Reform der katholischen Kirche: Die Machtfrage gestellt
Die katholische Kirche kann nicht mehr so bleiben, wie sie ist. Die Frage ist, ob sie sich im Sinne ihrer liberalen Mitglieder ändern wird.
Diese Woche haben 125 queere Menschen die Machtfrage in der katholischen Kirche gestellt. Die Initiative #OutInChurch gibt jenen Mitarbeiter*innen der katholischen Kirche ein Gesicht, von denen man wusste, dass es sie gibt, die sich aber versteckt halten sollten: Menschen, die sich als lesbisch, schwul, bi, trans*, inter, queer und non-binär identifizieren.
Die Praxis des „Don’t ask, don’t tell“, oder auf Deutsch: „Frag nicht, sag nichts“, gehört seit vielen Jahrzehnten zur katholischen Kirche. Welche katastrophalen Folgen die Nichtthematisierung haben kann, zeigen nicht nur die Gutachten zur sexualisierten Gewalt in der Kirche. Auch die Menschen der Initiative #OutInChurch sprechen von Suizidalität, Diskriminierung, Einsamkeit.
Im Katechismus wird Homosexualität weiterhin als eine „schlimme Abirrung“ bezeichnet. Die Vorgesetzten von queeren Menschen im Bistum, in Krankenhäusern, Schulen, Kitas, Hospizen oder in ihren Kirchengemeinden haben daher Macht über sie. Wie viel Einfluss diese Macht auf ihr Leben hat, bemisst sich daran, wie liberal oder konservativ die jeweiligen Entscheidungsträger*innen sind.
Manche Menschen von #OutInChurch erzählen, dass sie schon lange in ihrer Kirchengemeinde geoutet sind und kaum oder keine Probleme haben. Andere haben mit der Initiative ihr Coming-out und erleben es als Befreiung. Sie müssen aber mögliche Konsequenzen wie eine Kündigung noch abwarten.
Einer der größten Arbeitgeber
Ein lesbisches Paar, das seit 40 Jahren eine Beziehung führt, macht diese lange nach ihrer aktiven Zeit als Mitarbeiterinnen der katholischen Kirche öffentlich. Bei anderen war die Angst vor dem beruflichen Aus zu groß. Sie entschieden sich, anonymisiert Teil der Initiative zu sein.
Als queere Menschen kann ihnen ein Loyalitätsverstoß gegen die katholische Kirche vorgeworfen werden. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz darf in Deutschland niemand aufgrund seiner Sexualität oder Religion benachteiligt werden. Aber das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften ist im Grundgesetz verankert und dieses schließt ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht ein, das auf der Loyalitätsverpflichtung fußt.
Die Mitarbeiter*innen sollen mit den Vorstellungen des Arbeitgebers konform gehen und das auch im Privatleben. Die Kirche ist einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. Etwa 1,3 Millionen Menschen arbeiten im kirchlichen Dienst.
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat nach der Coming-out-Aktion gesetzgeberische Konsequenzen gefordert: „Niemand darf wegen seiner oder ihrer sexuellen Identität benachteiligt werden“, schrieb der FDP-Politiker am Montag auf Twitter. „Bei allem Respekt vor dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht insbesondere im verkündungsnahen Bereich – dem muss auch die Kirche als einer der größten Arbeitgeber in Deutschland Rechnung tragen.“
Doppelmoral sichtbar gemacht
Die Ampelparteien haben im Koalitionsvertrag angekündigt zu prüfen, wie das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen angeglichen werden kann. Doch die Macht liegt durch das höher wiegende kirchliche Selbstbestimmungsrecht bei den einzelnen Bistümern. Einige Bischöfe haben bereits angekündigt, dass ihre Mitarbeiter*innen keine Konsequenzen für das Coming-out zu befürchten haben. Rechtssicherheit haben sie dadurch aber nicht.
Welche Macht können die Menschen von #OutInChurch mit ihrer Initiative erlangen? Klar ist, dass die mutigen 125 Menschen die in so vielen Bereichen der katholischen Kirche herrschende Doppelmoral für die Öffentlichkeit erneut deutlich sichtbar machen. Einen schwulen katholischen Jugendreferenten darf es geben, aber über seine Homosexualität soll er bitte nicht sprechen.
Ähnlich wird seit Jahren mit geschiedenen Menschen verfahren oder auch mit Priestern, die sich eigentlich dem Zölibat, also der verpflichtenden Ehelosigkeit, verschrieben haben, aber mit Kenntnis vieler Menschen schon über Jahre eine Beziehung führen. Solange sie die Beziehung nicht offiziell machen, also heiraten oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen wollen, werden sie geduldet.
Im Jahr 2002 wünschte sich ein Mensch aus meinem persönlichen Umfeld, nach fünf Jahren Beziehung seine Freundin heiraten zu können. Das bedeutete für ihn einen beruflichen Bruch, er war katholischer Priester. In Gesprächen mit dem Vorgesetzten gab es keinen Vorwurf oder Verwunderung, sondern nur eine Frage: „Wollen Sie das denn wirklich öffentlich machen?“
Aussitzen wird nicht funktionieren
Das Pflichtzölibat abzuschaffen, dafür treten auch die Reformgruppen der katholischen Kirche ein, wie etwa Maria 2.0. Bei der dritten Versammlung des kirchlichen Reformprojekts Synodaler Weg soll vom 3. bis 5. Februar auch über die Veränderung der Sexualmoral im Katechismus gesprochen werden. Doch auf grundlegende Veränderungen, die durch die höchste Stelle der katholischen Kirche, den Vatikan und Papst, angestoßen werden, wartet man vergebens. Auch in Deutschland bleibt es bislang bei guten Vorsätzen, bei Gesprächsangeboten, bei Tolerierung. Echte Veränderungen folgen nicht, viele der progressiven Forderungen gibt es schon seit Jahrzehnten.
Die aktuellen Ereignisse werden die katholische Kirche aber hoffentlich länger beschäftigen: das mutige Coming-out, aber auch die falsche Aussage des emeritierten Papstes Benedikt XVI. im Münchner Gutachten zur sexualisierten Gewalt. Die Stadt München hat ihre Kapazitäten für Kirchenaustritte nun verdreifacht, auch NRW meldet eine Rekordzahl an Kirchenaustritten.
Die oft genutzte Taktik einiger Entscheidungsträger der katholischen Kirche, die Füße stillzuhalten und zu warten, bis die öffentliche Aufregung vorübergezogen ist, dürfte nicht mehr lange funktionieren. Auch Kardinal Reinhard Marx sagte nun: „Es gibt keine Zukunft des Christentums in unserem Land ohne eine erneuerte Kirche.“
Warum die Menschen, die bei #OutInChurch von ihren Diskriminierungserfahrungen berichten, überhaupt Teil der Kirche sein wollen, treibt viele um. Die Antwort kann nur eine individuelle sein. Kirche ist, was vor Ort passiert, sagen aktive Mitglieder und berichten von bereichernder Arbeit. Die katholische Kirche hat ihnen keinen Schutzraum gegeben. Den müssen sie sich selbst holen. Mit dem gemeinschaftlichen Coming-out haben sie das Machtinstrument des Schweigens gebrochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück