piwik no script img

Rechtsanwältin über Gewalt gegen Frauen„Die Täter werden ermutigt“

Als Rechtsanwältin vertritt Christina Clemm Frauen, die Gewalt erlebt haben. Sie weiß, was dagegen helfen würde.

Christina Clemm, Rechtsanwältin, Autorin in Berlin-Kreuzberg Foto: Gregor Hohenberg/laif
Anne Fromm
Carolina Schwarz
Interview von Anne Fromm und Carolina Schwarz

taz: Frau Clemm, wir haben eine Woche lang Fälle von Gewalt gegen Frauen dokumentiert, die in Erfurt und Ludwigshafen bekannt geworden sind. Es sind 113, in nur 23 wurde direkt Anzeige erstattet. Warum zeigen so wenig Frauen Männer an?

Christina Clemm: Dafür gibt es viele Gründe. Nehmen wir Partnerschaftsgewalt: Viele Frauen wollen gar keine Bestrafung. Sie haben Angst, dass der Täter dann erst recht gewalttätig wird. Denn die Gewalt nach der Trennung ist oft noch drastischer als die während einer Beziehung. Die Frauen wollen vor allem, dass die Gewalt aufhört, also versuchen sie, das Problem anders zu lösen – viele versuchen abzutauchen, keinen Kontakt mehr zu haben. Andere Betroffene wollen trotz der Gewalt an der Beziehung festhalten. Sie hoffen, dass ihr Mann sich ändert, was die meisten ja versprechen. Besonders schwierig ist es, wenn es gemeinsame Kinder gibt oder die Frau finanziell abhängig von dem Mann ist. Wieder andere Betroffene misstrauen den Behörden, sie fürchten, dass die Polizei Ihnen sowieso nicht glaubt.

Im Interview: Christina Clemm

Jahrgang 1967, beschäftigt sich als Rechtsanwältin und als Autorin mit der Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

taz: Was muss passieren, damit Gewaltbetroffene mehr Vertrauen bekommen?

Clemm: Wir brauchen spezialisierte Vernehmungsbeamt*innen, die dafür geschult sind, sensibel und präzise zu befragen. Außerdem müssen die Verfahren viel, viel schneller gehen. Oft dauert es Monate, wenn nicht Jahre, bis eine Staatsanwaltschaft über eine Strafanzeige wegen Partnerschaftsgewalt entscheidet. Das schreckt ab. Und es ermutigt die Täter. Bei häuslicher Gewalt passiert oft eine Tat nach der anderen. Dann gibt es mal eine Strafanzeige, dann wieder einen Faustschlag, dann folgt eine Bedrohung, dann Stalking und das hat lange keine Konsequenzen. Die Täter machen weiter, bis sie irgendwann empört im Gericht sitzen und sagen, hätte ihnen früher jemand gesagt, dass das nicht ok sei, hätten sie aufgehört.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

taz: Braucht es auch höhere Strafen?

Clemm: Nein, davon halte ich nichts. Wir haben für viele Straftaten bereits hohe Strafrahmen, die selten ausgeschöpft werden. Es ist wichtig, Täter von weiteren Taten abzuhalten. Wir wissen aber, dass hohe Strafandrohungen das nicht leisten.

taz: Wenn es um Abschreckung geht, wird immer wieder „Täterarbeit“ gefordert. Was ist das genau?

Clemm: Sehr gut ist in diesem Bereich die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit. Dort durchlaufen Täter ein gut entwickeltes und erprobtes Programm mit geschultem Personal. Die Täter müssen sich mit ihren Taten und Folgen auseinandersetzen, meist in Gruppen, weil das besser als im Einzelgespräch mit einem Therapeuten funktioniert. Es gibt den Effekt, dass Männer ihr Handeln eher reflektieren, wenn sie hören, was die anderen Männer erzählen. Manchmal werden in extra moderierten Gesprächen auch die Betroffenen miteinbezogen. Diese Form der Täterarbeit erzielt tatsächlich gute Erfolge.

taz: Funktioniert sie eher, wenn die Männer sie freiwillig machen?

Clemm: Nach den Erfahrungen der Täterarbeit funktioniert diese über Druck,. Nur dann setzen sie sich wirklich mit ihren Taten auseinander. Bitter ist, dass vielen Stellen, die mit gewaltbereiten Männern zu tun haben, bewusst ist, dass Täterarbeit gut funktioniert – nur fehlt das Geld. Das erlebe ich auch in den Berliner Gerichten immer wieder, wenn ich Täterarbeit fordere. Dann sagen die Richter*innen: Ja, das wäre gut, aber da finden wir keinen Platz.

taz : Die Zahlen von Partnerschaftsgewalt sind zuletzt gestiegen. Wie erklären Sie sich das: Gibt es mehr Fälle oder wird heute schneller angezeigt?

Clemm: Das ist schwer zu sagen, die letzte umfassende Dunkelfeldstudie zu dem Thema ist 20 Jahre alt. Aber ich habe in meinen Beratungen zunehmend mit betroffenen Frauen zu tun, die keine Anzeige erstatten. Ich gehe also davon aus, dass es tatsächlich mehr Fälle werden. Eine Begründung wird als feministisches Paradox beschrieben: Je mehr feministische Errungenschaften es gibt, desto mehr steigt die patriarchale Gewalt. Ich glaube dazu kommt,die krisenhafte Situation, in der wir leben – Klimakrise, Kriege, zunehmende Armut – Männer motiviert das, diejenigen zu misshandeln und erniedrigen, die in der Hierarchie unter ihnen stehen. Also ihre Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen. Und sie sehen ja, dass dieses Verhalten zunehmend akzeptiert wird. In den USA ist gerade ein Mann wieder zum Präsidenten gewählt worden, dem 34 Frauen sexuelle Übergriffe vorwerfen. Der globale Rechtsextremismus feiert ein tradiertes, wehrhaftes Männerbild. Religiöser Fanatismus, egal ob evangelikaler oder islamistischer, zelebriert die Unterdrückung der Frau. Es wundert mich also nicht, dass patriarchale Gewalt zunimmt.

taz : Gleichzeitig gibt es seit 7 Jahren die #metoo-Debatte. Femizide werden also solche benannt und medial berichtet. Reicht das nicht als Gegengewicht?

Clemm: All das ist ein guter Anfang, aber es reicht nicht. 360 Frauen wurden im vergangenen Jahr Opfer von Femiziden in Deutschland, das ist eine Zahl, die ihresgleichen sucht. Dafür passiert politisch noch viel zu wenig.

taz : Die Ampel-Regierung hatte im Koalitionsvertrag das „Jahrzehnt der Gleichberechtigung“ ausgerufen. Sie wollte eine stabilere Finanzierung von Frauenhäusern, Frauen und Kinder außerdem besser vor häuslicher Gewalt schützen. Jetzt ist die Regierung kaputt. Was bleibt von ihren Gewaltschutzvorhaben?

Clemm: Nicht viel. Wir haben immer wieder gesehen, dass die FDP gute Ansätze blockiert oder verschleppt hat und die Grünen und SPD sie nicht wirklich mit Nachdruck verfolgt haben. Das so dringend benötigte Gewalthilfegesetz steckt seit Monaten fest. Dahinter steht die Idee, dass Kommunen verpflichtet werden, Geld in Frauenhäuser, Beratungsstellen und Täterarbeit zu stecken. Im Moment entscheiden Kommunen selbst, ob sie Geld für diese Einrichtungen ausgeben. Das zu ändern ist dringend notwendig, auch, um die Demokratie zu stärken. Wenn Landkreise demnächst rechtsextreme Mehrheiten oder Regierungen haben, dann ist absehbar, dass sie in Zukunft keine Beratungsstellen mehr finanzieren. Oder sie finanzieren nur noch Beratungsstellen für Familien, dafür aber keine mehr für queere Menschen, für Opfer von sexualisierter Gewalt oder für Frauen, die eine Abtreibung wollen.

taz: Wie optimistisch sind Sie, dass das Gesetz noch kommt?

Clemm: Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Aber selbst, wenn danach die CDU den Kanzler stellt: Die Bekämpfung geschlechtsbezogener Gewalt ist nicht unbedingt parteigebunden. Es gab immer wieder parteiübergreifende Anträge in Sachen Geschlechtergerechtigkeit. Da stimmen dann eher die Frauen mit den Frauen. Sorge macht mir, dass geschlechtsbezogene Gewalt zunehmend rassistisch konnotiert wird: Gewalt gegen Frauen als ein Problem von migrantischen Gruppen. Dabei ist es ja genau andersherum. Jeder Politikbereich hat direkte Auswirkungen auf den Schutz von allen Frauen, Mädchen und queeren Menschen. Wenn es nicht genug Wohnungen gibt, dann bleiben Frauen eher bei ihrem gewalttätigen Partner. Wenn der Öffentliche Nahverkehr eingeschränkt wird, haben Frauen auf dem Land kaum Möglichkeiten, Beratungsstellen aufzusuchen. Wenn Jugendarbeit nicht mehr finanziert wird, sondern nur noch von Rechten angeboten wird, dann verfallen Jugendliche nachweislich in konservative Geschlechterbilder. Wenn also der Sozialstaat abgebaut wird, dann fördert das geschlechtsbezogene Gewalt. Das muss eine Regierung erkennen, und darauf hoffe ich trotz allem.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

23 Kommentare

 / 
  • Ein sehr informatives Interview - dafür vielen Dank.



    Es zeigt leider auch auf, was Politiker unter Verantwortung übernehmen verstehen, respektive nicht verstehen !



    Schwerpunkt der Gewaltausübung liegt ja wohl bei den Männern - wie reagieren eigentlich soziales Umfeld, insbesondere Eltern, Freunde, Kollegen, Vereinsmitglieder, auf die Gewalttäter ?



    Es ist also ein großes Verhaltensdefizit einiger Männer. Verhalten wird in der Sozialisierung geprägt. Hier müssen mehr Gewicht auf , wie schaffe ich Konfliktlösungen ohne Gewalt gelegt werden und wenn nötig Deeskalationstraining angeboten werden.



    Hier müssen wir als Gesellschaft tätig werden und nicht wegschauen.



    Es ist zu hoffen, unsere Politiker verabschieden die dazu vorliegenden Gesetze zeitnah.

  • Mein Ansatz wäre ja die Mindeststrafe hochzusetzen und Bewährung für Gewaltdelikte abzuschaffen.



    Ein weiteres Problem Eigentumsdelikte qerden in Deutschland häufig härter bestraft als Gewaltdelikte.

    • @pablo:

      Absolute Zustimmung. Man könnte gleich noch Arbeitsplätze mit Mindestlohn organisieren, welche Gewalttäter zu besuchen haben bis sie den Schadensersatz hereingewirtschaftet haben.

  • Danke für dieses Interview in dem so klar und im konkreten Detail angesprochen wird, dass es um gesellschaftliche Strukturen geht.

  • Unser Justizsystem beruht auf Strafe zur Abschreckung. Das funktioniert, solange die Strafe für einen potentiellen Täter abschreckend hoch erscheint und(!) wenn das Strafmaß auch ausgeschöpft wird. Leider hakt es genau daran, dass immer wieder viel zu milde Strafen verhangen werden und somit das Abschreckungsprinzip ausgehöhlt wird.



    Täterarbeit ist wichtig aber da ist es dann schon geschehen. Zum Thema Prävention fällt den meisten Leuten kaum etwas ein. Dabei könnte man schon in der Schule solche Dinge angehen und Heranwachsende und Teenager entsprechend sensibilisieren.

  • Die Täter machen weiter, bis sie irgendwann empört im Gericht sitzen und sagen, hätte ihnen früher jemand gesagt, dass das nicht ok sei, hätten sie aufgehört.



    Haben die vorher selbst nicht bemerkt? Aha.

    • @aujau:

      Die Stadt Oldenburg, hat seit diesem Jahr erstmalig in ihrem Gleichstellungsbüro, eine Stelle für Männerarbeit eingerichtet.



      Eine Anlaufstelle wohin Männer sich in vielen Fragen, explizit zu Männerfragen wenden können. Dies ist sicher auch ein Schritt in die richtige Richtung, wenn Männer merken, es gibt Konflikte in der Partnerschaft zu bewältigen und sie haben endlich eine Anlaufstelle um sich im Vorfeld, bevor es zu einer möglichen Eskalation kommt, Hilfe zu holen.



      Hier ist aber auch unsere Politik und unsere Gesellschaft gefordert, mehr von diesen Einrichtungen, in den Städten und Kommunen zu schaffen und zu ermöglichen.

  • Hilfreich wäre das Strafmaß auch auszuschöpfen. Wenn Vergewaltiger mit Bewährung davonkommen ist das einfach ein Hohn. Und wenn dann Personen die Richter beleidigen mit höherer Strafe belegt werden als der Vergewaltiger dem Opfer zahlen muss läuft halt auch gewaltig was schief.

    Ja, ich glaube auch Resozialisierung ist der beste Weg. Aber die ständige Verhängung von Bewährungsstrafen bei Mehrfachtätern kann keiner mit "normalem rechtsempfinden" verstehen.

    Die Finanzierung von Frauenhäusern muss sichergestellt sein.

  • "Wenn also der Sozialstaat abgebaut wird, dann fördert das geschlechtsbezogene Gewalt. Das muss eine Regierung erkennen, und darauf hoffe ich trotz allem."

    Ich glaube nicht, dass diese Hoffnung das Letzte ist, was stirbt. :-(



    Was wird eine CDSU-Regierung schon anders machen als die FDP Diktatur, aus der wir jetzt entkommen sind? Den Sozialstaat abbauen. Viele der befragten künftigen WählerInnen trauen der CDU bzw. Merz eine größere Wirtschaftskompetenz zu als real ist.

    Sie werden dieselben Fehler machen, die auch bisher gemacht wurden und den Staat kaputt sparen. Weniger als die FDP womöglich, da ja auch jetzt die Schuldenbremse bereits gedanklich aufgeweicht wird. Sie war für Merz gut genug, gegen die Regierung zu hetzen. Und jetzt, wo er selber regieren wird, kann er sie natürlich nicht gebrauchen und hofft darauf, dass das Gedächtnis der WählerInnen kurz genug ist (womit er recht hat leider). Aber Deutschland hochmilitarisieren wird auch er und er wird es den Armen aus dem Geldbeutel sparen. Soziales und Kultur sind für so jemanden nur lästige Kostenpunkte.



    Im Land der Dichter und Denker.

    • @Jalella:

      👍👍

  • Es muss VIEL früher beginnen mit der Prävention: Sorgt dafür dass es mehr männliche Lehrer, Erzieher, Kindergärtner gibt!



    Ich kenne auch Täterarbeit und finde diese wichtig (und erinnere mich daran wer das Thema so lange verschleppt hat!), aber besser ist es wenn schon früh gute Rollenvorbilder vorhanden sind!



    Parallel dazu müssen Familien gestärkt werden ("Starke Eltern, starke Kinder") und der im Artikel angesprochene Druck muss endlich weg: Arbeitsdruck, Finanzen, Weltbilder... Alles steht auf "Rot". Begleitend kann ein Verbot von individualisierter Werbung auch hier mithelfen, Wut und Gewalt einzudämmen! Stichwort: Aufmerksamkeitsblasen durch Verbreitung negativer Inhalte...

    • @realnessuno:

      Täterarbeit sollte aber nicht als Grund vor Gericht genutzt werden können, um eine geringere Strafe zu erhalten. Bisher gehen Gewalttäter einmal die Woche für zwei Stunden zu einem Kurs und werden zu Lasten des Opfers von der Strafe verschont.

  • Was ich noch vergessen habe: Täter werden ermutigt, das ist aber nicht geschlechtsspezifisch, sondern spezifisch für eine Gesellschaft. Die Fälle Horst Arnold und Ralf Witte sind öffentlich bis in Einzelheiten bekannt. Man muss darüber nicht schweigen wessen Aussagen zu den Verurteilungen geführt haben. Das ist für niemanden gut und schön ausgegangen.

  • Im Interview fehlt die Haustyrannenproblematik. Das ist ein Klassiker zum Thema, den man beachten sollte, z.B. de.wikipedia.org/wiki/Haustyrannenmord . Sonst stimmt, dass die koedukative kommunale Sozial- und Jugendarbeit der wichtigste präventive Ansatz ist, der aber immer weiter ausgedünnt wird/wurde. Das ist fatal.

  • Wenn ich lese, dass jemand nur eine Bewährungstrafe für eine Vergewaltigung bekommt,dann wird mir schlecht.



    Und wenn ich die Begriffe Vergewaltigung und Bewährungsstrafe google und die Anzahl der Treffer sehe, könnte ich k..zen.

    • @Stoffel:

      Verständlich, dahinter steht ja vermutlich die Annahme, dass diese Fälle repräsentativ sind. Doch ob das so ist wissen wir nicht, dafür fehlt die Datengrundlage und ich vermute ehrlicherweise: Nein.

      Denn wenn man sich einmal mit der guten Hand voll Studien befasst, die Vergewaltigungsfälle von Anfang bis Ende verfolgen und statistisch aufarbeiten zeichnet sich zwar kein besonders großartiges Bild, doch dieses Bild ist noch immer um Welten besser als jenes das einem in der Öffentlichkeit, als Resultat feministischer Dominanz in diesem Bereich der Berichterstattung verkauft wird.

      Wenn man das mal realisiert hat drängt sich die Frage auf: Wie viele Frauen zeigen nicht an, weil ihnen vorher irgend eine Aktivistin eingeredet hat man würde sie auf der Polizeiwache oder im Gerichtssaal sowieso nicht für voll nehmen.

      • @Julius Anderson:

        Oder sind vielleicht 6 Monate Mindeststrafe der pure Hohn?

  • Also bei meiner Nachbarin hat es geholfen den Notruf zu wählen. Beim ersten mal hat sie bei mit geklingelt und wir haben zusammen angerufen und beim zweiten mal hab ich von mir aus die Polizei angerufen. Ihr Mann hat mir dann noch erzählt die Polizei hätte ihn zusammenschlagen, weil ich sie gerufen habe. Mittlerweile ist der in einem Heim.



    Wenn aber immer nur negative Fälle berichtet werden, ist es klar das den Behörden misstraut wird.

  • Einer der wichtigsten Parameter, der regelmäßig erfasst und berichtet werden sollten, ist die Dauer von Gerichtsverfahren. Das ist viel wichtiger als z.B. die Anzahl der Asylanträge, die jedes Jahr ausführlich berichtet werden. Wäre schön wenn Zeitungen regelmäßig über solche Zahlen berichten würden, die wirklich den Zustand unserer Gesellschaft wiedergeben. Nicht nur über die Anzahl von Verbrechen berichten sondern auch über die Dauer der folgenden Prozesse.

  • "Wir haben für viele Straftaten bereits hohe Strafrahmen, die selten ausgeschöpft werden. Es ist wichtig, Täter von weiteren Taten abzuhalten. Wir wissen aber, dass hohe Strafandrohungen das nicht leisten."

    Wie soll eine hohe Strafandrohung abschreckend wirken, wenn der Strafrahmen nur selten ausgeschöpft wird? Vielleicht brauchen wir ja keine neuen Gesetze, sondern Richter, die die Strafen dann auch verhängen? Oder gilt vielen in der Justiz Gewalt gegen Frauen immer noch als Kavaliersdelikt?

  • Oftmals sind Erfahrungen die Frauen machen mit Veröffentlichung, gar Anzeige der sexualisierten Gewalt oder sonstiger Übergriffigkeiten derart schlecht (fallen massiv auf sie zurück), dass sich Frauen bewusst dagegen entscheiden. Aus eigener mehrfacher Erfahrung kann ich berichten, dass die bereits erlebte gefühlte Ohnmacht ( Kontrollverlust) bei der Tat auf keine Fall reproduziert werden möchte. Ich hatte bereits Erfahrungen damit, wie ich bei Anzeige / Publikation geschämt wurde, oder das täterschützende System vollumfänglich griff und stattdessen mir der weitere Weg zur Hölle gemacht wurde. Also entscheide ich bewusst (bzw. vermutlich Frauen allgemein), zumindest die Kontrolle über die Zukunft zu haben, indem ich schweige und den Horror kein zweites Mal durchleben muss.



    -



    Dieses feministische Paradox der zunehmenden Gewalt gegen Frauen in jüngster Zeit wird auch sehr gut beschrieben in „Backlash - Die neue Gewalt gegen Frauen“ von Susanne Kaiser

    • @Ceridwen:

      Ich hab die gleiche Erfahrung gemacht: Immer wenn ich irgendetwas versucht habe um mich zu wehren, ist mir nicht zugehört worden und/oder die andere Seite hat eskaliert.

      Irgendwann habe ich dann beschlossen (um mich zu schützen) mich zurück zu ziehen und zu schweigen: Damit es gegen mich nicht noch schlimmer wird.

      Dieses Muster betrifft nicht nur Frauen. Es betrifft Gewaltopfer allgemein.

      In meinem Fall war der Täter eine Täterin die in ihrem Leben zuvor selbst schwer verletzt worden war plus ein sie "unterstützendes"* Umfeld aus Männern und Frauen.



      (*Echte Unterstützung wäre gewesen: Genau hin zu hören und sie in ihrer Verletzung zu sehen und ihr zu helfen.)

      • @Hanno Homie:

        Ich bedaure sehr, wie es Ihnen ergangen ist und kann es gut nachempfinden. Unabhängig vom Geschlecht, ist natürlich das sich wehrende Opfer erstmal ein Fremdkörper in der Gruppe. Unbequem, da es jeden zwingt, sich mit der eigenen Rolle des Zuschauens, Wegschauens, Zulassens oder Nicht-Verteidigens-oder-Beistehens auseinander zusetzen. Das sind typische psychologische, teilweise sehr komplexe Dynamiken, die sich da abspielen aber zwangsläufig wird das Opfer ein zweites Mal „geschändet“. Ich kann Ihren Schmerz sehr gut verstehen und hoffe, dass Sie Ihre Mitte wiederfinden und Heilung zu erfahren. Wenn ich mir erlauben darf, kurz meine Situation zu beleuchten: nach zu viel Erlebtem (Belästigung, Gewalt, zeit meines Lebens) …bin ich jetzt mit rezidivierender Depression, Agoraphobie und posttraumatischer Belastungsstörung in der Mitte meines Lebens angekommen und an mein Zuhause gebunden. Auch ich hatte Partner*Innen, denen es manchmal schlechter als mir ergangen ist, aber das rechtfertigt kein verletzendes Verhalten. Ich wünsche Ihnen alles Gute.