit eigenen Kinderzimmern plus Laptop für jedes Kind, plus Eltern die genug Zeit, Geld und Nerven haben um sie bestmöglich durch diesen Scheiß zu bringen. Ja, meine Kinder haben es gut. Ich hatte es nicht so gut, und es erschreckt mich, wie wenig Interesse und Einsatz für Kinder aus "sozial schwachen" Familien seitens der Gesellschaft vorhanden ist. Und das kann man gar nicht oft genug sagen. Kommentare wie die von Volkan Agar tragen sicher weder zur Besserung der Chancen von Kindern in der Coronakrise noch zu einer Änderung des grundsätzlichen Problems bei. So etwas macht einfach nur auf plumpe Art und Weise Maßnahmenkritiker schlecht. Meiner bescheidenen Meinung nach... Schade

    • 2G
      27871 (Profil gelöscht)
      @Bibi Blocksberg:

      Ich beschäftige mich viel (in meiner Freizeit) mit Bildungschancen und lese dabei viel "Kritik" zum dt. Bildungssystem. Da Kritik jedoch auch konstruktiv sein soll, erwarte ich natürlichnauch Lösungsvorschläge.

      Die findet man aber selten. Der bisher beste, den ich auch aus persönlicher Erfahrung voll unterstütze, ist die Beschäftigung von ausreichend Sozialarbeitern an Schulen. Denn, was in den Familien, egal ob gut- oder schlechtsituiert, schief läuft, kann kein Fachlehrer im Unterricht ausbügeln. Auch keine Sprachbarrieren oder Auffassungsschwäche.

  • Was ja generell an der ganzen Debatte entlarvend ist -- ALLE Kinder müssen in die Schule wegen der benachteiligten Kinder. Wieso nicht nur die benachteiligten Kinder? Die könnten wir -- abgesehen von den Brennpunktschulen -- an vielen Schulen gut mit Abstand unterrichten. Und was die Brennpunktschulen angeht -- das Problem ließe sich mit ein wenig Organisation innerhalb eines Schulbezirks sicherlich auch lösen.

    • @Libuzzi:

      Wäre das in der Form nicht eine ziemlich deutliche Bloßstellung?

  • 0G
    01068 (Profil gelöscht)

    "Es gibt gewalttätige Eltern, wobei ihre Gewalt auch irgendwoher kommt."



    Mit Sicherheit kommt die (physische und psychische) Gewalt der Eltern irgendwo her, gleichzeitig sind die Kinder ihr ausgeliefert. Im Übrigen unabhängig von Bildungsgrad und Einkommen. Das lapidar abzutuen ist zynisch.



    Was ist der Punkt des Artikels? Kritik an den "Besorgten"?



    Sollte es nicht an Stelle dessen um die Kinder und Familien gehen? Überforderung, beengte Wohnverhältnisse, Existenzängste, psychische Erkrankungen, Suchtproblematiken, Agressionen, massiv verstärkt durch geschlossene Schulen/ eingeschränkte Kitabetreuung?

  • Die Ungleichheit kommt nicht, sie war schon immer da. Unser Bildungssystem bildet soziale Ungleichheit nicht nur ab, es repräsentiert sozusagen das Bollwerk gegen soziale Permissivität in unserer Gesellschaft ... und das mit dem Versprechen genau des Gegenteils dieser gesellschaftlichen Realität, nämlich, dass Bildungschancen und damit sozialer Aufstieg allen Teilhabenden (qua Schulpflicht) möglich sein solle.



    Jetzt, in Coronazeiten, bekomt dieses Bild erkennbar Risse und die Digitalisierung der Schulen soll es nun richten. An der beschriebenen Logik des Systems wird es nichts ändern, denn es ist ja nur eine Minderheit von Kindern - die aus dem Prekariat - die weiterhin aus der Gesellschaft augeschlosen bleiben ... die eigenen Kinder betrifft es ja nicht.



    So lässt sich erklären, dass in den bildungsorintierten Schichten der Gesellschaft dieses Problem zwar glasklar erkannt und analysiert wird, aber ausser der Bereitschft zur Digitalisierung und weiteren kosmetischen Reförmchen des Bildungssystems kein echter Wille zur Veränderung besteht.



    Mit den Coronamassnahmen erhält dieser Reformunwillen lediglich noch eine epidemologische Rechtfertigung obendrauf.

  • 2G
    27393 (Profil gelöscht)

    Wie der Autor selbst schreibt, war das allerdings auch vor Corona immer schon so. Unser Schulsystem lässt seit jeher nur die Selbständigsten der "Proleten" durch bis oben, während Kinder von AkademikerInnen qua Geburt AbiturientInnen sind. Natürlich will niemand aus der Mittelschicht daran ernsthaft rütteln, denn das hieße etwas vom Kuchen abzugeben und bedeutete echte Solidarität. Willkommen im Haifischbecken des Kapitalismus.

    Dass jetzt die Rede davon ist, coronabedingt den ÖPNV einzustellen, schlägt in die gleiche Kerbe. Wer wäre davon betroffen und wem wäre das herzlich egal? Die momentan so beschworene Solidarität bleibt doch bloß ein Marketingbegriff.

    • @27393 (Profil gelöscht):

      Natürlich -- weil es am Ende bei der Debatte um die benachteiligten Kinder gar nicht um die benachteiligten Kinder geht, sondern um die eigenen. Und die sollten weiterhin in die Schule gehen müssen, damit man selbst arbeiten kann. Hier geht es nicht um Solidarität, sondern um den Jahresurlaub.

      • @Libuzzi:

        Es wäre schlicht und ergreifend schön, wenn es um ALLE Kinder gehen würde.