Reform der Ersatzfreiheitsstrafe vertagt: Längere Haft wegen IT-Problemen
Der Bundestag hat auf Wunsch Bayerns die Verkürzung der Ersatzfreiheitsstrafe vertagt. Einige Tausend Menschen müssen daher doppelt so lange in Haft.
Wer eine Geldstrafe nicht bezahlen kann, muss ersatzweise ins Gefängnis. Bisher musste für einen Tagessatz nicht bezahlte Geldstrafe ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt werden. Weil der Gefängnisaufenthalt aber ungleich schwerer belastet, halbierte der Bundestag im Juni den Umrechnungsschlüssel. Pro Tagessatz Geldstrafe wird nur noch ein halber Tag Gefängnis fällig.
Eigentlich sollte die Reform zum 1. Oktober in Kraft treten. Der Bundestag hat den Stichtag aber nachträglich um vier Monate auf den 1. Februar 2024 verschoben. Dies geschah bereits Anfang Juli, was aber niemand mitbekam, weil die Gesetzesänderung in einem Gesetz zur Güterverkehrsstatistik versteckt wurde und deshalb der Verkehrsausschuss des Bundestags federführend war. Erst die Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe machte jetzt auf die Verschiebung aufmerksam.
Grund für die Verschiebung sind IT-Probleme. Ein Modul zur Strafzeitberechnung wird von einem Verbund aus neun Bundesländern unter Federführung Bayerns benutzt und muss nun neu programmiert werden. Obwohl die Änderung des Umrechnungsschlüssels von 1:1 in 1:2 nicht allzu komplex scheint, forderte Bayern sechs Monate Aufschub und erhielt nun immerhin vier Monate.
Davon betroffen sind einige Tausend Menschen, die doppelt so lange ins Gefängnis müssen, wie vom Bundestag zunächst vorgesehen. Genaue Daten hierzu wird es nicht geben, denn es gibt keine Statistik zur Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen. Auch für die Länder ist die Verschiebung nachteilig. Jeder Hafttag kostet sie weit über 100 Euro pro Person. Einen Verschiebungsantrag Bayerns lehnte der Rechtsausschuss des Bundesrats noch Ende Juni ab.
Doch was bedeutet die Verschiebung konkret? Für alle Geldstrafen, die bis zum 1. 2. 2024 rechtskräftig werden und unbezahlt bleiben, gilt noch der alte 1:1-Umrechnungsschlüssel. Es könnte sich also lohnen, pro forma Rechtsmittel einzulegen und nach dem 1. Februar wieder zurückzunehmen, damit die Rechtskraft der Geldstrafe erst nach dem Stichtag eintritt. Allerdings sind von Ersatzfreiheitsstrafen in der Regel Leute betroffen, die sich solche Gedanken nicht machen, weil sie ihr Leben eh nicht geregelt bekommen. Viele von ihnen sind suchtkrank und obdachlos.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?