Ersatzfreiheitsstrafen in Niedersachsen: Haft ist keine Lösung

Die Zahl der Häftlinge mit einer Ersatzfreiheitsstrafe in Niedersachsens Gefängnissen steigt. Die Rechtsprechung bestraft damit Menschen für ihre Armut.

Fahrkartenautomat an einer U-Bahn-Haltestelle

Ersatzfreiheitsstrafen: Am Fahrkartenautomat beginnt häufig der Teufelskreis Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Zunehmend mehr Menschen müssen in Niedersachsen eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis absitzen. Und das häufig nur, weil sie ohne gültiges Ticket öffentliche Verkehrsmittel genutzt hatten und eine verordnete Geldstrafe nicht bezahlt haben. 339 waren es im aktuellen Jahr, im gesamten vergangenen Jahr saßen 273 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab. Insgesamt gebe es 4.751 Inhaftierte, sagte ein Sprecher des Justizministeriums in Hannover – das sind rund 7,14 Prozent aller Haftstrafen.

Das Fahren ohne gültigen Fahrschein ist in Deutschland eine Straftat, geregelt durch Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs: „Erschleichen von Leistungen“ – ein veraltetes Gesetz der Nazis aus dem Jahr 1935. Während Falschparken nur eine Ordnungswidrigkeit ist, sollen Menschen ohne Ticket Kriminelle sein.

Meist ist es Armut, die einen Teufelskreis in Gang setzt: Wer wegen kaum ausreichender Sozialleistungen keine 3,80 Euro für eine Fahrt mit Bus und Bahn zum Amt, zum Supermarkt oder zur Ärz­t*in­ aufbringen kann, wird noch weniger das „erhöhte Beförderungsentgelt“ zahlen können, das bei einer Kontrolle droht. In Niedersachsen sind das mindestens 60 Euro.

So nimmt der Teufelskreis seinen Lauf: Wer nicht zahlt, wird angezeigt, es wird ein Verfahren eingeleitet und in der Regel ein Strafbefehl erlassen. Die Strafe wird ohne jegliche Verhandlung festgelegt, Betroffene bekommen per Brief Bescheid. Wer aber ohnehin keinen festen Wohnsitz hat, erfährt davon meist nichts und kann keinen Einspruch erheben. Eigentlich kann die Geldstrafe durch gemeinnützige Arbeit abgearbeitet werden. Auch in Niedersachsen ist das ein Ansatz, um die Freiheitsstrafe zu verhindern. Für obdachlose oder suchtkranke Menschen ist die körperliche Betätigung aber oft kaum möglich.

Rechte sichern statt bestrafen

Ist das härteste Mittel, das dem Rechtsstaat zur Verfügung steht, die Haftstrafe, in solchen Fällen gerecht? Nein, denn es werden letztendlich Menschen für ihre Armut bestraft, anstatt Hilfe zu erhalten. Es lässt sich sogar in FDP-Manier gegen die Ersatzfreiheitsstrafe argumentieren: Sie kostet dem Staat und damit den Steu­er­zah­le­r*in­nen nämlich viel Geld.

Je nach Bundesland sind es zwischen 98 und 188 Euro pro Gefängnistag. Das geht aus internen Dokumenten der Justizministerien hervor, die die Rechercheplattform „FragDenStaat“ und die Sendung „ZDF Magazin Royale“ 2021 veröffentlichten.

Nun kann man fragen: Was ist denn die Alternative? Strafe müsse nun mal sein. Eine Haftstrafe ist aber keine Lösung, die Probleme verschärfen sich eher: Das erhöhte Beförderungsentgelt müssen Betroffene auch nach der Haft noch zahlen, sie verlieren eventuell ihre Wohnung und müssen wieder ohne Ticket fahren. Die Frage sollte also lauten: Wie kann der Staat allen Menschen das Recht auf Mobilität gewähren?

Ein kostenloser ÖPNV – zumindest für So­zi­al­hil­fe­emp­fän­ge­r*in­nen und von Armut betroffene Personen wäre ein Anfang. Das Nazi-Gesetz endlich zu streichen und Menschen, die sich kein Ticket leisten können, nicht mehr zu kriminalisieren, wäre das Mindeste.

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