Roma protestieren in Hamburg: Keinen Schritt zurück
In Hamburg demonstrieren Roma für ein Bleiberecht – selbstorganisiert und jedem Trend deutscher Abschiebepolitik zum Trotz.
Eine Woche lang standen erst fünfzig, dann achtzig, dann hundert Roma und ihre UnterstützerInnen vor der Hamburger Ausländerbehörde, riefen den MitarbeiterInnen durchs Megafon Parolen zu, hielten Transparente: „Alle Roma bleiben hier“. Sie aßen zu Mittag, wenn die Beamten in der Behörde zu Tisch gingen, und pausierten, wenn mittwochs geschlossen war. Tags darauf standen sie wieder dort. Am Samstag soll es nun eine große Demo im Hamburger Schanzenviertel geben.
Dass Roma selbstorganisiert auf die Straße gehen, ist keine Selbstverständlichkeit. Viele aus der Gruppe sprechen nur wenig Deutsch, nicht alle können schreiben oder haben einen Internetzugang. In ihrer prekären Situation, in der die Abschiebung kurz bevorsteht, kostet es Kraft, sich zu organisieren. Auch die Angst spielt eine Rolle, dass sich eine politische Betätigung negativ auswirkt. Für die Demo bekommt sie nun Unterstützung von dem Hamburger Bündnis „Recht auf Stadt – Never mind the Papers“ und dem bundesweiten Netzwerk „Alle bleiben“.
Angestoßen hat den Protest Isen Asanovski. Er kommt aus Mazedonien. In den vergangenen Wochen fuhr er mit anderen in die Hamburger Stadtteile Wilhelmsburg, Stellingen oder Billstedt, „überall dorthin, wo es Flüchtlingsheime gibt“. Er suchte Roma, um sie zu überzeugen, sich nicht mehr nur vereinzelt zu wehren. „Erst hatten die Leute Angst, dass wir nicht ernst genommen würden“, sagt Asanovski, „aber dann waren sie begeistert.“
Lesen Sie mehr über die Proteste der Roma in Hamburg und die Situation in ihren Herkunftsländern in unserem Schwerpunkt in der taz.amWochenende auf Seite 43 bis 45 oder im E-Kiosk.
Es ist nicht das erste Mal, dass Roma für ein Bleiberecht demonstrieren und auf die deutsche Verantwortung verweisen: 1979 gab es eine Aktion in Bergen-Belsen, 1986 auf dem Hamburger Rathausmarkt, 1989 und 1993 besetzten Roma die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Und zigfach auf Kundgebungen in den Jahren danach. Geändert hat sich bis heute wenig.
Anders als in der deutschen Mehrheitsbevölkerung, ist unter den Roma die Erinnerung an die Vernichtung im Nationalsozialismus bis heute präsent: In fast jeder Familie gibt es Verwandte, die von den Nazis auch aus jugoslawischem Gebiet als Zwangsarbeiter verschleppt oder im KZ ermordet wurden.
Dass Roma in Südosteuropa auch heute noch aus Vierteln vertrieben oder von Neonazis und Nachbarn angegriffen werden und der Grund für ihre Armut in der langen Tradition des Antiziganismus liegt – all das wird in Deutschland nicht gehört. Mehr noch, es wird aktiv ignoriert: Um die Zahlen der Flüchtlinge aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu verringern, wurde im November 2014 kurzerhand festgelegt, dass es dort keine rassistische Verfolgung gebe – auch nicht von Roma. Die Länder wurden als „sicher“ eingestuft, Anträge auf Asyl fortan als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.
Das Gesetz hat in Form gegossen, was das Volk schon zu wissen glaubte: Dass es wenige berechtigte Flüchtlinge, etwa aus Syrien gäbe und andere, wie die Roma, das Asylrecht missbrauchten. Die einen sollen Ärzte sein, die anderen kann Deutschland nicht gebrauchen.
Um als Politiker auf die GegnerInnen von Flüchtlingsheimen zu reagieren, ist es praktisch, dieses Ressentiment zu bemühen: Erst am Freitag sagte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) dem Abendblatt, dass Serbien, Albanien und Kosovo einen EU-Beitritt anstrebten, und „aus solchen Ländern kann es keine Flüchtlinge geben, sonst dürften sie nicht in die EU“, so Scholz, der Meister des Zirkelschlusses. 20 neue Beamte bekommt die Hamburger Ausländerbehörde, um Abschiebungen zu beschleunigen. „Wir werden verstärkt daran arbeiten“, so Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), „dass die ausreisepflichtigen Asylbewerber auch tatsächlich ausreisen.“ Wer gemeint ist? Die „schlecht qualifizierten Flüchtlinge, die meistens aus den West-Balkan-Staaten kommen“. Also vor allem: Roma.
Demo „Alle Roma bleiben hier!“: Sa., 18. Juli, 12 Uhr, Hamburg, Beim Grünen Jäger
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