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Jetzt wird's ernst Foto: Lisi Niesner/reuters

Regierungsbildung von Schwarz-RotNoch lange nicht ausverhandelt

Am Freitag übernimmt die Haupt­ver­handlungsgruppe die Koalitionsgespräche. Viele Streitpunkte sind offen, der Zeitplan wackelt.

F raglich ist, ob das ursprüngliche Ziel von CDU-Chef Friedrich Merz, die Regierungsbildung bis Ostern abzuschließen, noch erreicht wird. Nur noch drei Wochen bleiben bis dahin, doch mittlerweile ist von der Frist keine Rede mehr. In der Mitteilung der Generalsekretäre fehlt jegliche Zeitangabe.

CSU-Chef Markus Söder hatte am Dienstag gesagt: „Es dauert so lange, wie es dauert, bis es gut wird. Endlos wird es auf keinen Fall.“ Auch Merz will sich nicht mehr auf Ostern festlegen. Nach der Aushandlung des Koalitionsvertrags müssen die zuständigen Parteigremien dem Entwurf noch zustimmen, und die SPD wird dazu eine Mitgliederbefragung durchführen.

Am Freitag beginnt dann die nächste Runde. Wie die Generalsekretäre von CDU, CSU und SPD am Mittwoch bekanntgegeben haben, übernimmt dann in den Gesprächen zum schwarz-roten Koalitionsvertrag die sogenannte Hauptverhandlungsgruppe. Ihr gehören die Parteivorsitzenden und weitere Spit­zen­ver­tre­te­r*in­nen an. „Die Gespräche sollen vertraulich und im Wechsel im Konrad-Adenauer-Haus, im Willy-Brandt-Haus und in der Landesvertretung des Freistaats Bayern stattfinden“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung.

Wobei es mit der Vertraulichkeit so eine Sache ist: Bis Montagabend mussten Fach­po­li­ti­ke­r*in­nen in 16 Arbeitsgruppen ihre Vorarbeiten abschließen und Ergebnispapiere abliefern. Viele dieser Papiere blieben danach ent­gegen den Absprachen nicht intern, sondern kursieren seit Dienstag in Berlin.

Darin zu sehen: Viele rot und blau markierte Passagen in Klammern – Inhalte also, über die es noch keine Einigung gibt, sondern bei denen Wunschformulierungen von SPD und Union nebeneinander stehen. „In den vergangenen Wochen wurde intensiv, konstruktiv und mit großem Verantwortungsbewusstsein verhandelt“, heißt es in der Erklärung der Generalsekretäre über die erste Verhandlungsphase. Tatsächlich bleibt für die nächste Runde aber noch reichlich Arbeit übrig. Es geht um mehr als „letzte Uneinigkeiten und unklare Formulierungen“, wie es die Union für diese Phase ursprünglich angekündigt hatte.

Die verbliebenen Ampelminister und Nochkanzler Olaf Scholz werden womöglich noch etwas länger im Amt bleiben als gedacht. Sie erhielten am Dienstag zwar schon ihre Entlassungsurkunden vom Bundespräsidenten. Das sieht das Grundgesetz für den Tag, an dem ein neuer Bundestag zusammentritt, zwingend vor. Bis das neue Kabinett ernannt ist, wird das alte die Geschäfte aber weiter führen. Tobias Schulze

Migration: Es geht immer noch restriktiver

In der Migrationspolitik haben sich die Koalitionäre bereits auf massive Verschärfungen verständigt. Die SPD stemmt sich nur noch gegen die radikalsten Pläne der Union.

Beschlossen ist, dass Asyl­be­wer­be­r*in­nen an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden sollen. Das verstößt gegen Europarecht, auch wenn die Rückweisungen „in Abstimmung“ mit Nachbarstaaten stattfinden sollen, wie es im Papier heißt. Ohnehin ist unklar, was genau die Formulierung bedeutet.

Nicht alles in den Papieren gefällt der SPD Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

Ebenfalls geeinigt haben sich Union und SPD darauf, dass Geflüchtete mit subsidiärem Schutz ihre Familie vorerst nicht mehr herholen dürfen. Auch die Einstufung weiterer sicherer Herkunftsländer ist Konsens, etwa der Maghrebstaaten oder Indien. Darüber soll die Bundesregierung ohne Bundestag und Bundesrat entscheiden dürfen. Wer aus so eingestuften Ländern kommt, erhält fast nie Asyl in Deutschland.

Abschiebungen nach Afghanistan sollen weiterlaufen, die nach Syrien wieder aufgenommen werden, „beginnend mit Straftätern“ – es dürfte bald also auch Unbescholtene treffen. Auch das Aufnahmeprogramm für afghanische Men­schen­recht­le­r*in­nen wird beendet. Und der gerade erst eingeführte Rechtsbeistand für Abzuschiebende wird wieder gestrichen.

Uneinig sind sich SPD und Union dagegen bei der Frage, ob Asylverfahren in Drittstaaten ausgelagert werden. Die Union ist dafür und will, dass Geflüchtete selbst bei positiven Asylentscheiden dort bleiben. Ohnehin gibt es aber Zweifel, ob das Modell umsetzbar ist. Auch bei der grundlegenden Funktionsweise der Asylverfahren gibt es Dissens. Die Union möchte im Gegensatz zur SPD den Amtsermittlungsgrundsatz aufheben, der die Behörden verpflichtet, Infos zu beschaffen. Stattdessen sollen die Geflüchteten selbst Beweise liefern, dass ihnen im Herkunftsland Gefahr droht. Das wäre in vielen Fällen wohl unmöglich.

Beim Staatsbürgerrecht fordert die Union zwar nicht mehr, die Reform von 2024 zurückzunehmen. Sie will aber Doppelstaatsbürgern den deutschen Pass entziehen, wenn sie „Terrorunterstützer, Antisemiten und Extremisten“ sind. Die SPD ist dagegen, genauso wie gegen die leichtere Ausweisung von Ausländer*innen. Außerdem lehnt die SPD die Forderung ab, Zeit im humanitären Aufenthalt nicht mehr bei der Einbürgerung zu berücksichtigen.

Geflüchtete Ukrai­ne­r*in­nen könnten sich dann etwa nicht nach den fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland einbürgern lassen, die dafür sonst nötig sind. Streit gibt es auch noch bei den Möglichkeiten für Geduldete, einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Während die SPD dafür das Chancenaufenthaltsrecht verlängern will, ist die Union für dessen Ende. Frederik Eikmanns

Innere Sicherheit: Horst Seehofer lässt grüßen

Zur inneren Sicherheit enthält das der taz vorliegende Arbeitspapier schon einige Einigungen unter dem Stichwort „Zeitenwende in der Inneren Sicherheit“. Die Koalition wolle für eine „Sicherheitsoffensive“ die „europa- und verfassungsrechtlichen Spielräume ausschöpfen“, wobei auch KI helfen soll. Der biometrische Abgleich mit zugänglichen Internetdaten soll ermöglicht, der Datenaustausch von Sicherheitsbehörden verbessert werden. Kritisch aufhorchen lässt, dass man „Risikopotentiale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten“ frühzeitig erkennen will. Gegen hybride Bedrohungen soll es eine „Nationale Cybersicherheitsstrategie“ geben, Zivil- und Katastrophenschutz sollen gestärkt und kritische Infrastruktur soll besser geschützt werden.

Besonders noch strittige Vorstöße der Union erinnern an Law-and-Order-Hardliner wie Horst Seehofer: Dystopisch mutet etwa der Vorschlag an, automatische Gesichtserkennung an Bahnhöfen, Flughäfen und „Kriminalitäts-Hotspots“ einzuführen. Damit will die Union „schwere Straftäter“ identifizieren, betroffen wären davon bei automatischer Gesichtserkennung aber natürlich alle. Da­ten­schüt­ze­r*in­nen dürften im Dreieck springen, die SPD will das nicht mittragen.

Ebenso strittig: Die Union will digitale Kommunikationsdienste „im Einzelfall“ verpflichten, verschlüsselte Inhalte zu entschlüsseln und an Sicherheitsbehörden weiterzugeben. Auch das wäre ein neues Einfallstor für flächendeckende Überwachung. Ebenso ist die Vorratsdatenspeicherung nicht totzukriegen: Nicht einig ist man sich da allerdings lediglich bei der Dauer der Speicherung von IP-Adressen. Die Union schlägt laut Papier 6 Monate vor, der SPD vermerkt „noch nicht geeint“.

Deutlicher clasht es beim Bundespolizeibeauftragten, den die Union am liebsten wieder abschaffen würde. Die SPD würde die Befugnisse für die parlamentarische Kontrollinstanz der Polizei hingegen gerne ausbauen – der Polizeibeauftragte soll künftig auch beim Zoll für „Transparenz“ sorgen und das Vertrauen in der Bevölkerung stärken. Vertrauen verspielt hatten die Sicherheitsbehörden auch bei der bis heute nicht restlos aufgeklärten rechten Terrorserie des NSU. Die Union sperrt sich trotzdem gegen ein NSU-Dokumentationszentrum. Gareth Joswig

Von den Lippen lesen muss man der Union gar nicht, ihre Forderungen stehen in den Verhandlungspapieren Foto: Annegret Hilse/reuters

Zivilgesellschaft: Union verprellt munter weiter

Mit ihrer umstrittenen kleinen Anfrage zur „politischen Neutralität“ von NGOs hat die Union viele Träger der politischen Bildung verunsichert. Nun senden CDU und CSU während der Koalitionsverhandlungen mit der SPD ein weiteres Signal, die Demokratieförderung auf Linie bringen zu wollen. Wie die Arbeitsgruppe Innen, Recht, Migration und Integration in ihrem Abschlusspapier festhält, will die Union das Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ künftig im Bundesinnenministerium (BMI) ansiedeln. Viel spricht dafür, dass die Union dieses Ministerium für sich beanspruchen wird. Bisher ist das Förderprogramm im Bundesfamilienministerium angelegt.

In der Zivilgesellschaft stößt die Idee auf Skepsis. „Es gibt keinen inhaltlichen Grund für diesen Wechsel“, sagt Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung zur taz. Im Gegenteil befürchtet Reinfrank eine stärkere Kontrolle und Auslese bei vermeintlich zu linken Trägern. „Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert wie wir, ist für Menschenrechte“, so Reinfrank. Das sollte ein Anliegen auch der Union sein. Zudem warnt er vor einer inhaltlichen Verschiebung bei den geförderten Projekten. Es bestehe die Gefahr, dass politische Bildung noch stärker als bisher an das Ziel Extremismusprävention gekoppelt werde. Seit Jahren kritisieren Träger, wie sehr die Politik Bildungsarbeit auf Prävention verengt. Heike Kleffner vom Bundesverband Opferberatungsstellen warnt vor „einer katastrophalen Botschaft für die vielen zivilgesellschaftlichen Träger und Bündnisse“, sollte die SPD in diesem zentralen Punkt nachgeben. Seit Jahren verteidigten diese Träger Demokratie und Menschenrechte und stünden „oft mit dem Rücken zur Wand“.

Offen ist allerdings, ob die SPD bei der Rochade mitspielt. Der zuständige Chefverhandler Dirk Wiese äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht auf taz-Anfrage. Interessant ist: In der Koa-Arbeitsgruppe zu Familie, Frauen, Jugend, Senioren und Demokratie war der Umzug von „Demokratie Leben!“ ins Innenministerium offenbar kein Thema. Die Kernbotschaft der Union ist aber auch dort zu finden: „Wir stellen weiterhin die Verfassungstreue geförderter Projekte sicher.“

Das Programm „Demokratie Leben!“ läuft seit 2015. In der aktuellen Förderperiode (2025–32) werden unter anderem 333 Patenschaften für Demokratie, 125 Innovationsprojekte und 16 Landesdemokratiezentren gefördert. In diesem Jahr stehen rund 180 Millionen Euro dafür bereit. Verbände fordern eine Verdoppelung der Mittel. Das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ hingegen liegt bereits beim BMI. Ziel ist, den ländlichen und strukturschwachen Raum zu stärken. Ralf Pauli

Klimaschädlich heizen, Strom verbilligen

Wie genau die künftige Regierung mit dem umstrittensten Projekt der Ampel, dem Heizungsgesetz, umgehen wird, ist noch offen. Dem Abschlusspapier der Arbeitsgruppe „Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen“ zufolge soll das Heizungsgesetz abgeschafft, die Heizungsförderung aber beibehalten werden. Die Arbeitsgruppe „Klima und Energie“ dagegen hat in der Frage des Gebäudeenergiegesetzes – wie das Heizungsgesetz offiziell heißt – einen Dissens zwischen Union und SPD festgehalten.

Wahrscheinlich ist, dass die neue Koalition die Vorgaben für klimafreundliches Heizen und die Wärmeeffizienz für Gebäude aufweichen wird. Nach Ansicht der Naturschutzorganisation BUND wäre das ein großer Rückschritt für den Klimaschutz, denn Gebäude sind für rund ein Drittel des Energieverbrauchs in Deutschland verantwortlich. Drei Viertel werden noch mit den Klimakillern Öl und Gas beheizt. „Schon heute reichen die bestehenden Maßnahmen nicht aus, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen – eine Rolle rückwärts können wir uns schlicht nicht leisten“, sagt Tobias Pforte-von Randow vom Deutschen Naturschutzring.

Die Ver­hand­le­r:in­nen der Arbeitsgruppe Klima und Energie bekennen sich zu den deutschen Klimazielen, einem entschlossenen Ausbau der Erneuerbaren Energien und dem Kohleausstieg bis spätestens 2038. Am Ziel, zwei Prozent der Fläche in den Bundesländern für Windenergie bereitzustellen, will die SPD festhalten, die Union nicht. Die Christ­de­mo­kra­t:in­nen wollen, dass die 2-Prozent-Vorgabe durch ein Ökostromziel ersetzt werden kann. Die Union fordert außerdem „Potenziale konventioneller Gasförderung im Inland“ zu nutzen, die SPD nicht.

Beim Thema Atomkraft konnten sich die Ver­hand­le­r:in­nen nicht auf eine gemeinsame Haltung verständigen. Die Union will festhalten, dass die Atomkraft mit Blick auf den Klimaschutz eine bedeutende Rolle spielen kann. Außerdem will sie eine „fachliche Bestandsaufnahme“, ob ein Wiederbetrieb der abgeschalteten deutschen Akw möglich und wirtschaftlich vertretbar ist. Da zurzeit kein Betreiber in Sicht ist, ist das vor allem symbolisch.

Die Arbeitsgruppe will niedrigere Strompreise. Unternehmen und Privatver­brau­che­r:in­nen sollen um mindestens 5 Cent pro Kilowattstunde Strom entlastet werden. Dazu sollen Stromsteuer, Umlagen und Abgaben gedrückt werden. Zudem soll ein Industriestrompreis kommen. Anja Krüger

ÖPNV wird teurer, Fliegen günstiger

Das Deutschlandticket soll erhalten bleiben, aber ab 2027 teurer werden – zumindest wenn es nach den Ver­hand­le­r:in­nen der Arbeitsgruppe „Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen“ geht. Das bundesweit im ÖPNV geltende Ticket kostet zurzeit 58 Euro im Monat. Eingeführt hatte es die rot-grün-gelbe Bundesregierung. Es wird je zur Hälfte mit 1,5 Milliarden Euro vom Bund und den Ländern finanziert. Die CSU hatte den Fortbestand mit der Behauptung infrage gestellt, das Ticket nutze Bür­ge­r:in­nen auf dem Land nichts. Im Abschlusspapier der Arbeitsgruppe heißt es, der Anteil der Nutzerfinanzierung werde „ab 2027 schrittweise und sozialverträglich erhöht“.

Mittelfristig will die Arbeitsgruppe, dass die neue Bundesregierung die Konzernstruktur der Deutschen Bahn reformiert. Die Ampel hatte den schwerfälligen Konzern, der zu 100 Prozent in Besitz des Bundes ist, unter einem gemeinsamen Dach in zwei Teile gespalten. Die Gesellschaft InfraGo ist für die Infrastruktur zuständig, der andere für den Betrieb. Viel mehr als das Austauschen der Türschilder ist damit nicht erreicht worden, monieren Kritiker:innen. Das könnte sich ändern. Beide Teile sollen weiter entflechtet werden.

„Sowohl beim DB Konzern als auch bei der InfraGO soll eine Neuaufstellung von Aufsichtsrat und Vorstand erfolgen, mit dem Ziel, mehr Fachkompetenz abzubilden und eine Verschlankung zu erreichen“, heißt es in dem Papier. Investitionen in das Schienennetz sollen gesteigert werden. Ob sie höher ausfallen als die bisherige Regierung geplant hat, ist unklar. Die Digitalisierung und Elektrifizierung von Strecken sollen aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden. Die Sanierung von Wasserstraßen auch.

Über die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen hat die Arbeitsgruppe offenbar immerhin gesprochen. Die Union ist generell dagegen, die SPD für ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde.

Impulse für bessere Radwege oder Fußgängerbereiche sind von der künftigen Regierung nicht zu erwarten. „Der Fuß- und Radverkehr wir im Papier stiefmütterlich behandelt“, kritisiert die Vorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD) Kerstin Haarmann.

Ein großer Schritt rückwärts ist im Luftverkehr zu erwarten. Hier sollen Steuern, Gebühren und Abgaben sinken. Als erstes soll die 2024 erfolgte Erhöhung der Luftverkehrssteuer kassiert werden. Anja Krüger

Weniger Trump, weniger Schutz und mehr Datennutzung

„Wir wollen ein digital souveränes Deutschland“, heißt es im Einstieg des Papiers der Koalitionsarbeitsgruppe Digitales. Abhängigkeiten sollen abgebaut werden, Schlüsseltechnologien entwickelt und resiliente Produktionsketten für wichtige Industrien aufgebaut werden, etwa für die Produktion von Chips. Das Bekenntnis zu digitaler Souveränität dürfte sich vor allem aus den jüngsten Entwicklungen in den USA speisen: Unter Trump ist mehr denn je unklar, wie verlässlich digitale Infrastruktur, Software und Dienste made in USA sind. Wenn die künftige Koalition diesen Grundsatz ernst nehmen will, müsste sie aber auch dort hinschauen, wo es weh tut, und die Nutzung von Produkten von US-Anbietern wie Microsoft in staatlichen Institutionen abbauen.

Einen Konflikt zwischen den Verhandlern gibt es beim Thema Verschlüsselung. Die SPD wünscht sich laut dem Papier eine Ergänzung, die klarstellt, dass die künftige Koalition eine Beschränkung von Verschlüsselung und den verpflichtenden Einbau von Hintertüren ablehnt. Verschlüsselung ist mittlerweile etwa bei Messengerdiensten Standard, und Hintertüren würden diese schwächen. Darauf will die Union sich anscheinend nicht festlegen, ebenso wenig darauf, dass IT-Schwachstellen schnellstens geschlossen werden sollen und Anonymität im Internet weiterhin möglich sein soll.

Die Ver­hand­le­r:in­nen wollen die „vorhandenen Spielräume“ der Datenschutz-Grundverordnung nutzen. Das darf wohl als Ansage verstanden werden, bestehende Regeln zum Schutz der Privatsphäre zu schwächen. Dazu passt, dass „Datenschätze“ gehoben werden sollen und eine „Datenökonomie“ entstehen soll. Das könnte etwa bei Mobilitäts- und Gesundheitsdaten relevant werden. Die Union will laut dem Papier die Bundesdatenschutzbeauftragte (BfDI) in „Beauftragte für Datennutzung, Datenschutz und Informationsfreiheit“ umbenennen. In der Diskussion ist zudem, den Landesdatenschutzbehörden die Aufsicht über die Wirtschaft zu entziehen und bei der, dann womöglich auf wirtschaftsfreundlich getrimmten, Bundesbeauftragten anzudocken. Hier soll nun die Steuerungsgruppe entscheiden. Svenja Bergt

Interessen vor Entwicklung

Großes Streitthema ist die Zukunft des Entwicklungsministeriums. Die Union will es ins Auswärtige Amt eingliedern, die SPD ist strikt dagegen. CDU/CSU argumentieren, die Zusammenführung erhöhe die Effizienz. Sozialdemokraten und auch Entwicklungsorganisationen fürchten, der Entwicklungszusammenarbeit werde weniger Bedeutung zugemessen, während viel Zeit für die Neuordnung verloren gehe. Die Ent­wick­lungs­ex­per­ten Stephan Klingebiel und Jörg Faust bezweifeln, dass eine Zusammenführung zu mehr Effizienz führe. Sie fordern stattdessen eine bessere Koordination der Ministerien. Das wollen beide Parteien auch in der Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats erreichen.

Zweiter Streitpunkt ist das Geld. Die SPD will mindestens die international vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufwenden, die Union will eine Absenkung des derzeitigen Niveaus. Zahlreiche Entwicklungsorganisationen schlugen am Mittwoch Alarm, dass weitere Kürzungen im Entwicklungsetat angesichts eines weltweiten Rückzugs, allen voran von den USA und Großbritannien, fatale Auswirkungen habe. Menschenleben stünden schon jetzt auf dem Spiel.

Vor diesem Hintergrund bleibt der Kompromiss, die Entwicklungspolitik solle „zugleich werte- und interessengeleitet“ sein, eine Worthülse. Die gemeinsamen Schwerpunkte des Papiers der Arbeitsgruppe 12 zu Entwicklungspolitik sind Rohstoffsicherung, Energiepartnerschaften und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Auch der Fokus auf Bedingungen, etwa dass Empfängerländer Geflüchtete zurücknehmen und Migration bekämpfen, stellt deutsche Interessen in den Vordergrund. Hinzu kommt: Die Förderung von Unternehmen im Export und bei Investitionen im Globalen Süden erlebt ein Revival. Leila van Rinsum

Keine Katastrophe bei Tierschutz und Landwirtschaft

„Eine Vollkatastrophe ist das nicht“, sagt die Grünen-Abgeordnete Zoe Mayer der taz über die Zwischenergebnisse der Koalitionsgespräche von CDU/CSU und SPD zu Landwirtschaft und Ernährung. Aber die kommende Bundesregierung zeige sich „atemberaubend ambitionslos“. Das klingt aus dem Mund einer Oppositionspolitikerin doch fast wie ein Kompliment. Positiv aus Sicht von Umwelt- und Tierschützern ist, dass die Möchte-gern-Koalitionäre die verpflichtende staatliche Kennzeichnung der Tierhaltungsform von Fleisch nicht abschaffen, sondern zum Beispiel auf weitere Tierarten und Lebensphasen des Viehs ausweiten wollen. Sie beabsichtigen auch, „den tierwohlgerechten Stallbau“ auf Grundlage staatlicher Verträge dauerhaft finanzieren. „Wir führen ein Prüf- und Zulassungsverfahren für Stallsysteme ein“, ergänzen die Verhandler. Tierschützer fordern seit langem so einen „Tierschutz-TÜV“.

Aber es findet sich im der taz vorliegenden Verhandlungspapier kein Wort dazu, den klimaschädlichen Fleischkonsum auf das gesundheitlich vertretbare Maß zu verringern. Auch nicht dazu, die Anbindehaltung von Rindern zu verbieten, bei der die Tiere dauerhaft etwa mit Ketten oder Metallrahmen fixiert werden. Die Stiftung Vier Pfoten etwa vermisst unter anderem Beschränkungen von Tiertransporten.

Das Papier sieht auch Rückschritte vor. Zum Beispiel wollen Union und SPD die Stoffstrombilanz im Düngerecht abschaffen, mit der die Menge von Pflanzennährstoffen wie Stickstoff berechnet wird, die die Höfe in die Umwelt abgeben. Zu hohe Mengen könnten nach entsprechenden Gesetzesänderungen sanktioniert werden. Es ist klar, dass zu viel Nährstoff schädlich für Klima, Grundwasser und Artenvielfalt ist. Aber die voraussichtlich künftigen Koalitionäre haben offenbar dem Bauernverband nachgegeben, der Betriebe mit schlechten Bilanzen schützen will.

„Wir werden die Agrardiesel-Rückvergütung vollständig wieder einführen“, schreiben die Unterhändler weiter. Das war die prominenteste Forderung der Bauernproteste 2023/24. Die Landwirte sollen auch weiterhin rund 450 Millionen Euro jährlich an Energiesteuer auf den Diesel für Traktoren und andere Landmaschinen erstattet bekommen. Einen fossilen Kraftstoff zu subventionieren, wird mit Blick auf den Klimaschutz kritisiert. Der Anreiz, treibhausgasintensiven Sprit einzusparen, fiele weg. Für Klima und Natur wären aber zum Beispiel mehr Traktoren mit Anlagen sinnvoll, die den Reifendruck so regeln, dass der Verbrauch sinkt. Auch Elektromotoren für kleinere Maschinen würden ohne Dieselsubventionen deutlich wettbewerbsfähiger. Jost Maurin

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6 Kommentare

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  • Glaubt man Kretschmer, der ja wohl schon immer ein spezielles Verhältnis zu der Problematik Putinscher Kriege hatte, solle Deutschland sich der Strategie Trumps anschließen: www.gmx.net/magazi...ufhorchen-40820864

    Dummerweise ist der in der CDU eben doch kein Niemand und soll wohl auch in den Koalitionsverhandlungen sitzen.

  • Danke für diesen interessanten Artikel!



    Schön, dass hauptsächlich die unterschiedlichen Positionen deutlich gemacht werden.



    Es dürfte klar sein, dass WählerIn und Wähler für die jetzige Situation verantwortlich sind.



    Es wird deutlich, dass die Ampelregierung Vieles in die richtige Richtung gelenkt hat. Das wurde ihr aber nicht gedankt. Im Gegenteil! Der Großteil der BundesbürgerInnen sah sich bemüßigt, täglich klugzu...en.



    Es waren aber eben nicht nur die "Konservativen", die für das Ende der Ampelregierung gesorgt haben, botn links wurde auch täglich daran gearbeitet.



    Es wird wahrscheinlich wieder Jahrzehnte dauern, bis ein vergleichbares Projekt links der CDU möglich wird.



    "Besonders Schlaue" fordern nun von der SPD den Erhalt sämtlicher Ampelprojekte und deren Ausbau.



    Dafür hätten die WählerInnen der SPD schon ein stärkeres Mandat geben müssen.



    Klar wird allerdings, dass die Sozialdemokraten nicht bereit sind, sich billig zu verkaufen.



    Den größten Erfolg haben sie mit der Finanzierung für Zukunftsprojekte in Deutschland bereits eingefahren.



    Zukunftsweisend wäre, die Kritik zukünftig an Adressaten des Unsinns zu senden: "afd", cdU und csU.



    Eine demokratische Koalition ist gut.

  • Kanzler um jeden Preis?



    Friedrich Merz hat seine Wähler betrogen, weil er das Gegenteil von dem gemacht hat, was er versprochen hat. Ob dies nun der gigantische neue Schuldenberg ist, seine angeblich strikten Abweisungen an der Grenze, die bedingungslose Rücknahme des "Heizungsgesetzes" oder die Klimaneutralität ins Grundgesetz aufzunehmen.



    Ich sage nicht, dass es falsch ist, was er nun macht, aber es ist das Gegenteil seiner Wahlversprechen, er hat seine Wähler belogen. Wie man liest, treten gerade viele CDU Parteimitglieder deshalb aus der Partei aus.



    Ich werde das Gefühl nicht los, dass er zu allem bereit ist, Hauptsache er wird Kanzler. So einen Lügner möchte ich aber nicht als Kanzler.

    • @Hans Dampf:

      Na, ja, man mußte die Lügen aber auch glauben wollen. Das wäre bei einem Mindestmaß an Verstand - beispielsweise, daß er von heute auf morgen eine dreimal längere Mauer bauen könne als Trump - schon nahezu unmöglich gewesen.

    • @Hans Dampf:

      ... nicht als Kanzler, und wenn mensch dann noch bedenkt, dass Koalitionsverträge überhaupt keine rechtliche Verbindlichkeit haben, und das weiss ja Merz auch, können wir uns ja auf weitere Unzuverlässigkeiten seinerseits gefasst machen.

  • Naja.



    Würde mich ja garnicht wundern, wenn der große Zeh gedacht hat wenn er mit der Brandmauer wackelt geht die SPD mit dem Preis runter.

    Aber noch hält die SPD. Zumindest ein wenig.

    Mal schauen was geschieht wenn an der Brandmauer noch kräftiger gerüttelt wird ...

    Nicht, dass C-Dur plötzlich A-Moll wird ...