Macron macht leichte Zugeständnisse: Rentenreform ohne Alter
Der französische Präsident Emanuel Macron macht beim Gesetzentwurf für die Rentenreform leichte Zugeständnisse – und warnt vor einer Eskalation.
Paris taz | Der Ministerrat unter Leitung von Staatspräsident Emmanuel Macron hat am Freitag den Text der Gesetzesvorlage für die geplante Reform des bisherigen Systems der Renten verabschiedet. Damit liegen die Karten in einem seit Wochen andauernden Streit über die Rente auf dem Tisch. Premierminister Édouard Philippe ist der Meinung, dass es ihm gelungen sei, den Konflikt mit den Gewerkschaften auszusitzen, ohne wesentliche Abstriche zu machen.
Die Vorlage beinhaltet die Vereinigung der heute 42 separaten Kassen in einer einzigen, die Umstellung auf ein Punktesystem zur Berechnung der Höhe der Renten während des ganzen Erwerbslebens statt anhand der 25 besten Jahre im Privatsektor oder der letzten sechs Monate für die Beamten sowie eine geringfügige Erhöhung der Mindestrenten. Der langfristig wichtigste Punkt der Reform besteht darin, dass in Zukunft die Gesamtausgaben für die Renten den heutigen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 14 Prozent nicht übersteigen sollen.
Die ursprünglich angekündigte schrittweise Einführung einer Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre steht dagegen nicht mehr explizit in dem Text. Dieser überträgt aber der Regierung die Kompetenz, je nach Finanzlage die Altersgrenze für den Ruhestand mit dem Anspruch auf eine volle Pension anzupassen – es sei denn, die Sozialpartner einigen sich auf eine andere Lösung zur langfristigen Finanzierungen der Renten. Die Gewerkschaften und die linke Opposition sind gegen diese Reform.
Nach 50 Tagen Demos und Streiks im öffentlichen Verkehr und im Gesundheitswesen, in der Verwaltung, in den Schulen, Kraftwerken sowie Blockaden in den Häfen und vor Raffinerien machen sich aber bei den Gegnern Ermüdungserscheinungen und der Druck der finanziellen Einbußen bemerkbar. Sie haben die öffentliche Meinung angeblich auf ihrer Seite, da laut einer letzten Umfrage für den Fernsehsender BFM-TV 61 Prozent gegen diese Reform sind.
Misstrauen gegenüber Macron
Negativ für die Regierung wirkte sich aus, dass eine „Impact“-Studie über die absehbaren positiven oder negativen Folgen für die verschiedensten Kategorien und Jahrgänge mit Fallbeispielen erst am Freitag publiziert wurde. Diese soll es allen ermöglichen, zu prüfen, ob sie zu den Gewinnern oder Verlierern des neuen Systems gehören. Alle haben aber bereits verstanden, dass sie für gleich viel oder weniger länger arbeiten sollen als bisher.
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In Frankreich arbeitet bislang weniger als ein Drittel der 60- bis 64-Jährigen. Der Mangel an Transparenz beim Vorgehen der Regierung, die heute einräumt, dass viele Punkte noch geklärt werden müssten, hat das Misstrauen noch verstärkt.
Die Zehntausenden, die am Freitag erneut demonstriert haben, wollen daran glauben, dass die Bewegung unvermindert weitergeht und dass Präsident Macron zur „Einsicht“ kommt und die Reform doch noch zurückzieht. Der Staatschef warnte dagegen seine Gegner, in ihrer Wut auf eine gewaltsame Eskalation zu setzen. Er hat persönlich in den letzten Tagen Morddrohungen erhalten. Und bei einem Theaterbesuch vor einer Woche versuchten Demonstranten, den Saal zu stürmen.
Leser*innenkommentare
Reinhold Schramm
Deutsche Rente: dann hätte Frankreich einen Bürgerkrieg!
Geringere Produktivität in FR als in Deutschland. Aber eine vergleichsweise hohe Rente für Arbeiter und Angestellte in Frankreich!
In Frankreich liegt die wirtschaftliche Produktivität deutlich unterhalb der durchschnittlichen Produktivität Deutschlands. Zugleich liegt die durchschnittliche Altersrente um etwa 50 Prozent über der gesetzlichen Rente in der Bundesrepublik.
Dabei liegt das Renteneintrittsalter derzeit bei 62 Jahren, bzw. 41,5 Erwerbsjahren, ohne Abschläge [keine Kürzung der Altersrente].
In Deutschland liegt für die heutige mittlere Erwerbsbevölkerung der Renteneintritt bei 67 Jahren, bzw. 47 Erwerbsjahren. Aktuell ist nach Erreichen von 45 Jahren in Vollzeitarbeit noch ein Renteneintrittsalter ab dem 63. Lebensjahr möglich.
Privilegierte Ausnahmen gibt es in Frankreich und Deutschland nur für Staatsdiener und Beamte im höheren Dienst. Ebenso für ParlamentarierInnen und Manager.
25.01.2020, R.S.
Margit Englert
In Deutschland leben mit dem Punktesystem der Rentenberechnung rund 20% der Renter*innen unter der Armutsgrenze. Die Lebenserwartung der Armen liegt weit unter der der Reichen. Das soll ein gerechteres System sein? Es ist das System des neoliberalen europäischen Projekts, das gesellschaftlichen Reichtum permanent von unten nach oben umleitet.
Wie es sich in Deutschland zeigt, ist das Punktesystem sehr leicht kontinuierlich immer weiter manipulierbar Richtung niedrigerer Renten und längerer Arbeitszeit. Zudem werden die Renten durch das Punktesystem komplett individualisiert, das beste Mittel gegen die Solidarisierung der ärmeren Bevölkerungsschichten.
Und: Die Folge von Rentenkürzungen ist die Privatisierung der Altersversorgung, ein neuer Schub unter anderem für Immobilienfonds, eine neue Runde der Ausbeutung, diesmal durch Mieten, wird eingeleitet.
Nein, es ist es nicht "Misstrauen" durch "mangelnde Transparenz" oder "Diletantismus", sondern gesunder Menschenverstand und eine klare Analyse, die die Menschen dazu bringen, gegen ein solches System aufzustehen.
Ja, der Zorn muss eskalieren und es muss endliche eine mindestens europaweite Solidarisierung geben! Für eine humane, demokratische und gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums!
Rudolf Fissner
"... 61 Prozent gegen diese Reform sind."
Das ist das schöne am Älterwerden als Teil des Pillenknicks: Man ist in der Mehrheit ;-)
Rolf B.
Ist das Demokratie,
wenn ein Alleinherrscher gegen die Interessen des Volkes regiert?
Anders gefragt: Sind deutsche Minirenten Vorbild für Europa?
Hans aus Jena
@Rolf B. Sowohl Macron wie seine Mehrheit in der Nationalversammlung sind in normalen, fairen, geheimen Wahlen gewählt. Ja, das ist Demokratie.
Rudolf Fissner
@Rolf B. Sie haben vollkommen recht. Die jungen Verdiener müssen mehr in die Rentenkassen zahlen, damit der auf uns zu kommende pillengeknickte langlebige Rentnerberg ein schönes Leben führen kann.
J_CGN
@Rudolf Fissner Wenn sie deutlich mehr verdienen, sprich der zu erwartende Produktibitätgewinn an sie ausgeschüttet wird, dann gleicht sich das aus. Anaonsten muss man eben diejenigen, die diesen Produktivitätsgewinn anders abgreifen, zur Finanzierung heranziehen.
Bashing der Boomer löst die Situation nicht, genausowenig wie die Absenkung des Rentenniveaus, da dann wenige Menschen noch die entsprechenden Preise zahlen kann. Aber man schaut hier gerne mit Scheuklappen in die Welt.
Adele Walter
@Rudolf Fissner Ich habe als Kinderlose während meines ganzen Berufslebens Transferleistungen für Familien mit Kindern erbracht. Schulen, Kindergeld, Familien-KV, zusätzliche Rentenpunkte für Mütter, die diese auch dann bekommen wenn sie nie eingezahlt haben oder deren Kinder von Hartz IV leben.
Deshalb dürfen die Kinder, die ich zeitlebens mitfinanziert habe ruhig etwas solidarisch mit mir sein.