Reichsbürger-Razzia: Noch mehr durchsuchte Polizisten
Zu den terrorverdächtigen Reichsbürgern gehören noch mehr Polizisten als bisher bekannt. Waren sie vorab über die Ermittlungen informiert?
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) bestätigte den Vorgang. Dem Beamten wurde das Ausführen der Dienstgeschäfte untersagt: Er darf die Dienstwaffe nicht mehr führen und das Landeskriminalamt nicht mehr betreten. Der Polizist sei seit November krank und dienstunfähig gewesen, sagte Pistorius dem NDR. Auch davor habe er sich nur in einer kurzen Wiedereingliederungsmaßnahme befunden. Vollwertige Ermittlungsaufträge habe er nicht bearbeitet. Ob er dennoch von den Reichsbürger-Ermittlungen mitbekam, dazu äußerte sich Pistorius nicht.
In Nordrhein-Westfalen soll wiederum eine Polizistin in Petershagen durchsucht worden sein. Sie soll sich laut Medienberichten zuvor an Coronaprotesten beteiligt haben und ist nun ebenso suspendiert. Sowohl sie als auch der niedersächsische LKA-Beamte gehören nicht zu den Festgenommenen, sollen die Terrorpläne aber unterstützt haben.
Beide Festnahmen sind heikel, denn die Ermittlungen beschäftigten die Polizei an diversen Stellen über Monate. Allein an den Durchsuchungen am Mittwoch waren 3.000 Beamte beteiligt. Schon an dem Tag kamen Fragen auf, ob einige Durchsuchte vorab informiert gewesen sein könnten – und womöglich Beweismittel beiseiteschafften. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner nannte die Razzia „ein offenes Geheimnis“ seit Tagen.
Ein Polizist gehört zu den Hauptbeschuldigten
Die Bundesanwaltschaft wirft den 25 Festgenommenen und 29 Durchsuchten aus der Reichsbürger- und Coronaverharmloserszene die Bildung einer terroristischen Vereinigung und einen Putschversuch vor. Unter den Festgenommenen ist ebenso ein Polizist, Michael Fritsch aus Hannover. Er war bei der Kriminalpolizei unter anderem zuständig für die Sicherheit der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen. 2020 radikalisierte er sich dann auf den Coronaprotesten, trat zur Bundestagswahl für die „Querdenken“-Partei „Die Basis“ an. Die Polizeidirektion klagte ihn zuletzt aus dem Dienst, im April verlor er seinen Beamtenstatus. Laut Bundesanwaltschaft gehörte Fritsch nun zum „militärischen Arm“ und „Führungsstab“ der Terrorgruppe.
Innenminister Pistorius forderte einen „Kulturwandel“ bei der Polizei. Die Beamten müssten gegen Kontakte in die Reichsbürgerszene „immunisiert“ werden. Solche Vorgänge müssten gemeldet und besprochen werden. Alles andere schade sonst der Polizei im Ganzen, so Pistorius.
Faeser will eine Verschärfung des Disziplinarrechts
Festgenommenen wurden am Mittwoch auch mehrere frühere Soldaten – neben einem Adelsnachfahren, Juristen, Koch, Sänger oder einer Ärztin. Fast alle waren zuvor an Coronaprotesten beteiligt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte als Konsequenz erneut eine Verschärfung des Waffen- und Disziplinarrechts an, um extremistische Beamte schneller aus dem Dienst zu entfernen. Statt langwierige Disziplinarklagen zu führen, sollen Behörden die Beschuldigten erst mal rauswerfen dürfen – die Entscheidung würde dann erst im Nachgang von Gerichten geklärt. Beide Projekte sollen „zeitnah“ ins Kabinett gehen.
Auch der Bundestag wird sich mit den Razzien beschäftigen. In Sondersitzungen des Innen- und Rechtsausschusses am Montag soll die Bundesanwaltschaft über die Festnahmen und den Ermittlungsstand informieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin