Rentenreform in Frankreich: Mit der Brechstange durchgesetzt
Die Debatte um Macrons umstrittene Rentenreform wurde kurzerhand beendet. Die Regierung übergeht mit einem Verfassungstrick das Parlament
Basta! Der Regierung in Paris dauerte das Palaver über ihre umstrittene Rentenreform schon viel zu lange. Am Samstag hat sie nun, gestützt auf die berüchtigte Verfassungsklausel 49.3, die Parlamentsdebatte kurzerhand für beendet und die Vorlage für „angenommen“ erklärt.
Den empörten Abgeordneten der Opposition bleibt nun lediglich die Möglichkeit, der Regierung das Vertrauen zu entziehen. Die Aussicht, die Regierung damit zu stürzen, sind allerdings sehr gering, denn auch ohne verbündete Stimmen des bürgerlichen Zentrums verfügt Emmanuel Macrons Präsidentenpartei „La République en marche“ (LREM) in der Nationalversammlung über eine absolute Mehrheit.
Premierminister Edouard Philippe hat aus seiner Sicht am Samstag nur die Konsequenzen aus einer verfahrenen Situation gezogen. Die Opposition, vor allem die Abgeordneten der Linkspartei „La France insoumise“ (LFI), hatte nämlich insgesamt mehr als 40.000 „Änderungsanträge“ eingereicht, um so die Debatte absichtlich in die Länge zu ziehen und die Verabschiedung, wenn nicht zu verhindern, so doch maximal zu erschweren.
Dieser Widerstand im Parlament hatte auch das Ziel, der Öffentlichkeit die Schwachstellen dieser Reform aufzuzeigen. Nach zehn Tagen heftiger Rededuelle und Abstimmungen war im Ratssaal des Palais Bourbon erst ein winziger Bruchteil dieser Einwände diskutiert worden. Noch im Verlauf der letzten Woche hatte der Premierminister erklärt, er wolle der Debatte trotz der „Obstruktion“ der Opposition Zeit gewähren, bevor er als letztes Mittel zum Artikel 49.3 greifen würde.
Philippe hat am Samstag die Gegner seiner Reform überrumpelt. Dieser in der Verfassung der Fünfte Republik vorgesehene politische Maulkorb für die Opposition gilt seit jeher als undemokratische „Holzhammermethode“. Normalerweise ist dies ein Werkzeug einer Regierung ohne solide Mehrheit und darum eher ein Zeichen der Schwäche.
Ausdruck eines autoritären Regierungsstils
Dass der Premierminister dieses letzte Mittel bereits jetzt einsetzt, ist mehr Ausdruck eines autoritären Regierungsstils oder auch das Eingeständnis, dass die Vorlage einer eingehenden Prüfung womöglich nicht standhalten würde. Für Philippe und viele Abgeordnete seiner Mehrheit, die über das Ende einer mühseligen Auseinandersetzung erleichtert sind, war diese für eine parlamentarische Demokratie normale Debatte anscheinend eine reine Zeitverschwendung.
Entsprechend heftig fallen die Reaktionen der Opposition aus, die fast einstimmig von einem „Skandal“ sprechen. Die linken Fraktionen haben bereits einen gemeinsamen Misstrauensantrag gegen die Regierung angekündigt, die konservativen Abgeordneten von „Les Républicains“ wollen ihrerseits eine Vertrauensabstimmung beantragen.
Da die Reform des Rentensystems aber aus zwei Vorlagen besteht, betrifft das Vorgehen Philippes nur den wichtigeren der beiden Gesetzestexte, in dem es um die Rentenreform als solche geht. Die Debatte werde darum mit neuen Anträgen zur zweiten Vorlage fortgesetzt, hat der LFI-Vorsitzende Jean-Luc Mélenchon versprochen, der von „totalitären“ Tendenzen der Staatsführung spricht.
Ebenfalls äußerst aufgebracht über das Vorgehen der Exekutive sind die Gewerkschaften, die seit Monaten mit Streiks und Demonstrationen gegen die Reform zu Felde ziehen. Sie rufen bereits zu neuen Kundgebungen und Protestaktionen auf. Diese könnten allerdings im Rahmen der Präventionsmaßnahmen gegen das Corona-Virus von der Obrigkeit wie andere Großveranstaltungen schlicht untersagt werden.
Es ist niemandem entgangen, dass der Premierminister die Beendigung der Parlamentsdebatte im Anschluss an eine Krisensitzung der Regierung zum Thema des Erregers Covid-19 mitgeteilt hat. Das hat seine Gegner erst recht schockiert. Der Regierungschef beeilte sich darum, noch am Abend auf dem ersten Fernsehkanal TF1 zu versichern, zwischen dem Griff zum 49.3 und dem Covid-19 bestehe „keinerlei Verbindung“.
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