Putins Aussetzen der Getreidetransporte: Nicht auf dem Rücken der Ärmsten
Die Forderung, nicht mit Moskau zu verhandeln, ist mehr als verständlich. Doch den Preis für den ausbleibenden Getreideexport zahlt nicht nur Kiew.
K napp vier Monate nachdem das bislang einzige relevante Abkommen zwischen der Ukraine und Russland abgeschlossen wurde, ist offenbar wieder Schluss. Wladimir Putin hat das Abkommen über die Getreideexporte ausgesetzt. Kein ukrainisches Getreideschiff darf den Bosporus mehr passieren. Geplant war, dass bis zum Stichtag 19. November eine Verlängerung ausgehandelt wird.
Die Aussetzung des Abkommens ist nicht nur für die Ukraine ein schwerer Schlag. Ohne das Getreide aus den ukrainischen Schwarzmeerhäfen und aus Russland wird der Weltmarktpreis wieder stark steigen und gerade in den ärmsten Ländern werden sich Hungersnöte verschärfen. Vordergründig macht Russland für die Aussetzung des Abkommens Angriffe auf seine Schwarzmeerflotte, darunter auch auf ein Minenräumschiff, geltend.
Doch Putin ist grundsätzlich unzufrieden mit dem Deal. Denn vereinbart war nicht nur ein Korridor für ukrainische Schiffe durchs Schwarze Meer. Auch russische Getreide– und Düngemitteltransporte sollten wieder möglich werden, indem der Westen seine Sanktionsdrohungen gegen Versicherer russischer Schiffe zurücknimmt. Nach Angaben aus Moskau ist das jedoch nicht passiert.
Nach wie vor würden Schiffe mit russischen Düngemitteln in europäischen Häfen blockiert. Was davon stimmt, ist schwer zu überprüfen, aber wenn man will, dass das Getreide aus den überfüllten ukrainischen Silos auch über den Winter weiter exportiert wird, reicht es nicht aus, Putin vorzuwerfen, er nutzte erneut Getreide als Waffe, sondern man muss mit ihm reden.
Putin ein Angebot machen
In der ersten Runde im Frühsommer haben das Vertreter der UNO und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan übernommen. Beide, sowohl UN-Generalsekretär António Guterres wie auch Erdoğan, stehen erneut bereit. Doch das politische Umfeld für Gespräche hat sich im Vergleich zum Frühsommer verändert.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat per Dekret festgelegt, dass mit Putin nicht mehr verhandelt wird, und auch bei den Kräften im Westen, die mit allen Mitteln einen militärischen Sieg der Ukraine erzwingen wollen, gelten Gespräche mit Moskau inzwischen als Verrat. Doch das ist zynisch, denn die Leidtragenden für einen kompletten Abbruch der Gespräche wären die Ärmsten der Armen der Welt, Menschen, die mit dem Krieg in der Ukraine nichts zu tun haben.
Wer in den USA und Europa will, dass die Getreidelieferungen weitergehen, darf deshalb nicht nur „Erpressung“ rufen, sondern muss Putin ein Angebot machen, so schmerzlich das auch sein mag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken