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Rechtsextreme Gesänge an der NordseeEin Angriff auf die Freiheit anderer

Kommentar von Maiyra Chaudhry

Die Verfahren nach dem Party-Video von Sylt zum Teil einzustellen, gibt ein fatales Signal. Rassismus wird eben nicht selbstverständlich bestraft.

Antifaschistischer Protest vor dem Pony Club in Kampen auf Sylt im sommer 2024 Foto: Bodo Marks/dpa

V or knapp einem Jahr grölten junge Menschen ausgelassen auf Sylt rassistische Parolen auf einer Party, was per Video dokumentiert ist. Die Tatsache, dass die Ermittlungen gegen drei von vier Beteiligten jetzt eingestellt werden, ist zutiefst schockierend. Es sind Entscheidungen wie diese, die das gesellschaftliche Gift des Rassismus langsam, aber spürbar normalisieren.

Wer auf offener Straße „Ausländer raus“ brüllt, begeht keine betrunkene Dummheit, sondern verbreitet eine Drohung – gegen Menschen, die hier leben, arbeiten und dazugehören.

Maiyra Chaudhry

ist Medien- und Kommuni­kations­wissenschaft­lerin. Als freie Journalistin beschäftigt sie sich mit den Themenschwerpunkten Medienkritik, Diskriminierung und Religion.

Für viele von uns mit Einwanderungsgeschichte ist das kein Einzelfall. Es ist Alltag, angegafft, beleidigt und ausgegrenzt zu werden. Und nun erleben wir, dass selbst solche Hetze straflos bleiben soll. Wer solche Sprüche hört, fragt sich: Bin ich hier noch sicher? Gehören Menschen wie ich überhaupt dazu? Es sind nicht nur Worte – es ist ein Klima der Einschüchterung, das entsteht. Ein Klima, das Türen verschließt, Chancen nimmt und Vertrauen zerstört. Wer davon nicht betroffen ist, spürt es kaum.

Für uns aber wird es zum ständigen Begleiter. Es ist ein Irrglaube, solche Ausfälle unter Meinungsfreiheit zu verbuchen. Rassistische Hetze ist kein Ausdruck von Freiheit – sie ist ein Angriff auf die Freiheit anderer. Und ein Angriff auf die Werte, für die dieses Land steht.

Wenn Verfahren eingestellt werden, wird nicht Deeskalation erreicht, sondern Ermutigung: für jene, die längst bereitstehen, ihre Feindseligkeit noch hemmungsloser auszuleben.

Wer heute schweigt, wenn auf Sylt gegrölt wird, wird sich morgen fragen müssen, warum offene Anfeindungen in der Öffentlichkeit wieder zunehmen. Demokratie und Menschenrechte sind nichts Selbstverständliches – sie müssen jeden Tag neu verteidigt werden. Die Einstellung der Ermittlungen mag juristisch nachvollziehbar sein. Politisch und gesellschaftlich ist sie hingegen eine Katastrophe. Denn sie sendet die falsche Botschaft zur falschen Zeit: Dass Rassismus auf deutschen Straßen eben doch geduldet wird.

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