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Reform des WahlrechtsDas Parlament schrumpft

Der Bundestag beschließt die umstrittene Wahlrechtsreform. Künftig umfasst der Bundestag dauerhaft 630 Abgeordnete.

Abstimmung über die Reform des Bundeswahlgesetzes Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin dpa | Der Bundestag hat eine Wahlrechtsreform beschlossen, die das Parlament verkleinern und dauerhaft auf 630 Abgeordnete begrenzen soll. Der Entwurf von SPD, Grünen und FDP erreichte am Freitag in Berlin die erforderliche einfache Mehrheit. Die Union und die Linkspartei sehen sich durch die Reform benachteiligt und haben jeweils eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.

In der vorausgehenden und abschließenden hitzigen Debatte zur geplanten Verkleinerung des Bundestags haben Politiker der Ampel-Parteien der Union mangelnde Bereitschaft zur Veränderung vorgeworfen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, sagte am Freitag vor der geplanten Abstimmung über die Reform im Bundestag, Ziel des Vorhabens sei „ein einfaches, nachvollziehbares Wahlrecht“.

Das Vorhaben wird von Union und Linkspartei strikt abgelehnt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, der Plan ziele darauf ab, die Linke aus dem Parlament zu drängen und „das Existenzrecht der CSU“ infrage zu stellen. „Sie machen hier eine Reform für sich selbst“, um den „Machtanspruch der Ampel“ zu zementieren, warf er Hartmann vor.

Mit der Reform soll der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag ab der nächsten Wahl dauerhaft auf 630 Mandate verkleinert werden. Erreicht werden soll die Verkleinerung des Parlaments, indem auf Überhang- und Ausgleichsmandate ganz verzichtet wird. Diese sorgten bislang für eine Aufblähung des Bundestags.

Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über Direktmandate mehr Sitze im Bundestag erringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden. Sie darf diese Sitze behalten. Die anderen Parteien erhalten dafür Ausgleichsmandate. Nach den neuen Regeln könnte es künftig vorkommen, dass ein Bewerber seinen Wahlkreis zwar direkt gewinnt, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht. Das erzürnt vor allem die CSU.

Zudem soll laut dem Ampel-Entwurf eine strikte Fünfprozentklausel gelten. Die sogenannte Grundmandatsklausel entfällt. Sie sorgte bisher dafür, dass Parteien auch dann in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag einzogen, wenn sie zwar unter 5 Prozent lagen, aber mindestens drei Direktmandate gewannen. Die Linkspartei profitierte davon schon mehrfach, zuletzt bei der Wahl 2021. Wenn die Klausel gestrichen wird, könnte das, je nach Wahlergebnis, in Zukunft auch Konsequenzen für die bayerische Regionalpartei CSU haben.

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11 Kommentare

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  • Gang zum BVG?

    Der Artikel 38 bietet da, soweit ich das verstehe, nicht soviel Knackpunkte:



    (1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. (...)

    (2) (...)

    (3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

    Die, nun entfallene, Grundmandatsklausel war ja nur im untergeordneten Bundesgesetz. Sie machte aber auch nur in Verbindung mit der 5%-Hürde Sinn.

    Diese 5%-Hürde dürfte aber für eine gewisse bedingte umittelbare Ungleichheit verantwortlich sein.



    Bei 630 MdB steht ein MdB für knapp 0,1587% der abgegebenen und gültigen Zweitstimmen.



    Die kleinste 'Fraktion' hat also mindestens 31,5 Abgeordnete. (Ja, es gibt keine halben aber die 5% können erreicht worden sein, das 32ste Mandat aber nicht erreicht)



    Das, im Bundesgesetz geregelte, bedingt durch eine %Hürde, nicht unmittelbare Wahlergebnis ist etwas Besorgnis erregend.

    P.s.: Noch mehr hat mich bewegt was da im abs.2 steht:Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat;(...)



    Da das Bundesgesetz hier weitere Bedingungen aufstellt sollte jemand mal prüfen inwieweit das Bundesgesetz hier Verfassungsgemäß ist. Im Art. 38 wird ja nicht auf 'Deutsche', 'Bürger' oder 'Staatsbürger' beschränkt. Nur das Alter (18) ist eine Bedingung.

  • Wir brauchen nicht nur bei der Quantität der Bundestagsabgeordneten eine Reform, sondern auch bei der Qualität von diesen.



    Es gibt keinen anderen Beruf wo man ohne jegliche Befähigung bis zu den höchsten Posten aufsteigen kann. Linientreue vom Kindergarten weg zu einer Partei ist kein Qualitätsmerkmal. Der Bundestag sollte nicht der ( gut bezahlte ) Rettungsanker für Personen sein die sonst Probleme hätten irgendwo unterzukommen.

  • Ein noch größeres Problem mit dieser Reform ist die Verschiebung der Grenzen, des Akzeptablen.

    Mit dem Wegfall der Grundmandatsklausel, wird diese Wahlrechtsreform den Ampel-Partein helfen mehr Macht zu beckommen.

    Wenn sie damit durchkommen bedeutet das, dass es akzeptabler wird das Wahlrecht zu seinen eigenen Gunsten zu ändern.



    Das wiederum ist ein eindeutiger Verfall der Demokratie.



    Es ist ertmal nur ein kleiner Schritt, muss aber trotztdem kritisiert werden.

    Hier sind Mitglieder von SPD, FDP und Grünen in der Pflicht ihre Parteikollegen zurückzurufen oder das Problem zumindest öffentlich anzusprechen.



    Kritik von außen kann sonst immer als Egoismuss dargestellt werden.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @ Hauke Saschek:

      Der Trick, die Abschaffung der Grundmandatsklausel erst vor der Abstimmungssitzung als Änderungsantrag in die Vorlage einzubringen ist einfach - ich sag's nicht ...



      Dass keine der hierfür vorgebrachten Rechtfertigungen zieht, wird hier klar:



      "Ampel gegen Sachverstand" taz.de/Reform-des-Wahlrechts/!5919138/

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @ Hauke Saschek:

      Ja!

  • Wir brauchen ein kleineres Parlament. Egal wie man es macht, es wird immer jemandem nicht recht sein.



    Es steht eh zu vermuten, dass das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort hat.

  • philomag.de hat auf dieses Problem eine bestechend einfache Antwort: "Weniger wählen gehen, mehr Lotto spielen," (www.philomag.de/ar...l/weniger-waehlen). Wäre nach kluger philosophischer Abwägung sowohl demokratischer als auch schöner. Beim Auslosen würde sich das Problem, dass einzelne Parteien an ihren Direkt- und Überhangmandaten kleben in Luft auflösen, da ohne Parteien auch kein Postengeschacher mehr. Zudem müssten sich Politiker:innen, die für eine Legislaturperiode ausgelost werden, nicht länger verbiegen (um Karriere im "Betrieb" ihrer Partei machen zu können), da sie nach ihrem Intermezzo als Politiker:in ja wieder in ihr vorheriges Leben (oder ein anderes außerhalb des Politikbetriebs) zurück kehren, beziehungsweise dieses am besten nie ganz verlassen, sondern als Halbtagsabgeordnete verpflichtet werden. Da wäre die Staatskasse gleich doppelt entlastet. Der Hauptberuf "Politiker:in" würde zwar dann aus dem Arbeitsmarkt komplett wegfallen, aber angesichts des drastischen Arbeitskräftemangels in Systemrelevanten Berufen (die wir seit Corona gut kennen) wäre auch das kein Problem.

  • Vorschläge der CSU für eine Wahlrechtsreform?

  • #Zugzwang



    Dieser, international gebräuchliche, Begriff aus dem Schachsport dürfte nun die beiden C-Parteien betreffen. Entsprechend Bedröppelt war der Gesichtsausdruck von Merz und Dobrindt.

    Wildbad-Kreuth darf sich nicht wiederholen. Kloster Seon wird den beiden für derzeit 175€ pro Person und Nacht* gute Beratungsraum geben.



    *Kann abweichen

  • Ob es eine gute Idee ist, gegen die Opposition eine Wahlrechtsreform zu beschließen?

  • Das wird die Ampel wohl durchboxen - mit freundlicher Unterstützung der AfD