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Rechtliche Anerkennung von trans ElternWillkommen zurück in den 80ern

Nicole Opitz
Kommentar von Nicole Opitz

Die Geburtsurkunde hält Mama fest, auch wenn die gebärende Person ein Papa ist. In der Konsequenz werden Betroffene häufig zwangsweise geoutet.

Queere Menschen sollten selbst entscheiden, ob, wann und wie sie sich outen Foto: Stefanie Päffgen/plainpicture

D as Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist ernüchternd: Es hält fest, dass ein trans Vater in der Geburtsurkunde seines Kindes als Mutter aufgeführt und eine trans Mutter als Vater eingetragen wird. Zehn Jahre lang hatte ein trans Vater, der wegen Hetze im Netz wie im echten Leben anonym bleiben möchte, auf das Urteil gewartet und ist nun verständlicherweise sehr enttäuscht.

Dass Minderheiten noch immer selbst für ihre Rechte kämpfen müssen, ist eine Ungerechtigkeit. Bitter, wenn die Anstrengungen dann auch noch im Sand verlaufen. Das Urteil ist für den Vater entwürdigend. Zudem verschafft ihm die Rechtslage auch ganz praktisch zahllose Hindernisse in seinem Alltag. So kommt, wenn der alleinerziehende Vater einen Kitagutschein beantragt, umgehend die Frage nach der Mutter des Kindes auf. Ebenso ist er in der Geburtsurkunde als Mutter notiert und muss sich damit unfreiwillig outen.

Das ist noch die harmlosere Form des Zwangsoutings. Wechselt er den Arbeitgeber und muss für die Lohnabrechnung die Geburtsurkunde seines Kindes vorlegen, ist er im Job geoutet, bevor die Arbeit richtig beginnt. Queere Menschen sollten selbst entscheiden, ob, wann und wie sie sich outen. In Zeiten, in denen die Rechte von queeren Menschen weltweit immer weiter eingeschränkt werden, ist das Urteil ein fatales Signal.

Umsonst war die Anstrengung allerdings nicht: Der EGMR überlässt es der deutschen Rechtsprechung, inwiefern nachjustiert wird. Dabei hat die Bundesregierung hinsichtlich des Abstammungsrechts längst Flagge bekannt: Sie will das Abstammungsrecht reformieren. Frühestens Ende des Jahres soll dazu ein Gesetzentwurf vorliegen. Um bis dahin Zwangsoutings mittels Geburtsurkunde zu verhindern, soll es eine Zwischenlösung im Selbstbestimmungsgesetz geben.

Die Bundesregierung sollte sich beeilen. Denn der trans Vater und viele andere trans, inter und nichtbinäre Eltern warten schon lange genug. Als er das erste Mal klagte, war sein Kind noch ein Baby. Inzwischen ist es zehn Jahre alt.

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Nicole Opitz
Redakteurin
Seit 2019 bei der taz. Interessiert sich vor allem für Feminismus, Gesundheit & soziale Ungleichheit. BVHK-Journalismuspreis 2023.
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27 Kommentare

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  • Vielen Dank für eure Beiträge. Wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Moin,



    ich bin ein Kind der Mutter Natur.



    Ist es nun wichtig ob die Natur männlich oder weiblich ist?

    Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Oma oder Opa? So lange diese Begriffe, in dieser Gesellschaft, einem Geschlecht zugewiesen bekommen, gibt es auch keine Selbstbestimmung.

    Gruß



    Roberto

    Ich habe vier Brüder und bezeichnen sie als meine Geschwister und nicht Gebrüder. Noch nie hat sich die Frage gestellt ob ich Schwestern habe.



    Wie verworren doch Sprache sein kann.

  • Eigentlich liegt die Geburtsurkunde vollständig im Persönlichkeitsrecht des oder der Geborenen. Sie gibt den Stand zum Zeitpunkt der Geburt wieder.



    Der m.E. einzige sinnvolle Weg wäre aus meiner Sicht, den Begriff des Geschlechts weitestgehend aus dem Recht zu entfernen. Vorher sollte man sich aber genau die Konsequenzen ansehen und überdenken.

  • Es gibt wenige Vorgänge, bei denen das "Mutter sein" eindeutiger ist als bei dem Austragen und Gebären eines Kindes.



    Soll der Begriff Gebärende*r verwendet werden?



    Das wirft doch nicht weniger Fragen auf!



    Und irgendwo hat auch das Kind mal einen Anspruch auf Klarheit, denn Zeuger und Austragende sind nun mal 2 verschiedene Bezugsfunktionen.

    • @mensch meier:

      "Zeuger und Austragende sind nun mal 2 verschiedene Bezugsfunktionen."

      Naja, vielleicht bis man abgestillt wurde. Aber danach?

  • Gibt es belastbare Zahlen dazu, wie viele Menschen davon betroffen sind?

  • Die Lösung wäre ganz einfach: In die Geburtsurkunde kommt nur noch "Eltern". Das würde auch nonbinäre Menschen berücksichtigen.

    Oder wir schaffen Geschlechterstereotypen endlich ganz ab. Wäre noch einfacher.

    • @argie:

      Über diesen Weg kann man auch die bisherige Bevorzugung von Müttern z.B. beim Sorgerecht, und sonstige Benachteiligungen von Männern mit abschaffen.

  • Eine Geburtsurkunde dokumentiert ein biologisches Ereignis, weshalb ich es naheliegend finde, dass die Begriffe Mutter und Vater hier ebenfalls in ihrer biologischen Bedeutung verwendet werden. Als biologischer Begriff bezeichnet das Wort "Mutter" nun mal die Person, die das Kind geboren hat, und in diesem Sinne kann eine Mutter auch kein Vater werden.

  • Selbstbestimmung ist eins. Aber es werden in dem beispiel andere mitbestimmt.



    Wenn der jetzige er vor 10 jahren als sie ein kind zur Welt gebracht, steht das seitdem in der Geburtsurkunde des kindes. Soll die jetzt auch geändert werden, also das bei „ mutter“ in der urkunde nichts mehr steht?



    Die im Kommentar angeführten Beispiele zur zwangsoutung gelten doch auch bei einer änderung. Er ist ja alleinerziehender vater und mutter. Das wird doch immer fragen aufwerfen, egal wie.

  • Mal wieder auch in den Kommentaren: Die Leute haben Selbstbestimmung null verstanden - bis zu dem Grad, dass Leuten von außen diktiert wird, welches Geschlecht sie angeblich hätten oder haben müssen.

    Auch biologische Kategorisierungen sind von Menschen gemacht. Biologie ist nicht im Vakuum entstanden. Faktisch sind Körper komplexer als die veralteten binäre Kategorien es beschreiben könnten. Schon aus rein biologischer Betrachtung heraus. Von den sozialen Komponenten ganz zu schweigen: Hört auf anderen Leuten ihr Dasein zu diktieren, nur weil eure Kategorien offensichtlich nicht funktionieren.

  • Dem Zwangsouting steht gegenüber unsere binäre Denke.



    So wie ich heute rumlaufe, mit Jeanshosen und auf einem Herrenrad fahre, hätte ich als Kind NIE UND NIMMER rumlaufen dürfen. Ein Mädchen ging auch bei beißendem Frost mit Rock und langen Strümpfen und Strumpfhaltern am Leibchen in die Schule und zwischen Rocksaum und Strumpfende und Unterhose pfiff der Weg. "Kind, hol Dir keine Bauchentzündung", ja wie denn, wenns gerade da besonderstems kalt ist.

    Also ein bisserl der binären Denke ist schon gefallen und ein Klassenkamerad meiner Tochter nahm in einem langen Rock sein Abiturzeugnis in Empfang und wurde genauso beklatscht wie alle anderen, die das Ende der Schullaufbahn geschafft hatten.

    Passen wir auf, dass es keinen Rückfall gibt.

  • Beim Arbeitgeberwechsel wird keine Geburtsurkunde vorgelegt. Das geht über die elektronische Lohnsteuerkarte ganz automatisch und ist vollkommen genderneutral.

    Im Übrigen ist das jetzt ergangene Urteil im Einklang mit dem Urteil des BVerfG. Die Geburtsurkunde ist halt im Wesentlichen ein Abstammungsnachweis für das Kind, die Rechte der Eltern sind da insoweit nachrangig.

  • ich habe das Problem nicht ganz verstanden.Wenn ein Mensch mit Gebärmutter ein Kind zur Welt bringt und dann Vater oder Mutter oder was auch immer ist muss er /sie immer eine Geburtsurkunde vorlegen, wenn er/sie Kindergeld oder Ähnliches haben möchte. Alleinerziehende Väter oder Mutter gab es schon immer. Auch unbekannte Väter - manchmal sogar unbekannte Mütter (Babyklappe). Wie soll es den sonst gehen? Auf Treu und Glauben versichern, dass Mann/Frau/Divers ein Kind hat?

  • Er ist Mutter; sie Vater. Wo ist das Problem? Ich dachte immer, es gehe um sexuelle Identität und nicht um die Biologie.

  • Das Problem kann man wohl kaum aus der Welt schaffen, da die biologische Abstammung nun mal für die Kinder und die Gesellschaft von Bedeutung sind. Wm

    • @Fünfpluseins:

      So ein Schwachsinn. Es ist komplett irrelevant. Sonst dürften gleichgeschlechtliche Eltern nicht existieren. Es hat doch die Gesellschaft nicht zu interessieren, welches Geschlechtsteil mein Vater, meine Mutter, meine Väter oder meine Mütter haben? Gehts noch? Wie wäre es damit, den Kopf nicht immer in den Intimbereich fremder Menschen zu stecken?

      • @Simsi:

        Wenn Sie "Mutter" als "gebärende Person" definieren, ist die Biologie das einzig Relevante.

        Ob sich diese Person als Mann, Frau oder nonbinäre betrachtet, wäre dagegen irrelevant.

        Es wäre am Simpelsten, wenn wir "Mutter" geschlechtslos denken würden.

        Denn so ganz irrelevant, welche Person jemanden geboren hat, ist das für diesen jemand nicht.

        Berücksichtigen Sie bitte, dass manche Menschen nur die Geburtsurkunde zur Information haben.

    • @Fünfpluseins:

      Ob die biologische Abstammung für das Kind (Adoptivkinder?!) wichtig ist, sei mal dahin gestellt. Aber für die Gesellschaft? Irrelevant! Hier geht es um Fürsorge, Erziehung, Verantwortung, etc. ganz gleich, wie das biologische Verwandschaftsverhältnis aussieht. Mal abgesehen von dem für Sie vielleicht unwesentlichen Fakt, dass trans Personen auch biologisch sind, Ihr Argument also herbe an den eigenen Vorurteilen und/oder Unkenntnissen hingt.

      • @Nora .:

        Bei einer Geburtsurkunde geht es nicht um Fürsorge und Erziehung.

        Es geht nur um biologische Fakten, aus denen Rechte erwachsen. Das gilt selbstverständlich auch für Ttranspersonen.

    • @Fünfpluseins:

      inwiefern änder sich die biologische Abstammung, wenn in einem Dokument aus "Herr" ein "Frau" wird?

      Das Problem ließe sich durchaus aus der Welt schaffen.

      Dann hat das Kind eben 2 Mütter oder 2 Väter laut Dokument, so ließe sich nicht, auf den ersten Blick, erkennen .wer von beiden das Geschlecht geändert hat.

  • Ich dachte immer, nur Personen mit Gebärmutter und anderen geschlechtsspezifischen Merkmalen können Kinder empfangen und gebären. Er (oder Sie) hat doch das Kind zur Welt gebracht. Also doch von den Geschlechtsmerkmalen gesehen eine Frau und Mutter. Ob er sich als Mann definiert und fühlt ist seine Sache.

    • @Klempner Karl:

      Gut formuliert. So sehe ich das auch.

    • @Klempner Karl:

      Da gemeinhin die Definition von Mutter "gebärende Person" ist, dürften sie recht haben.



      Selbst wenn man die Geschlechtsmerkmale weglässt.

    • @Klempner Karl:

      Ja, nur Personen mit Gebärmutter sind in der Lage zu gebären. Ihre Folgerung, dass diese Person "Frau" oder "Mutter" sein muss ist a) diskrimnierend und b) sachlich falsch, wie der im Artikel beschriebene Fall nahelegt. Dabei geht es nicht nur um Ihr Mißverständnis, dass trans identität etwas ist, was eine Person sich aussucht, sondern auch um die kulturell bestimmte Determination "Gebärmutter = Frau". Das ist nicht a priori so. Eine Person mit Gebärmutter ist eine Person mit Gebärmutter, alles andere hat sich jemand ausgedacht.

      • @Nora .:

        Und wenn eine Person mit Gebärmutter, die schwanger geworden ist und ein Kind zur Welt gebracht hat, als "Vater" bezeichnet wird, ist das nicht "ausgedacht"?

      • @Nora .:

        Ich komme mit ihrer Argumentation nicht zu recht und bleibe bei meinem Verständnis von "Mutter".