Ersatzfreiheitsstrafe in Berlin: Mehr Knast für arme Menschen

In Berlin sitzen immer mehr Menschen Ersatzfreiheitsstrafen ab. Die Initiative Freiheitsfonds beklagt Unverhältnismäßigkeit und fürchtet steigende Zahlen.

Ein Mann steht in der Tür einer Berliner U-Bahn

Fahren ohne Fahrschein muss man sich leisten können Foto: Christoph Hardt/Imago

BERLIN taz | Wer eine gerichtlich verordnete Geldstrafe nicht bezahlen kann, muss nach geltendem Gesetz eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen. Sprich: in den Knast. Wie aus einer Anfrage der Deutschen Presse Agentur an die Senatsjustizverwaltung hervorgeht, waren das im ersten Halbjahr 2023 in Berlin bereits 1.606 Menschen.

Und die Tendenz ist steigend. Im gesamten Jahr 2022 mussten 2.390 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. In den beiden Vorjahren waren es coronabedingt weit weniger, da die Vollstreckung ausgesetzt war.

Ein häufig zugrundeliegendes Delikt ist das Fahren ohne Fahrschein, im Strafgesetzbuch unter Paragraf 265a als „Erschleichen von Leistungen“ geregelt. Von Januar bis Juni 2023 mussten deswegen 317 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Im Jahr 2022 waren es noch 414.

Arne Semsrott, von der Initiative Freiheitsfonds, die bislang 838 Menschen aus Gefängnissen freigekauft hat, davon ein Viertel in Berlin, prophezeit auch weiter zunehmende Ersatzfreiheitsstrafen: „Wirtschaftskrise und Inflation bedeuten, dass sich die Situation für viele Menschen perspektivisch verschlechtert. Dann wird es auch mehr Leute geben, die ihre Strafen nicht zahlen können und im Gefängnis landen.“

Steigende Zahlen befürchtet

Aus einer Erhebung der JVA Hakenfelde geht hervor, dass ohnehin besonders Menschen von der Regelung betroffen sind, die eigentlich unterstützungsbedürftig wären. Bis zu 85 Prozent der Ersatzinhaftierten sind arbeitslos, etwa 38 Prozent wohnungslos, dazu seien fast alle verschuldet und viele hätten Sucht- und psychische Erkrankungen.

Semsrott beklagt, dass die verhängten Tagessätze gerade für armutsbetroffene Menschen unverhältnismäßig hoch angesetzt seien. „Eine übliche Strafe für das wiederholte Fahren ohne Fahrschein sind 30 Tagessätze à 15 Euro, also insgesamt 450 Euro. Menschen mit Bür­ge­r*in­nen­geld oder ohne Einkommen können das nicht bezahlen“, sagt er.

Eine Reduzierung der Mindesttagessätze auf 5 Euro, wie es die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers im Januar Staats­an­wäl­t*in­nen und An­wäl­t*in­nen empfahl, sei deshalb auf Landesebene ein guter Vorstoß, so Semsrott. Aus einer Recherche des Neuen Deutschlands ging jedoch erst im Juli hervor, dass dieser Mindestsatz in der Berliner Justiz bisher nur selten Anwendung findet.

Aus Semsrotts Sicht müsse neben der konsequenteren Anwendung die Höhe des Mindestsatzes weiter reduziert werden, um Verhältnismäßigkeit herzustellen. „Das Existenzminimum muss beachtet werden. Bei zu hohen Tagessätzen wird das schnell überschritten. Bei wirklich kleinen Einkommen sollte man deshalb auf 1 Euro runtergehen“, sagt er. Eigentlich fordert er die Entkriminalisierung, also die Abschaffung des Paragrafen 265a. Eine Alternative wäre vergünstigter oder kostenloser ÖPNV.

Im Juni hatte der Bundestag beschlossen, die Berechnungsregelung anzupassen. Während bisher für 60 Tagessätze auch 60 Tage Freiheitsentzug verhängt wurden, sind es von nun an noch 30, also die Hälfte.

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