Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien: Wenn Deutschland nicht mehr liefert
Was wäre, wenn die Regierung alle Waffendeals mit Saudi-Arabien stoppen würde? Wir haben das durchgespielt.
Nach der Auspeitschung des Bloggers Raif Badawi, dem Krieg im Jemen und der Hinrichtung von 47 Menschen in Saudi-Arabien Anfang Januar wird immer öfter die Forderung laut, die deutschen Rüstungsexporte in das Königreich zu stoppen. Aber was würde eigentlich passieren, sollte die Bundesregierung tatsächlich entscheiden, die Geschäfte zu blockieren?
■ Käme es zu einem diplomatischen Zerwürfnis?
Ein Embargo der Deutschen würde die Beziehungen belasten, wäre aber keine Katastrophe, meint Saudi-Arabien-Experte Sebastian Sons von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. „Mittel- und langfristig hätte ein Lieferstopp keine Auswirkungen auf der politischen und wirtschaftlichen Ebene“, sagt Sons. „Die Frage wäre, wie man das den Saudis erklärt. Sicherlich hätten sie mehr Verständnis, wenn man sagt, dass der Lieferstopp innenpolitische Gründe hat und sonstige wirtschaftliche Beziehungen davon nicht betroffen sind.“
So unterschiedlich Deutsche und Saudis auch ticken, die Beziehungen beider Länder sind traditionell gut. Als prowestliche Regionalmacht spielt Saudi-Arabien für die USA und Europa eine Schlüsselrolle in der Region.
„Die deutsche Politik braucht Saudi-Arabien aufgrund seiner Rolle in der Region“, sagt Sons. Im Jemen, in Ägypten und in Syrien mischt das finanzstarke und hochgerüstete Königreich mit. Wenn am 25. Januar die Friedensgespräche zwischen den syrischen Konfliktparteien beginnen sollen, werden auch Vertreter Saudi-Arabiens in Genf erwartet. „Ohne die Saudis lässt sich kein Konflikt in der Region lösen“, ist Sons überzeugt.
■ Wäre das saudische Militär weiter kampffähig?
Nach Israel hat Saudi-Arabien das schlagkräftigste Militär der Region. Deutschland liegt mit Platz 5 unter den Zulieferstaaten zwar weit vorn, sei aber „ein Nischenlieferant“, sagt Michael Brzoska vom Friedensforschungsinstitut IFSH in Hamburg.
Rüstungsexperte Max Mutschler
Ein deutsches Embargo würde die Saudis daher nur wenig jucken: Deutsche Kriegsschiffe (s. unten) zum Beispiel könnten leicht ersetzt werden, mit etwas Verzögerung auch die Bauteile für den Grenzzaun, den die Saudis um ihr Königreich ziehen.
Ein wenig Schwierigkeiten würde der Verzicht auf die Eurofighter machen, für die Deutschland wichtige Bauteile liefert (s. unten). Letztlich könnten aber auch sie ersetzt werden. Ein Großteil der saudischen Kampfjets sind ohnehin F15-Bomber amerikanischer Produktion.
Auch die Leopard-II-Panzer und G36-Gewehre, deren Ausfuhr Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im vergangenen Jahr untersagt hat, kann Saudi-Arabien ersetzen. „Die Absage aus Deutschland war vor allem aus Prestigegründen nicht schön“, sagt Max Mutschler vom Internationalen Konversionszentrum Bonn. „Aber die Saudis haben Alternativen. Man müsste das Vorgehen international koordinieren, um sie wirklich zu treffen. Trotzdem wäre es richtig, wenn Deutschland hier voranginge.“
■ Würde die deutsche Wirtschaft leiden?
Nächster Halt: Riad-Mitte. In der saudischen Hauptstadt baut Siemens derzeit zwei U-Bahn-Linien inklusive Signalanlagen und fahrerlosen Wagen, der Konzern bekommt dafür 1,5 Milliarden Euro. Was, wenn solche Aufträge wegfallen, weil die Saudis nach einem Waffenembargo wider Erwarten die Wirtschaftsbeziehungen zurückfahren?
Nun ja. 2014 machten Lieferungen nach Saudi-Arabien gerade mal 0,8 Prozent der deutschen Exporte aus. In die Rezession kann uns Riad also kaum stoßen. Umgekehrt hängt die deutsche Wirtschaft auch nicht von Ölimporten aus der Wüste ab. Zuletzt lag Saudi-Arabien auf Platz 11 der Lieferanten – hinter ähnlich dubiosen Staaten wie Kasachstan und Aserbaidschan.
■ Käme es zu Massenentlassungen in Deutschland?
„In der Werft schlägt das wirtschaftliche Herz unserer Stadt“, heißt es in der Imagebroschüre von Wolgast. „Und das soll auch so bleiben“, sagt der Bürgermeister. Stefan Weigler weiß: Ohne den Auftrag aus Riad wäre in seiner Kleinstadt an der Ostsee nicht mehr viel los. Rund 300 Mitarbeiter bauen dort Boote für Saudi-Arabien, hinzu kommen die Angestellten der Zulieferer. „Gäbe es in der Werft keine Arbeit mehr, wäre das für Wolgast eine Katastrophe“, sagt Weigler.
Die Werft fiel vor vier Jahren an die Bremer Firma Lürssen. Deren Spezialgebiet: Luxusyachten und Militärschiffe. In Wolgast baut sie im Auftrag des saudischen Innenministeriums rund 30 Patrouillenboote. Für den Auftrag erhält Lürssen insgesamt über eine Milliarde Euro. Das entspricht einem Jahresumsatz.
Bürgermeister Stefan Weigler
Seit der Kalte Krieg Geschichte ist, hält sich die Bundeswehr mit Rüstungsaufträgen zurück. Für die deutschen Waffenbauer kommen Bestellungen aus Saudi-Arabien also gerade recht. Im ersten Halbjahr 2015 schaffte es das Regime unter die Top Three der wichtigsten Rüstungskunden, und das, obwohl Gabriel die Ausfuhr der G36-Gewehre und Leopard-II-Panzer verhinderte.
Allerdings: Mit offiziell 180 Millionen Euro machten die Exporte nach Saudi-Arabien nur fünf Prozent aller Auslandsgeschäfte aus. Selbst wenn die Dunkelziffer durch Umweggeschäfte über Drittstaaten höher liegt, müsste die Branche ohne Aufträge aus Riad nicht dichtmachen. Auch die Firma Lürssen nicht. Zumindest teilweise hat die Bundesregierung deren Deal mit der saudischen Küstenwache bereits genehmigt. Sollte sie sich doch noch querstellen, könnte Lürssen auf Schadenersatz hoffen.
■ Müsste Deutschland Strafe zahlen?
Eine bereits erteilte Genehmigung zum Export von Kriegswaffen kann vom Wirtschaftsminister „jederzeit“ widerrufen werden, heißt es im Kriegswaffenkontrollgesetz. Natürlich nicht willkürlich. Wenn sich aber die Situation im Empfängerland ändert, ist ein Widerruf möglich. Zwingend vorgeschrieben ist er, wenn nachträglich die Gefahr entsteht, dass die Kriegswaffen „bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden“.
Als Folge des Widerrufs hat das Rüstungsunternehmen, das nun nicht exportieren kann, einen gesetzlichen Entschädigungsanspruch gegen den Staat. Dabei kann das Unternehmen aber nicht die entgangenen Gewinne verlangen, sondern nur den Ersatz seiner tatsächlichen Aufwendungen.
Besondere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn Komponenten deutscher Unternehmen in Rüstungsgüter ausländischer Hersteller eingebaut werden. Typisches Beispiel ist der Eurofighter, eine deutsch-englisch-spanische Koproduktion.
So hat Großbritannien vor knapp zehn Jahren den Export von 72 Eurofightern an Saudi-Arabien genehmigt. Ob die Lieferung inzwischen vollständig erfolgt ist, ist der Bundesregierung nicht einmal bekannt. Deutschland könnte die Restlieferung aber ohnehin nicht stoppen – obwohl Bordkanonen, Navigationsgeräte und der Rumpfmittelteil des Eurofighters aus Deutschland stammen.
■ Würde Berlin in der Menschenrechtspolitik Einfluss verlieren?
Bisher rechtfertigt die Regierung die Waffendeals damit, dass das Regime mit Patrouillenbooten oder Grenzzäunen nicht gegen die Bevölkerung vorgehen könne. Politischen Gefangenen ist demnach mit einem Lieferstopp nicht geholfen. Brächte es also gar nichts, die Rüstungsexporte einzustellen?
„Wenn wir mit so einer Einstellung an die Sache rangehen, können wir gleich aufgeben“, sagt Tom Koenigs, Menschenrechtsobmann der Grünen. „Wir können die Leute vielleicht nicht aus dem Gefängnis holen. Aber wenn die Aktivisten in den Kerkern wüssten, dass andere Länder auf ihrer Seite stehen, wäre schon viel gewonnen.“
Einen Stopp der Waffenlieferungen als Statement, das fordern jetzt sogar Koalitionspolitiker. „Wir werden unser Verhältnis zu Saudi-Arabien neu bestimmen müssen, nicht nur bei Rüstungsexporten“, sagt Michael Brand. Er ist Chef des Menschenrechtsausschusses – und Abgeordneter der CDU.
Nahost-Experte Sebastian Sons
Sebastian Sons von der DGAP allerdings ist skeptisch. Die Deutschen neigten dazu, ihre Gestaltungskraft in Saudi-Arabien zu überschätzen. „Der politische Einfluss Deutschlands ist gering“, sagt er. Das habe sich im Oktober gezeigt, als Frank-Walter Steinmeier in der Saudi-Monarchie zu Besuch war. Der beteuerte zwar, den Fall Raif Badawi dem König gegenüber angesprochen zu haben. Das war‘s dann aber auch schon.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel war zuvor offensiver aufgetreten und hatte sich deutlich für die Freilassung Badawis eingesetzt, öffentlich und im Gespräch mit König Salman. In Riad traf er sich mit engen Vertrauten des Bloggers. Trotzdem: Badawi sitzt weiter in Haft.
■ Würden deutschen Geheimdiensten wichtige Hinweise aus Saudi-Arabien entgehen?
2.04 Uhr: Eine Frachtmaschine von UPS startet am Flughafen Köln-Bonn in Richtung England. 3.00 Uhr: Die Bundespolizei warnt die britischen Behörden vor einer Paketbombe in der Maschine. 4.14 Uhr: Am Flughafen East Midlands identifizieren Beamte das Päckchen. Es kommt aus dem Jemen, ist nach Chicago adressiert und mit dem Sprengstoff Pentrit gefüllt.
Der Vorfall aus dem November 2010 zeigt, wie wichtig Saudi-Arabien als Verbündeter der westlichen Geheimdienste ist: Den entscheidenden Hinweis hatte das Bundeskriminalamt von Behörden in Riad erhalten. Allerdings: Im Dezember beklagte der BND öffentlich, dass Saudi-Arabien seine „vorsichtige diplomatische Haltung“ durch eine „impulsive Interventionspolitik“ ersetze und dadurch selbst zum Sicherheitsrisiko werde. Wer Angst hat, seine saudischen Kontakte zu vergrätzen, klingt eigentlich anders.
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