Rechte Musik auf Streaming-Plattformen: Nazi-Song ist Antifa-Experiment
Die Band „Hetzjaeger“ bedient, was die Rechtsrockszene begehrt – aber sie ist ein Fake. Als Experiment zeigt sie, wie sich rechte Musik verbreitet.
Streaming-Plattformen wie Spotify, Soundcloud, Youtube oder Deezer empfehlen ihren Hörer*innen neue Bands und Lieder – auch wenn diese aus der rechten Szene kommen. So verbreiten die Plattformen automatisch rechte Musik. Wie gut funktioniert das? Um das herauszufinden, hat der Verein Laut gegen Nazis eine scheinbar rechte Band gegründet: „Hetzjaeger“.
Das Logo zeigt ein rotes HJ-Symbol, der einzige Song der Band heißt „Kameraden“. Dessen erste Strophe klingt eindeutig nach Rechtsrock: „Wenn du begreifst, dass Stück für Stück dein Land sich und dich vor dem Feind ergibt“, lautet eine Zeile, untermalt von Schlagzeug und E-Gitarre. Als Hörprobe lief die Strophe mehr als einen Monat auf verschiedenen Plattformen. Ein 30-Sekunden-Video bei Youtube zeigte dazu einen nächtlichen Wald im Nebel, den dunkle Gestalten mit Fackeln und Hundemasken durchstreifen.
Teile der rechten Szene fielen auf diesen Fake herein und freuten sich schon auf mehr. Tatsächliche rechte Bands wie FLAK und der Versand Nordic Pride boten bereits Kooperationen an. Die Streaming-Plattformen selbst hingegen reagierten kaum und verbreiteten die Hörprobe. Trotz der Kürze des Songs kamen die „Hetzjaeger“ in einem Monat so auf mehr als 100.000 Views und Streams.
Der zweite Teil des Songs blieb zunächst geheim. Doch er entpuppt sich als antifaschistisch. Am vergangenen Sonntagabend um 18.18 Uhr – ein rechter Code, der sich an die Initialen Hitlers anlehnt – sollte dieses Geheimnis gelüftet werden. Doch schon am Vormittag veröffentlichte die rechte Medienplattform Frei-Sozial-National das gesamte Lied. Manche Nazis hatten hinter der Aktion zuvor schon Jan Böhmermann oder das Zentrum für politische Schönheit vermutet. Dem Projekt habe die frühere Veröffentlichung aber nicht geschadet, sagt Jörn Menge, Gründer von Laut gegen Nazis: Was der Verein über die Algorithmen wissen wollte, hat er erfahren.
Durch Melden blockiert
Die erste Strophe war bei Spotify, Soundcloud, Apple Music, Amazon Music und Deezer zu hören. „Wir haben verschiedene Strategien bei den Plattformen angewandt, um zu testen, wie sie reagieren“, erklärt Menge. Bei Spotify beispielsweise habe der Algorithmus die Hörprobe bereits nach wenigen Tagen „in den Mix der Woche und Playlists von Testaccounts gespült“. In der zweiten Woche schaltete die Initiative aktiv Werbung. Die fiel auch Linken auf. Das Internetportal Belltower News berichtete: „Jetzt können Rechtsrock-Bands offenbar sogar Werbung buchen.“
Erst danach blockierte Spotify den Song. Auch Soundcloud entfernte die Hörprobe. Dennoch konnten die „Hetzjaeger“ ihn sofort wieder hochladen. Sechsmal ging das so. Soundcloud gibt gegenüber der taz an, nicht alle Inhalte beim Hochladen zu prüfen. Die Musikplattform habe externe Anbieter engagiert, die im Einklang mit dem Urheberrecht problematische Inhalte erkennen. Zudem prüfe ein Team gemeldete Inhalte. Spotify reagierte auf eine taz-Anfrage nicht.
Jörn Menge von Laut gegen Nazis kritisiert, dass die Streamingdienste willkürlich statt systematisch löschen. Während Spotify den Song „Kameraden“ gesperrt habe, seien andere rechte Inhalte weiterhin verfügbar. Seit Jahren gilt Musik als ein wichtiges finanzielles Standbein der Naziszene.
Nicht nur Musik in der Kritik
Die Plattformen sollten ihre Algorithmen nutzen, um rechte Lieder zu sperren, bevor sie auf den Plattformen landen, findet Menge. Youtube blockiert laut einem Sprecher bereits maschinell. Beispielhaft nennt er das dritte Quartal 2021: Etwa 6,2 Millionen Videos wurden gelöscht, die gegen die Community-Richtlinien verstießen. Sechs von zehn seien maschinell entdeckt worden, bevor sie mehr als zehn Views bekamen. Trotzdem blockierte Youtube das Video der „Hetzjaeger“ erst nach vier Wochen und mehr als 75.000 Views.
Nicht nur rechte Musik sorgt zurzeit für Aufsehen: In der vergangenen Woche ließ der kanadische Musiker Neil Young sein Spotify-Konto löschen – aus Protest gegen einen Podcast mit Verschwörungsmythen zur Coronapandemie, den Spotify selbst für 100 Millionen US-Dollar gekauft hatte. Das Projekt „Hetzjaeger“, so Menge, habe hingegen einen vierstelligen Betrag gekostet. Die meiste Arbeit sei ehrenamtlich gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind