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Rechtsextremistischer Terror in HanauRiss im Selbstbild

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Deutschland war nie so freundlich und liberal, wie es gerne glaubt. Im Angesicht des Rechts-Terrors aber wird klar: Alle Bekundungen sind zu wenig.

Die Luft wird giftiger: Das Weltbild rechter Täter hallt in der Rhetorik der AfD wieder Foto: Michael Probst/ap

D ie Bundesrepublik hat ein freundliches Bild von sich selbst entworfen. Sie ist aus der Geschichte der NS-Gewalt klug geworden, fest im Westen vertäut und weitgehend gewappnet gegen die autoritäre Verführung, die derzeit global an Boden gewinnen. Wir hingegen sind fast streberhaft bemüht, einen liberalen, weltoffenen Eindruck zu machen.

Diese Erzählung war schon immer zu glatt, zu nett, zu sehr von Selbstlob getränkt. Jetzt ist sie ein Grund, warum es so schwierig ist zu begreifen, was offenkundig ist: Es gibt einen rechtsterroristischen Angriff auf die Republik, eine blutige Spur, die von den Morden des NSU über den Mord an Walter Lübcke und den Anschlag auf die Synagoge in Halle bis zu den Toten in Hanau reicht. Dieser rechte Terror ist ein tiefer Kratzer im netten Bild der Bundesrepublik als Hort von Vernunft und Zivilität. Weil die rechten Morde dazu nicht passen, fällt es enorm schwer, die Angriffe so ernst zu nehmen, wie sie sind.

Mag sein, dass diese Schwerfälligkeit durch die Art des Terrors begünstigt wird. Die Angriffe gelten, anders als die der RAF, nicht den Spitzen des Staates, und es gibt auch keine Kommandozentrale, die die Taten plant. Der rechte Terror ist diffuser, unberechenbarer. Beim NSU waren überzeugte Nazis am Werk. In Hanau mordete ein Rechtsextremist, der mannigfache paranoide Vorstellungen hatte. Doch so diffus und spontan ist die rechtsterroristische Gewalt gar nicht. Sie zielt auf ein Feindbild: alle, die nicht deutsch aussehen.

Figuren wie Stephan E. in Kassel und Tobias R. in Hanau fühlen sich, anders als früher, ermutigt zu töten. Das ist typisch für die Konjunkturen rassistischen Terrors. Auch in den frühen 90er Jahren hatten vor allem im Osten viele Rechtsextreme, als sie Brandbomben in Wohnungen warfen, das Gefühl, das zu tun, was viele insgeheim guthießen. Das stille Nicken, auch die achselzuckende Bagatellisierung, dass es ja nur ein Einzeltäter sei, ist der Humus, auf dem dieser Terror wächst.

Es ist ein gutes Zeichen, dass Frank-Walter Steinmeier nach Hanau fährt. Es ist auch keine Effekthascherei

Aus RAF-Zeiten weiß man, wie fatal das Gerede von geistigen Brandstiftern sein kann. Damals wurden von Konservativen auch Jürgen Habermas und Heinrich Böll für die RAF in Haftung genommen. Daher sollte man, in Erinnerung an die Sympathisantenjagd, vorsichtig sein mit solchen Bezichtigungen. Aber: Die Reaktionen der AfD, die von Ausreden über Verharmlosungen bis zu der Verdrehung reicht, Merkel oder die Migranten seien schuld, sind bodenlos. Die AfD kann keine klare Grenze zur Gewalt ziehen, weil sie dann in dem von Verfolgungswahn geprägten Weltbild der Mörder die Echokammern in ihrer eigenen Hassrhetorik erkennen müsste.

Als Rechtsterroristen 1992 in Solingen mordeten, scheute Kanzler Kohl Bilder am Tatort. Es ist ein gutes Zeichen, dass Frank-Walter Steinmeier nach Hanau fährt. Dies ist auch keine Effekthascherei: Steinmeier kümmert sich auch um Opfer rechter Gewalt, wenn die Kameras aus sind. Merkels Formel, dass „Rassismus und Hass Gift sind“, kam rasch und ist treffend.

Aber nach Hanau ist klar: All das ist zu ­wenig.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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36 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Fühl mich von der CDU an die Rechten verkauft, evt ist deren Wertegemeinschaft größer als zugegeben. Weimarer Republik.2

  • Es ist erstaunlich, wieviel Aussagen mit ca. 30 Buchstaben, 10 Ziffern und ein paar Satzzeichen möglich sind. Wenn man alles, was durch die Schöpfung, die Natur einschl. Menschen uns möglich ist, in Aussagen formulieren wollte, geht das gegen unendlich, ähnlich unserem unfaßbaren Universum. Wären die maßgebenden Naturgesetze nicht klar und eindeutig, alles wäre total chaotisch. Wir haben genug darüber gelernt, sodass es möglich wurde, einen hochauflösenden Monitor, einen Computer und das Wunderwerk Smartphon zu erschaffen. Die Götter haben sich zwischenzeitlich bestimmt auch weiterentwickelt. Der politische Rahmen für ein erfülltes Leben jedes einzelnen ist dauerhaft nur global zu schaffen. Dies kann nicht dem Zufall, einzelnen Egomanen und Seilschaften überlassen werden. Wir haben jetzt die Chance, das gemeinsam zu schaffen. Vernunft und Gemeinsamkeiten gibt es in allen Ethnien. Es braucht aber klare Regeln und Gesetze, um uns vor ambivalenten Alleingängen einzelner Gruppen über Leute wie Trump, Putin, Kim Jong Un, Assad, Erdogan u.a. zu bewahren. Viele dieser Menschen haben sich durch wirtschaftliche Manipulationen, Unrecht, Intrigen und kriegerische Handlungen schwerster Verbrechen schuldig gemacht. Laßt uns endlich energisch Grundlagen dafür schaffen, dass diese Auswüchse überhaupt nicht mehr möglich sind. Wir brauchen Einigung über globale Regeln und dürfen Regime, die nicht gewillt sind, dies zu erreichen, nicht noch anfüttern. Wir können auch keine Kooperation mit kranken Hirnen eingehen, die das, was sie vorgeben, gemeinsam zu bekämpfen, zum eigenen Vorteil hintenherum erst schaffen. Die Finten und Tricks von Politikern und Parteien, können nicht durch eine gekaufte und klientelabhängige Presse aufgedeckt werden. Das heißt, dass Journalismus, ähnlich den öffentlich Rechtlichen, gesellschaftlich mitfinanziert werden muss. Eine Vermischung von geprüften Nachrichten, Unterhaltung, Trash und manipulierender, meist noch verlogener Werbung, ist auch schädlich

  • So wie man einen Grippevirus nie ganz aus der Welt schaffen kann, so wenig kann man die rechte Seite eines Landes nie ganz loswerden. Wo viele Menschen aufeinander treffen mit unterschiedlichen Weltansichten, wird es immer auch Konfontation geben. Wer hier eine passende Lösung findet, der ist begnadet - ich glaube kaum dass sich das so einfach ändern lässt. Wenn wir aber zusammenhalten und nicht gegeneinander gehen, werden wir eher zu einer Lösung!

  • Überfremdung ist etwas, was mit Fremdenfeindlichkeit erstmal nichts zu tun hat. Wo aber beginnt die Grenze oder sollte es keine Grenze geben? Ein Fürsprecher gegen Überfremdung ist nicht unbedingt ein Fremdenhasser und schon gar kein Rechter, Linker oder sogar Mörder. Menschen in Not sollte immer geholfen werden. Man muss sie aber nicht gleich zu Familienmitgliedern machen auch wenn dies über Heirat und Adoption natürlich möglich ist. Wie alles, wird auch dieser Zustand ambivalent, teilweise sogar schizophren genutzt. Zwischen Ablehnung und Hass gibt es viele Zwischenstufen. Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, sollten wieder dahin zurück können. Menschen, die ihre Heimat verlassen wollen, brauchen starke Gründe. Diese Gründe müssen hier erstmal politisch und gesellschaftlich allgemein akzeptabel sein. In den Ursprungsländern müssen von der Weltgemeinschaft ordentliche Verhältnisse erzwungen und unterstützt werden. Das braucht Mehrheiten, die vorrangig zu schaffen sind. Kriegerische Auseinandersetzungen sind nicht mehr zeitgemäß. Für Durchsetzung von Recht genügt die Justiz und Polizei. Das Großkapital und Machtstreben zerrütteln aus naheliegenden und gemeinen Gründen ständig die Gesellschaften. Wenn die Demokratien nicht funktionieren, liegt das auch an unklaren Gesetzen und lückenhaften Regeln. So wie national willkürliche Gewalt verboten ist, ist das auch global möglich. Mit gemeinsamer militärischer sprich polizeilicher Gewalt kann das Kriegsverbot schon in den Anfängen erkannt und unterbunden werden. Die Ursachen sind alle klar ersichtlich aber wir kümmern uns hier mehr um Fußball, Titel und Medallien, zwischenzeitlich über Profis und Marketing genauso ambivalent wie in allen Bereichen. Geld, Geld, Geld, Hauptsache Geld...immer bis zur vollkommenen Zerstörung......siehe 1. und 2. Weltkrieg, siehe Syrien, Afganistan, Krim und Ukraine.....und tötliche Boxkämpfe, die wir als Sport betrachten und die olympisch sind. Der Wahnsinn grüßt von überall her

    • @mike6666:

      Ziemlich wirre Ansammlung vieler Wörter nach der Masche "ich bin ja nicht..., aber....".



      Definiere doch bitte mal den Begriff Überfremdung und löse ihn von Xenophobie. Wird nicht funktionieren. Weiterhin setzt du Militär und Polizei gleich und so wirr geht es dann weiter. Ne, Danke, braucht man nicht.

  • Die Ur-DNA dieses Staates ist der Antikommunismus.

    • @charis:

      Das ist erstaunlich zutreffend.

  • Was ich immer mal sagen wollte:" Die persöhnliche Freiheit eines jeden endet da wo die persöhnliche Freiheit des Nächsten anfängt.



    Nicht immer nur hochtrabend schwafeln sondern einfach danach leben.

    • 0G
      05344 (Profil gelöscht)
      @Käpt`n Blaubär:

      Das finde ich gut.

  • Zitat:



    Aus RAF-Zeiten weiß man, wie fatal das Gerede von geistigen Brandstiftern sein kann. Damals wurden von Konservativen auch Jürgen Habermas und Heinrich Böll für die RAF in Haftung genommen.

    Meine Erinnerung:



    Mir gefriert heute noch das Blut in den Adern, wenn ich mich an einen Spiegelartikel erinnere, wo Böll vom Krieg der Sechs gegen die sechs Millionen fabulierte und damit diesen "Kampf" als heroisch dargestellt hat. Kann man da von Schuldzuweisung sprechen oder eher davon, dass sich Böll an die Spitze der gesetzt hat, die noch publkumswirksam dabei sein sein wollten. Ab da war er mich erledigt, ein klassischer Heuchler, da war nix mit seiner "Katherina Blum" und so. Er war nicht künstlich verantwortlich gemacht, auch nicht von Konservativen, er hat selbst höchstpersönlich (und auch der Spiegel, der diesen Mist gedruckt hat) Verantwortung übernommen.

  • Es ist zu einfach den RAF-Terror auf den heutigen zu übertragen, ja es ist sogar eine historische Fälschung. Das folgt nämlich derselben Gleichsetzung von Nationalsozialismus=Kommunismus.

    Wenn ich mich in meine Studentenzeit zurückversetze, dann folgte die Logik der RAF einer schlichten Revolutionsfantasie. Die Studentenbewegung war zersplittert in K-Sekten, DKP-Spartakus, Trotzkisten, Basisgruppen und noch andere Revolutionäre, die von der grundsätzlichen Umwälzung der BRD träumten. In Wirklichkeit bekriegten sie sich untereinander und diese Grabenkämpfe waren an Infantilität nicht zu überbieten. Sektierer eben.

    Die RAF wollte daher den staatlichen Terror herausfordern, wohlwissend, dass dann postwendend die deutsche Leidkultur einspringt, die Überwachung, Denunziantentum, Polizeistaat, Verfolgung und Unterdrückung als die fünf Säulen des deutschen Wesens zur Grundlage hat.



    Nach der Logik der RAF würde sich dann das Volk erheben und die RAF als ihren bewaffneten Arm zu der großen Revolution nutzen. Nicht alles, was logisch erscheint, ist es auch. Die Strategen hatten einfach die deutsche Feigheit und die religiöse Sehnsucht als Untertan auf den erlösenden Führer zu hoffen, vergessen. Dumm gelaufen.

    Der heutige Rechtsterrorismus bedient aber gerade den Polizeistaat, ja unternimmt alles um ihn zu stärken durch die Dialektik dieser Terrorangriffe. Einerseits wird der rechtsextreme Teil der BRD als tatkräftig und zupackend heroisiert, andererseits nehmen die Bundesregierung und die Landesregierungen diese Morde zum Anlass den gemeinen Bürger zu schuriegeln, Meinungsfreiheit zu begrenzen und die totale Überwachung zu installieren. Doch das spricht kein Politiker aus, wenn er sich in Betroffenheit und Mitgefühl öffentlich ergießt.

    Die Rechtsterroristen hoffen darauf, bei der Machtergreifung einen fertigen Überwachungsstaat vorzufinden, den sie dann beherrschen. Es sieht so aus, als würde es ihnen gelingen.

    Vive la difference.

    • @achterhoeker:

      Die Ideologie ist natürlich eine ganz andere, aber zwischen den methodischen Ansätzen zu deren Umsetzung sehe ich keine so grundsätzlichen Unterschiede:

      Man wollte bzw. will in beiden Fällen mit terroristischer Gewalt staatliche Gegengewalt provozieren ("Überwachung, Denunziantentum, Polizeistaat, Verfolgung und Unterdrückung", wie Sie so schön aufzählen), um dann die gewöhnlichen Bürger, so sie denn nicht zwischen den Fronten stehen wollen, auf eine der beiden Seiten zu zwingen und einen Kampf zwischen breiteren Teilen der Bevölkerung zu entfesseln.

      Der Unterschied dabei ist einzig, dass im Linksextremismus die Front dieses herbeigewünschten Kampfes zwischen sozialen Klassen verläuft, während die Neonazis die Gesellschaft nach rassistischen Kriterien spalten wollen.

    • @achterhoeker:

      @Achterhoeker Haben Sie auch "klammheimliche Freunde" empfunden, als Buback und seine beiden Fahrer erschossen wurden?



      de.wikipedia.org/w...6ttinger_Mescalero

      Als die Dialektik dieser Terrorangriffe den Polizeistaat stärkte?

  • @Ignaz Wrobel

    Ja, das ist ein Unterschied, ein großer sogar.

    Kirchen, Moscheen, Synagogen und Tempel sind Orte, an den Menschen eine Religion ausüben, der sie anhängen. Die jeweiligen Gebäude sind somit nicht nur konkret die Orte, an denen die garantierte Religionsfreiheit ihren Ausdruck findet, sondern auch symbolische Orte einer Religion bzw. Religionsgemeinschaft.

    Eine Shisha-Bar ist ein quasi banaler Ort, genauso wie ein Einkaufszentrum (München), ein Döner-Laden (Halle), ein Bürgersteig (Halle) oder ein Garten (Kassel). Alle diese Orte stehen für nichts, es sei denn für sich selbst; folglich haben sie keinerlei Symbolwert. Deshalb, nur deshalb, aber auch gerade deshalb, sind sie ungeeignet für Mahnwachen oder Solidaritätszusammenkünfte. Hätte einer der Mörder seine Verbrechen in einer Woolworth-Filiale begangen, müssten Mahnwachen oder Solidaritätszusammenkünfte deiner Logik nach vor anderen Woolworth-Filialen stattfinden. Quelle absurdité!

    • @Leonie:

      Wer hat eigentlich die neun Toten zu gläubigenMuslimen erklärt?

    • @Leonie:

      Ich muss hier kurz einwerfen das Shisha-Bars durchaus Symbolträchtige Orte sind. Ich bin war erst in meinen frühen 20ern aber Shisha Bars sind die Orte wo Ich und eine Mehrheit anderer Migranten einen riesigen Teil ihrer Jugend verbringen. Sie sind durchaus Symbolträchtige Orte weil es Identifikationsorte für die jugendliche Migrantengeneration darstellen in die man sich zurückzieht.

      • @RegenWolke:

        Die Shisha-Bar ist ähnlich Symbolträchtig wie ein Fußballverein oder ein Jugendclub.

  • In Aachen gabt es eine Mahnwache und heute gibt es eine Demo.

    Rechtsradikale Gewalt richtet sich gegen alle Menschen - auch gegen Frauen*Lesben mit Behinderung. Menschen mit Behinderung und Andersfähgkeit werden doch schon sehr lange kaum noch als Opfer rechter Gewalt erwähnt. Das gilt für die Presse ebenso, wie für weite Teile der Linken. Sie werden viel zu wenig als Opfer von rechtem Faschismus mitgezählt und nicht wirklich mitgedacht.

    Wenn linke Männer Demos und



    Mahnwachen organisieren, dürfen Frauen*Lesben mit Behinderungen seltenst über ihre Eigenen Erfahrungen mit rechter Gewalt öffentlich erzählen. Sie werden mundtod gemacht und dürfen als politische Gruppierung bei großen Demos so gut wie gar nicht mehr auf dem Podium erscheinen.

    Die "glatte " Erzählung vom liberalen



    Deutschland hat noch nie ein Mensch mit Behinderung und Andersfähigkeit in Deuschland geglaubt.

    Wer oder welche alte Exemplare der



    " randschau" liest, findet dort das übliche, deutsche Narrativ von der liberalen, friedfertigen



    Wohlstandsgesellschaft kaum.

    Diese Geschichte hat bereits auf dem Höhepunkt dieses Narratives schon zu Beginn der BRD nicht für alle Menschen die Haupterzählung dargestellt.

    Um so erstaunlicher, dass linker Journalismus diese Erzählung noch immer so benutzt, als ob sie jemals für alle gegolten hätte.

  • "Deutschland war nie so freundlich und liberal, wie es gerne glaubt."

    "Deutschland" glaubt gar nichts. Eine journalistische Unsitte, einen abstrakten Gegenstand zu "hypostasieren", wie der philosophische Terminus dafür lautet. Es ist schon schwer genug, den abstrakten Gegenstand begrifflich zu fassen: Wer oder was ist Deutschland eigentlich? Eine Landschaft mit Bergen und Tälern, Flüssen und Auen, Städten und Dörfern, Städten und Dörfern ...? Ein Staat? Ein Sammelsurium von Sportvereinen und Sportlern, das bei Wettbewerben mit schwarz- rot-gelbem Symbollogo auf Tafeln angezeigt wird? Ein nationalistischer Schwindel, mit dem ich mich identifizieren soll, damit meine soziale Identität verborgen bleibt (Du bist Deutschland").



    Ich war jedoch nie "Deutschland", ich war nie Weltmeister, ich war nie Papst, und der Höhepunkt des Schwindels, die Hypostasierung, besteht darin, dass Deutschland auf gespenstische Art und Weise Leben, ja eine Seele eingehaucht bekommt. Daraus entstehen dann Märchen, eher ein Wintermärchen (Heinrich Heine) als ein von Medien und Politikern ersponnenes "Sommermärchen". Gegen solcherart Vereinnahmung sollten sich kritische Individuen verwahren.

    • @Heinrich Ebbers:

      Diese von Ihnen beiden zur Schau gestellte Überindividualisierung ist das Problem. Ich Ich Ich. Das ist Entsolidarisierung, mehr nicht. Was ist Deutschland? Das sind wir alle. Wir, die wir hier leben, zusammen arbeiten, zusammengeschlossen in einer Organisationseinheit, die sich Staat nennt. Dessen Erreichen unsere Vorfahren so viel Blut, Schweiß und Tränen gekostet hat, dass es für uns alle unvorstellbar ist, und wir, so wie wir heute sind, dieses Ziel niemals erreichen könnten.



      Es gibt Vorhaben, die ein einzelner Individualist nicht umsetzen kann. Forschung, Bildung, Entwicklung, Infrastruktur, Sicherheit. Doch, Sie sind Weltmeister geworden. Denn wenn sie hier wohnen, arbeiten, leben, zahlen, dann sind sie ein Rädchen des riesigen Getriebes, das unter anderem den DFB antreibt.



      All das Genannte und noch viel mehr ist nur als Einheit zu erreichen. Ich habe die Faxen so dicke von diesem selbstzerstörerischen Geschwätz, dass man Deutschland und deutsche Kultur nicht einmal definieren könne. Deutschland hat eine Seele, denn wir sind hier und hauchen dem abstrakten Begriff Leben ein.

      • @Lukas Fischer:

        "Das ist Entsolidarisierung, mehr nicht."

        Wofür man sich solidarisieren soll, ist dann wohl egal? Hauptsache man tuts!

        "Das sind wir alle. Wir, die wir hier leben, zusammen arbeiten, zusammengeschlossen in einer Organisationseinheit, die sich Staat nennt."

        Klar eine urwüchsige, natürliche Gemeinschaft, die nichts anderes tut als frohlockend fürs gemeinsame große Ganze zu arbeiten. Steckst in einem Mindestlohnjob, der deine Gesundheit ruiniert und dir kaum genug Geld lässt, um dein Leben zu genießen, während die größte Sorge deines Bosses ist, ob der neue 911er im Golfclub auch gut ankommt? Scheiß drauf! Denn immerhin kannst du dir sagen, dass DU zum BIP beigetragen hast.

        "Es gibt Vorhaben, die ein einzelner Individualist nicht umsetzen kann. Forschung, Bildung, Entwicklung, Infrastruktur, Sicherheit. Doch, Sie sind Weltmeister geworden."

        Was für ein geistreicher Satz: Man kann alleine also nicht so viel auf die Beine stellen, wie wenn man mit anderen zusammenarbeitet. Dann ist ja schon fast egal, wie diese "Zusammenarbeit" im Endeffekt organisiert ist und wer sich wie viel für die Erträge abrackern muss und da am Ende was für rausbekommt.

      • @Lukas Fischer:

        Hi :) ich habe mich grad extra bei Taz.de angemeldet, um danke zu sagen für den Kommentar! Ich könnte das noch ewig weiter ausführen, aber im Grunde hast du alles gesagt was mit schon sehr lange U immer wieder auf der Seele liegt - und das sehr schön formuliert!



        Ich bin ganz sicher Teil dieses hochstilisierten "Deutschland", das uns - wie uns nie richtig erzählt wird - allen innewohnt und eine wundervolle Kultur seit Jahrhunderten schenkt, angefangen bei den Germanen schon seit der Antike.

      • @Lukas Fischer:

        Blut gekostet? Ich weiß nur von sechs Millionen Menschen, die dem Rassenwahn deiner Vorfahren zum Opfer gefallen sind. Die komnen wohl in deinem beschissenem Märchen wohl nicht vor.

        • @Albertoni:

          Ich rede nicht von 33 bis 45, denn das war dem Ziel, ein erfolgreiches Staatssystem aufzubauen, überhaupt nicht dienlich. Im Gegenteil war das eine Katastrophe. Es waren nicht 6, sondern über 40 Millionen, die dem hier zum Opfer gefallen sind, und 20 mehr auf der anderen Seite in Asien. Ich glaube du hast nicht verstanden, worauf ich hinauswill. Die Deutung von "Deutschland" muss sich endlich weiterentwickeln. Man sollte den Begriff des Volkes nicht negativ abgrenzend der AfD überlassen, er muss positiv besetzt werden. Jeder, der hier lebt, sich einbringt, und dazugehören will, ist ein Teil davon, kann und sollte stolz darauf sein und es ist scheißegal, wo derjenige oder seine Vorfahren herkommen. Dem Zusammengehörigkeitsgefühl komplett zu widersprechen, wie Timo und Heinrich das machen, das halte ich für falsch. Menschen, die keinen Halt verspüren, neigen eher zu Extremismus. Du magst es als Märchen betiteln, ich halte es für ein Narrativ, dem ein wahrer Kern zugrunde liegt und das die Bevölkerung zusammenschweißen könnte.

          • @Lukas Fischer:

            Klar, „du nix verstehen“. Was soll, bitte schön, an deinem sog. Kommentar nicht zu verstehen sein? Die Leier über die Notwendigkeit, den Volksbegriff „positiv zu besetzen“ wirkt nicht weniger abgestanden, wenn man sie mit der Bezeichnung „Narrativ“ aufpäppelt (übrigens, ein Wort, das inzwischen von jedem drittklassigen Manager oder Dorfpolitiker verwendet wird.)



            „Man sollte es nicht der AfD überlassen“. Klar, Hannibal Lecter hätte mutatis mutandis sagen können: „man sollte den Kannibalismus nicht den Kannibalen überlassen“.



            Der einzige wahre Kern des Volksmythos ist der Glaube daran sowie und die damit einhergehende wahnhafte Suche nach Anderen, die das Volk bedrohen und die es zu beseitigen gilt.



            Lektüreempfehlung für dich: Johannes Fried (weiß Gott kein Kartoffel-Hasser) : Die Anfänge der Deutschen. Kapitel 1 Was heißt deutsch? bzw. Schlusskapitel: Noch einmal: Was ist deutsch?



            Antwort: s.o.

            • @Albertoni:

              Sorry, aber was du sagst ist ein Haufen Quatsch. In unserer Welt funktioniert sehr vieles nur, weil daran geglaubt wird. Geld, Religion, Moral, Selbstverständnis. Du sagst, wir sollten alle hier in Gemeinschaft leben, zusammen organisiert, aber uns nicht als Einheit und Teil von etwas Größerem sehen. Das ist der Kardinalfehler, an dem sich unsere Gesellschaft ausdifferenziert, in rechts, links, Biodeutsche und Ausländer, in Ober und Unterschicht. Die Konsequenz dessen, was du so hart verteidigst, sieht man in der AfD, Rechtsterrorismus, arabischen Paralellgesellschaften ect.



              Nach deiner Logik ist das Konzept der Familie genauso hinfällig. Du musst in deiner Welt ziemlich einsam sein.

              • @Lukas Fischer:

                Aber jetzt, Spaß beiseite, bin tatsächlich ein sehr einsamer Mensch. Vor allem nachts: da fehlt mir der nationale Halt total. Vielleicht hilft es, wenn ich mir schwarz-rot-goldene Bettwäsche kaufe. Kannst du mir da was empfehlen?

              • @Lukas Fischer:

                "...arabischen Paralellgesellschaften" - quod erat demonstrandum.



                Was kommt noch? . Etwa " nicht integrierbare Kulturfremde", oder gar Shishabars?



                Zu meiner von dir erfundenen Einsamkeit: sollte es irgendwann dazu kommen, würde ich deren Überwindung im echten Leben und nicht in dessen Ersatz durch unappetitliche Gemeinschaftsphantasien und Nationalsymbole suchen.

                • @Albertoni:

                  na klar. picke dir einen Punkt raus, reiße ihn aus dem Kontext, und überspiele so dein argumentatives Totalversagen. ein Klassiker. Arabische Paralellgesellschaften sind durch dutzende Studien belegt, und vom Tagesspiegel bis zum Deutschlandfunk wunberbar journalistisch aufgearbeitet. Dass du es nötig hast, meine Aussage in die Nähe von Hanau zu rücken, zeigt deine Unterlegenheit, mehr nicht.

    • @Heinrich Ebbers:

      Hi :) ich habe mich grad extra bei Taz.de angemeldet, um danke zu sagen für den Kommentar! Ich könnte das noch ewig weiter ausführen, aber im Grunde hast du alles gesagt was mit schon sehr lange U immer wieder auf der Seele liegt - und mir sogar den Fachbegriff gelehrt, den ich bis dahin nicht kannte :) ! Dieses schreckliche "wir sind Deutschland" und Entindividualisieren in der Gesellschaft und leider auch Medien ist ein riesen Problem mmn vor allem, weil es diesen Nationalitätsgedanken als Grundfeste unseres Denkens suggeriert und damit den Nährboden für so viel Schlechtes bildet. Ich bin viel, gutes und schlechtes, aber ganz sicher nicht Deutschland! Eben: was zum Teufel soll das auch sein? Hoffentlich für jeden etwas anderes! Aber ganz sicher nicht dieses hochstilisierte "Deutschland", das uns - wie uns immer einegeredet wird - allen innewohnt bzw mit dem wir uns alle zu identifizieren haben.

      • @Timo Elikmann:

        Wir alle, wir Menschen, die wir hier leben "sind Deutschland" - das heißt ja nicht, dass wir keine Individuen sein dürfen (auch wenn gewisse Kreise das das wohl gerne hätten) sondern dass wir eine Gemeinschaft sind und sein müssen. Ohne ein Gefühl der Zusammengehörigkeit funktioniert keine Gruppe und schon gar nicht der Sozialstaat, der ja auch darauf angewiesen ist. Nur weil ich mich meinem Land und der Gesellschaft hier verbunden fühle, fühle ich mich nicht anderen Menschen, Gesellschaften oder Ländern überlegen.

      • @Timo Elikmann:

        Klar, völlige Entindividualisierung im Neoliberalismus.

  • Als der Nazi in Halle Menschen erschoss, als "Ersatz" für die Juden, die er töten wollte, gab es im der sogenannten Zivilgesellschaft große und ehrliche Betroffenheit. Zu Recht. Gut so. Viele umringten am Freitag die Synagogen ihrer Stadt aus Solidarität. Zweifelslos eine hilflose Geste, aber eine Geste zumindest in einem humanen Geiste.



    Hat jemand Solidaritätskundgebungen um Shisha-Bars gesehen? Okay, das sind keine Moscheen. Ist das aber wirklich der Unterschied?

    • @Ignaz Wrobel:

      Nicht um Shishabars, aber an ganz verschiedenen Orten gab es Mahnwachen und Kundgebungen.



      Es ging dem Täter ja nicht darum, Shishabars als solche anzugreifen. Er hat sie ins Visier genommen, weil er dort Menschen vermutet hat, die er aus rassistischen Motiven heraus angreifen wollte.



      Ich war in den letzten Tagen an zwei Orten in verschiedenen Städten, wo den Ermordeten gedacht wurde und es war ein Trost zu sehen, wie viele Menschen sich dort versammelt haben.

    • @Ignaz Wrobel:

      Der psychotische Täter hat auch auf Menschen vor einem Kiosk geschossen. Man kann Parallelen nicht überstrapazieren. Zu viel Aufmerksamkeit ist sowohl für psychisch Gestörte als auch für Rassisten so etwas wie eine "Belohnung" - Anerkennung. Also etwas mehr Vorsicht in der Wortwahl!

    • @Ignaz Wrobel:

      Falls es Dich beruhigt: Die Eröffnung der Berlinale stand unter dem Eindruck der Ereignisse von Hanau.