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Regelung der RüstungsexporteGesetz mit Schlupflöchern

Das geplante Rüstungsexportgesetz ist ein Lieblingsprojekt der Grünen. Umstritten ist es nicht nur wegen des Kriegs in der Ukraine.

So sieht der echte Eurofighter Typhoon aus Foto: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance

Berlin taz | Am Dienstag um 11.30 Uhr wird sich Holger Rothbauer in seiner Kanzlei vor den Rechner setzen und in eine Videokonferenz einwählen. In Sachen Rüstungsexporte ist der Tübinger einer der renommiertesten Anwälte des Landes. Seit Jahrzehnten zieht er gegen Konzerne vor Gericht, kämpft gegen illegale Geschäfte an. Zuletzt hat er dem Pistolenhersteller Sig Sauer schmerzhafte Urteile wegen Lieferungen nach Kolumbien beschert.

Am Dienstag wird sich Rothbauer aber nicht in einen Gerichtssaal zuschalten, sondern ins Wirtschaftsministerium in Berlin. Staatssekretär Sven Giegold hat eingeladen – nicht nur den Anwalt, sondern auch mehrere Dutzend weitere Ex­per­t*in­nen aus Wissenschaft, Friedensorganisationen und Industrie. Der Grünen-Politiker will sich anhören, wie die Fachleute über seine Vorgaben für ein neues Rüstungsexportgesetz denken.

Der Zeitplan ist dicht, der Termin dauert nur zwei Stunden, und mehr als zwei Minuten Redezeit wird Rothbauer kaum bekommen. „Aber vielleicht hilft es ja trotzdem etwas“, sagt er. „Ich würde mir wünschen, dass Herr Giegold die Pläne danach doch noch verschärft. Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Was das Wirtschaftsministerium bisher plant, geht ihm und anderen nicht weit genug. Die Sorge: Am Ende könnte das Gesetz mehr Schlupflöcher öffnen als schließen.

In der Ampel ist das Rüstungsexportkontrollgesetz, so der vollständige Name, vor allem für die Grünen ein wichtiges Projekt. In der Opposition haben sie jahrelang für strengere Regeln geworben, Konzepte erarbeitet, Entwürfe ins Parlament eingebracht. Im Koalitionsvertrag einigten sie sich mit SPD und FDP auf eine „restriktive Exportpolitik“ und die Einführung eines Gesetzes.

Sonderfall Ukraine

Natürlich gibt es schon jetzt Regeln für Rüstungsexporte. Sie sind aber verstreut über verschiedene Gesetze, Verordnungen und Richtlinien. Sie widersprechen sich zum Teil und sind oft nicht verbindlich. Ein neues Gesetz sollte alles bündeln und verschärfen.

Mit dem Krieg in der Ukraine und den beispiellosen deutschen Waffenlieferungen hat sich das Projekt nicht erledigt. Im Gegenteil: Gerade die Grünen betonen seit Februar immer wieder, dass die Ukraine ein Sonderfall sei. Mit dem neuen Gesetz und strengeren Regeln für kommerzielle Exporte werde man beweisen, dass die Wurzeln als Friedenspartei nicht vergessen sind.

Im federführenden Wirtschaftsministerium ist mit Robert Habecks Staatssekretär Giegold ein ehemaliger Attac-Aktivist für das Gesetz zuständig. Wie er seit Jahresbeginn daran arbeitet, wird aus den Reihen von NGOs im Prinzip gelobt: Giegold beziehe die Zivilgesellschaft vorbildlich mit ein. Schon im Frühjahr startete er ein Konsultationsverfahren, in dem Fachleute in ersten Videokonferenzen ihre Expertise einbringen durften. War bei solchen Verfahren früher die Rüstungsindustrie klar in der Überzahl, wurde dieses Mal sehr breit eingeladen. Der Staatssekretär höre ernsthaft zu, der Prozess sei transparent.

Nur: Das bisherige Ergebnis ist aus Sicht der NGOs enttäuschend. Mitte Oktober stellte das Wirtschaftsministerium erste Eckpunkte für die neue Exportkontrolle vor. Innerhalb der Regierung werden sie derzeit zwischen den betroffenen Ministerien diskutiert, im kommenden Jahr sollen Giegolds Leute auf dieser Grundlage den Gesetzentwurf ausformulieren.

Parallel hört der Staatssekretär am Dienstag und Mittwoch in zwei Videokonferenzen noch mal die Teil­neh­me­r*in­nen des Konsultationsverfahrens an. Das ist zu diesem Zeitpunkt ungewöhnlich. Aus dem Ministerium heißt es, Giegold orientiere sich an den Gepflogenheiten in Brüssel, wo er zwölf Jahre lang als EU-Abgeordneter tätig war und wo viel Wert auf externe Beteiligung gelegt werde.

Kein Verbandsklagerecht

Die Eckpunkte sehen durchaus Verschärfungen der geltenden Lage vor. So soll ein Kriterienkatalog für Exportentscheidungen erstmals gesetzlich festgeschrieben werden. Die Menschenrechtslage soll dabei eine größere Rolle spielen als bisher. Ausweiten will das Wirtschaftsministerium die sogenannten Endverbleibskontrollen, die verhindern, dass Empfängerländer die Waffen illegal an Dritte weitergeben.

Dass die Kri­ti­ker unter dem Strich trotzdem mehr Schatten als Licht sehen, liegt vor allem an zwei Punkten: Erstens fehlt ein sogenanntes Verbandsklagerecht nach dem Vorbild von Ländern wie Italien und Belgien. Dort können NGOs vor Gericht ziehen, wenn ihrer Ansicht nach eine Exportgenehmigung gegen das Recht verstößt.

In Deutschland müssen Anwälte wie der Tübinger Roth­bau­er dagegen komplizierte rechtliche ­Behelfskonstruktionen wählen, um strittige Geschäfte vor Gericht zu bringen. Das klappt nur in einem Bruchteil der Fälle. In der Vergangenheit hatten die Grünen daher stets ein Verbandsklagerecht gefordert.

„Es ist zwar gut, dass es im neuen Gesetz strengere gesetzliche Vorgaben geben soll“, sagt Anwalt Rothbauer, „sie sind aber nichts wert, wenn ihre Einhaltung nicht vor Gericht kontrolliert werden kann, sondern nur die Industrie gegen Ablehnungsbescheide klagen darf.“

Der zweite Kritikpunkt betrifft die Regeln für europäische Gemeinschaftsprojekte wie etwa den Eurofighter, den Deutschland zusammen mit Frankreich, Spanien und Großbritannien herstellt. Hier gibt es ein Dilemma: Die Ampel möchte die europäische Kooperation im Rüstungsbereich eigentlich ausbauen, um Produktionskosten zu senken und Verteidigungsausgaben effizient einzusetzen. Häufig gibt es bei solchen Projekten aber vor allem mit Frankreich Streit, weil man in Paris nichts von Ausfuhrbeschränkungen hält und sich lukrative Exporte nicht von Berlin vermasseln lassen will. Zwar gibt es auf EU-Ebene gemeinsame Regeln, festgeschrieben im sogenannten Gemeinsamen Standpunkt. In der Praxis werden sie aber meist ignoriert.

Das Wirtschaftsministerium will in der Sache neuen Ärger vermeiden. Für Gemeinschaftsprojekte sollen laut den Eckpunkten statt des Gesetzes eigene Mechanismen gelten, auf die sich die Regierung in Abkommen mit den anderen beteiligten Staaten einigt. Eine Option seien Mehrheitsentscheidungen über Exporte. Wenn also künftig Spanien und Frankreich einen gemeinsam gebauten Panzer nach Katar verkaufen wollen, Deutschland aber nicht? Könnte man wohl nichts machen. Die anderen hätten die Mehrheit.

Ausnahmen werden zur Regel

„Wenn das so kommt, wäre es der größte Fehler des Gesetzes“, sagt der Friedensforscher Max Mutschler zu dem geplanten Vorrang internationaler Verträge. „In der Praxis macht man bei Gemeinschaftsprojekten zwar schon jetzt immer wieder Ausnahmen von der Regel. Mit dem Gesetz würde die Ampel die Ausnahmen zur Regel machen. Das wäre ein Rückschritt.“

Bei den Grünen schiebt man die Verantwortung vor allem für die Lücke beim Verbandsklagerecht auf SPD und FDP. Im Oktober sagte Giegold, bereits in der „Frühkoordinierung“ innerhalb der Regierung sei klar geworden, dass „eine von mir geplante Verbandsklage keine Zustimmung der Partner finden würde“. Er verzichtete daher darauf, sie auch nur in seine Eckpunkte aufzunehmen.

Auch bei der Europa-Klausel stellen sich andere Ressorts gegen Verschärfungen. Bei einer Veranstaltung in Berlin forderte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in der vergangenen Woche, die Regeln zu lockern. „Die europäischen Partner müssen sich darauf verlassen können, wenn sie mit uns eine Kooperation eingehen, dass es dann auch zu Exporten kommen kann“, sagte sie.

Allerdings ist zumindest in diesem Punkt auch die Position der Grünen nicht eindeutig. Zuletzt rechtfertigte Außenministerin Annalena Baerbock einen Export nach Saudi-Arabien damit, dass ohne Kulanz bei europäischen Rüstungsprojekten das Geld für die Kindergrundsicherung in Deutschland fehle. Andere in der Partei wünschen sich an dieser Stelle dagegen mehr Mut.

„Es ist nicht wahrscheinlich, dass wir uns in Europa auf ganzer Linie durchsetzen, und das ist auch okay“, sagt die Europa-Abgeordnete Hannah Neumann. „Es kann aber auch nicht sein, dass Frankreich wie bisher immer durchkommt.“ Die Ampel solle im Gesetz den eigenen Standpunkt klarmachen. Vorerst müsse das Gesetz dann auch für Gemeinschaftsprojekte gelten. „Das wäre der Hebel, um endlich ernsthafte Verhandlungen in Europa zu ‚erzwingen‘. Mehrheitsentscheidungen könnten am Ende ein Vorschlag sein, sie dürften aber bereits bestehende Regeln wie die des Gemeinsamen Standpunkts nicht aushebeln“, sagt Neumann.

SPD ohne Kritik

Verwunderung herrscht unter Grünen darüber, dass aus der SPD-Fraktion kaum Kritik an den strittigen Punkten kommt. Zwar stehen viele So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen ähnlich wie die FDP der Rüstungsindustrie nahe. Allerdings gab es in der Vergangenheit aus anderen Teilen der SPD auch Rufe nach strengeren Regeln.

Und jetzt? Fraktionschef Rolf Mützenich, der bei Waffenlieferungen an die Ukraine oft bremst, will sich zum neuen Gesetz nicht äußern. Zu Wort meldet sich aber immerhin der Parteilinke Ralf Stegner. „Über Europa die deutschen Rüstungsexportbeschränkungen zu umgehen, ist mit der SPD-Fraktion nicht zu machen. Es wird mit den Grünen und der SPD keine Liberalisierung des Waffenexports unter dem Deckmantel der Europäisierung geben“, sagt er. Und: „Ein Verbandsklagerecht könnte für eine Waffengleichheit mit Rüstungslobbyisten sorgen. Ich begrüße das. Die Friedenspartei SPD gehört nicht ins Museum.“ Die Entscheidung sei noch offen, da die Diskussion innerhalb der Fraktion gerade erst begonnen habe.

Manches könnte sich also doch noch bewegen, bis 2023 oder 2024 der Bundestag endlich über das Gesetz abstimmt. Das gilt in beide Richtungen: So wie die NGOs auf strengere Regeln hoffen, lobbyiert die Rüstungsbranche gewaltig gegen jede Verschärfung. Allein bei Gie­gold sprachen Rüstungsbosse dieses Jahr mindestens sechsmal in Einzelgesprächen vor.

Schon im April, im ersten Fachgespräch des Wirtschaftsministeriums, gaben sie sich kompromisslos. „Ein Rüstungsexportkontrollgesetz ist überflüssig und kontraproduktiv“, sagte laut Protokoll der Chef des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Das Vorhaben, so Hans Christoph Atzpodien, passe einfach nicht in die Zeit.

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5 Kommentare

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  • Gerade lesen wir, dass westliche Rüstungstechnologie in iranischen Drohnen landete. Die Vorstellung ist unrealistisch, durch Kontrollen könnte so etwas verhindert werden, wenn nicht einmal Kontrollen im Kontext von Sanktionen wirksam sind.

  • Im Oktober dieses Jahres wurde es klar. Deutschland genehmigte Waffenlieferungen an Saudi-Arabien. Es geht um Kampfflugzeuge und Munition. Deutschland hofft offenbar, Öl und Wasserstoff dafür zu bekommen. Im aktuellen Koalitionsvertrag war das nicht vorgesehen.

    Saudi-Arabien ist im Jemenkrieg militärisch engagiert. Die Vereinten Nationen melden 380.000 Tote, vier Millionen Flüchtlinge und etwa 19 Millionen Menschen, die Hunger leiden. Eine schlimme Bilanz.Nach informierten Berichten bombardiert Saudi-Arabien auch Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen.

    Wenn die Ampelkoalition die Außenpolitik insofern auch moralisch auflädt, indem sie behauptet, es ginge auch um Menschenrechte, verliert sie hier ihre Glaubwürdigkeit. Menschenrechte gibt es in Saudi-Arabien nicht, das Herrscherhaus regiert islamisch fundamentalistisch: Todesstrafe, Folter, keine Presse- und Religionsfreiheit, keine Frauenrechte. Auch der Kriegsgegner im Jemen, der Iran, hat mit Menschenrechten nichts am Hut, wie die aktuelle Liquidierung und Niederknüppelung von Demonstranten beweist.

    Warum versucht man nicht, durch ein multilaterales Rüstungsembargo diesen Krieg zu beenden?

     

  • Die Rüstungsbosse und deren Lobbyisten würde ich in regelmässigen Abständen zur Entminung, zum Wiederaufbau und als Arzhelfer*innen in Konflikt- und ehemaligen Konflikregionen verpflichten. Immer mindestens sechs Wochen im Jahr.

    • @tomás zerolo:

      Ganze 6 Wochen p.a.? So würde das nüscht werden. Netter Gedanke, mehr nicht.

    • @tomás zerolo:

      ...warum nur 6 Wochen, je länger diese Leutz beschäftigt werden, hecken sie wenigstens nichts aus....