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Rentenpaket IIVon und für Anzugträger

Die Ampel-Regierung möchte Renten mithilfe des Kapitalmarkts sichern. Über das eigentliche Problem schweigt sie lieber: die Ungleichheit.

Anzugträger für Aktienrente: die Minister Lindner und Heil am 5. März Foto: Michael Kappeler/dpa

Rente stabilisieren – mit neuen Mitteln“, lautet eine vielversprechende Überschrift über dem neuen Rentenpaket der Regierung. Mit den neuen Mitteln ist der Kapitalmarkt gemeint. Weil auf dem bekanntlich schon viele Menschheitsprobleme gelöst wurden, kann gar nichts schiefgehen. Das versuchen die betont staatsmännisch hinter Rednerpulten stehenden Anzugträger Christian Lindner (FDP-Finanzminister) und Hubertus Heil (SPD-Arbeitsminister) auf der dazugehörigen Pressekonferenz auszustrahlen.

Die blaue Wand hinter ihnen, auf der ganz oft „Rentenpaket II“ steht, erinnert an Werbewände, vor die sich Fußballtrainer stellen. Wie der Bayern-Trainer Thomas Tuchel vor einer Werbewand voller Allianz, Paulaner und Audi. Seine dünnhäutigen Reaktionen auf kritische Nachfragen waren zuletzt auch für neutrale Zuschauer schwer zu ertragen.

Der Zugang zum Thema Rente wird einem hier also bereits atmosphärisch erschwert. Dabei fällt mir die Auseinandersetzung damit sowieso schon schwer. Denn das Wort Rente löst bei mir ähnliche Impulse aus wie das Wort Zahnarzt – um beides sollte man sich frühzeitig kümmern, damit es später nicht sehr unangenehm wird. Zahnarzttermine nehme ich mittlerweile regelmäßig wahr. Aber mit wie viel Rente ich rechnen darf, wenn ich so weitermache wie bisher, das weiß ich nicht. Ehrlich gesagt will ich es auch nicht wissen – und am liebsten so weit hinauszögern, bis es nicht mehr geht und der Zahn gezogen werden muss.

Das liegt einerseits an der andauernden allgemeinen Klage über den demografischen Wandel, der für Menschen meines Alters nur Übles bedeuten kann. Andererseits vernachlässige ich das Thema Altersvorsorge vermutlich auch, weil ich in einem Umfeld groß geworden bin, in dem man von der Hand in den Mund lebt, in dem es immer erst mal darum geht, den Tag zu überstehen – und dann mal schauen. Deshalb schrecke ich auf, als hätte ich ein Alien gesehen, wenn Gleichaltrige anfangen, über Maßnahmen der Altersvorsorge zu sprechen, die sie, meist unter Beratung ihrer Eltern, getroffen haben. Wow!

Ungerechtigkeit, die über die Rente hinausgeht

Was ich von zu Hause mitbekommen habe, ist der Rat, dass man von der Rente nicht zu viel erwarten sollte. Die Hälfte aller Rent­ne­r:in­nen in Deutschland bekommt weniger als 1.050 Euro netto gesetzliche Rente im Monat. Damit gelten sie als armutsgefährdet, wenn sie nicht weitere Einkünfte haben.

Der Witz schließlich ist, dass diejenigen, die eine bessere Rente bekommen, in der Regel gar nicht erst auf diese angewiesen sind, weil sie besser verdient haben und auch auf anderes Vermögen zurückgreifen können. Außerdem leben sie länger als diejenigen, die sich kaputtgeschuftet haben, um dann die noch verbleibende kurze Lebenszeit in Armut abzusitzen.

Deshalb kann ich staatsmännische Anzugträger vor blauen Werbewänden nicht ernst nehmen, solange sie über die „Chancen des Kapitalmarkts“ (Lindner) sprechen statt über jene unerträgliche Ungerechtigkeit, die weit über das Thema Rente hinausgeht.

Dem Fußballtrainer Thomas Tuchel dagegen höre ich wieder sehr gerne zu, seitdem er mithilfe anderer Konsequenzen daraus gezogen hat, dass das mit ihm und dem FC Bayern nicht so recht zusammenpasst, weshalb die Zusammenarbeit zu Saisonende beendet wird. Am Samstag haben die Bayern die Mainzer übrigens mit 8 zu 1 Toren besiegt.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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11 Kommentare

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  • Die Typen tun so, als wäre 2008 nie passiert.

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Der Rente eine Komponente hinzuzufügen, die auf Kapitalmarkterträge setzt, ist längst überfällig. Unser Rentensystem stammt aus einer Zeit mit starkem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum sowie einer vergleichsweise geringen Lebenserwartung.

    Dem Problem einer schrumpfenden werktätigen Bevölkerung wird heute versucht mit Zuwanderung zu begegnen. Im Hinblick auf Rentenzahlungen kann es dabei zu einem bösen Erwachen kommen, wenn sich herausstellt, dass viele Arbeitsmigranten zwar gerne in Deutschland arbeiten, ihre Rente aber dann doch lieber in ihrer Heimat verbringen. Auch viele Deutsche verbringen ihren Lebensabend gerne dort, wo sie früher Urlaub machten oder das Leben einfach günstiger ist. Dadurch fließt Geld aus der Volkswirtschaft ab, das deutsche Rentner bislang entweder im Land ausgaben oder der Wirtschaft als Spareinlage zur Verfügung stellten.

    Der Kapitalmarkt ist kein Kasino, wie es viele zu glauben scheinen, er dient der Finanzierung von Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen und Bedürfnisse befriedigen. Trotz einiger Crashs lag die durchschnittliche Rendite des DAX seit Anfang der 80er bei über 8%. Keine andere Anlageform hält da mit. Von 1979 bis 2019 hat die Bundesbank durchgehend Gewinne erwirtschaftet, meist im Milliardenbereich. Wäre das Geld in einen Pensionsfonds geflossen statt in die Aufbesserung des Bundeshaushalts, könnten Deutsche wesentlich entspannter auf die Rente zugehen.

    Ein finanzkräftiger Pensionsfonds kann zudem durchaus ein effizientes Instrument für Staaten sein, um Einfluss auf Unternehmen auszuüben. Der mächtige norwegische Staatsfonds dürfte wesentlich mehr Einfluss auf globale Konzerne haben, als die EU mit ihren Klagen, Subventionen und solchen bürokratischen Konstrukten wie dem Lieferkettengesetz.

  • Ja, irgendwie ist es schon merkwürdig.



    Da haben zukünftige Renter und Verbraucherschützer rausbekommen, dass es für diejenigen, die auf die spätere Rente angewiesen sind, eine ganz schlechte Idee ist, am Kapitalmarkt mitzuspielen, weil man entweder Geld verliert oder sich von den Instituten über den Tisch ziehen lässt (Riester lässt grüßen)



    Und als Antwort darauf beschließt der Staat, nun mit dem Geld aller Rentner am Kapitalmarkt mitzuspielen.



    Soll das ein zentrales Riester werden, damit die Institute garantierte Rendite einfahren, oder wird es ein Hochrisikoprodukt, damit man die Chance hat wirklich alles zu verspielen?

    • @Herma Huhn:

      Der Staat will mit umgerubelten Staatsanleihen am Kapitalmarkt spielen, also mit Kapital, was aus Steuereinnahmen zurückzuzahlen ist.



      Beim "Riestern" hat der Staat auf Steuereinnahmen verzichtet und dann wirds kompliziert *lol* .



      "Riester" ist Zusatzrente, die Einnahmen aus dem 200Mrd.-Fond sollen die Rentenbeiträge deckeln irgendwann.



      Warum Hubertus da auf einmal der beste Freund vom Christian ist, weiß ich ned.



      Warum es keine Grundrente gibt, wo mer ab Renteneintrittsalter, egal mit welcher Arbeitsbiographie, Anspruch hat, kapiere ich ned.

    • @Herma Huhn:

      "Soll das ein zentrales Riester werden, damit die Institute garantierte Rendite einfahren, oder wird es ein Hochrisikoprodukt, damit man die Chance hat wirklich alles zu verspielen?"

      Jap das vermute ich genauso.

      Ich möchte aber zusätzlich einen Schritt weitergehen und unterstellen dass der Zweck dieser ver-Marktung der Rente vor allem eines ist :

      Eine weitere FETTE Absperrkette um vor Regulierungen und fairer Besteuerung des Finanzkapitals zu schützen. Wir können uns alle schon die zukünftigen Überschriften in verschiedensten Medien ausmalen : " XY bläßt mit seinen/ihren Vorschlägen zur Finanzmarktreform zum Großangriff auf deutsche Rentner*innen"

  • Wenn ich 200 Euro aufs Sparbuch einzahle, mein Nachbar nur 100, und ich deshalb doppelt soviel Zinsen bekomme, ist das folgerichtig und gerecht, selbst wenn ich die Zinsen garnicht brauche.

    Wenn ich aber mehr in die Rentenversicherung, Betonung auf Versicherung, einzahle, bekomme ich ebenso mehr raus. Nur das soll dann eine "unerträgliche Ungerechtigkeit" sein?

    Die Loesung ist einfach: Alle zahlen den gleichen Versicherungsbetrag ein, alle bekommen dieselbe (Grund)rente raus.

    • @elektrozwerg:

      In die Krankenversicherung zahlen auch alle entsprechend ihrer Möglichkeiten und bekommen unabhängig von den Einzahlungen je nach Bedarf raus.



      Also alle den gleichen Betrag einzahlen wäre gar nicht notwendig.



      Alle gemäß ihres Einkommens einzahlen, am Ende alle eine Grundrente rausbekommen.



      Wird man allerdings niemals umsetzen können.



      Versteht ja jetzt schon niemand, wie die Rente mal geplant war.

      • @Herma Huhn:

        "In die Krankenversicherung zahlen auch alle entsprechend ihrer Möglichkeiten und bekommen unabhängig von den Einzahlungen je nach Bedarf raus."



        Recht schiefer Vergleicht. Während bei Krankenkosten ein konkreter Bedarf festgestellt werden kann, was ist denn der Bedarf bei einer Rente? Wie berechnet sich dieser? Und, davon abgeleitet, was soll eigentlich mit Renten geschehen, die drunter oder drüber liegen?



        Fragen über Fragen...

        • @Encantado:

          Der Bedarf richtet sich nach dem Alter, das die Person erreicht.



          Also tendentiell werden Gutverdiener auch bei gleicher Monatsrente bis zum Lebensende mehr Geld von der Rentenversicherung erhalten.

          • @Herma Huhn:

            Das weicht den Fragen aus.



            Was _ist_ denn so der monatliche Bedarf?

  • "Der Witz schließlich ist, dass diejenigen, die eine bessere Rente bekommen, in der Regel gar nicht erst auf diese angewiesen sind..."



    Das stimmt zwar, aber hier schimmert offenbar ein grundsätzliches Missverständnis durch. Die Rente ist im Wesenskern keine Sozialleistung, sondern eine Versicherung, in der man durch Einzahlungen Ansprüche erwirbt. Insofern erhalten besser Verdienende tatsächlich mehr Rente.



    Über die grundsätzlichen Ursachen der Ungleichheit und ihrer Dämpfung kann man trefflich streiten. Aber die Rentenversicherung in einen Umverteilungsmechanismus umzuwandeln, wird im Endeffekt mehr Probleme schaffen als lösen.