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Putins Aussetzen der GetreidetransporteNicht auf dem Rücken der Ärmsten

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die Forderung, nicht mit Moskau zu verhandeln, ist mehr als verständlich. Doch den Preis für den ausbleibenden Getreideexport zahlt nicht nur Kiew.

Dürfen vorerst nicht ablegen: Schiffe, die Getreide aus der Ukraine transportieren Foto: Khalil Hamra/dpa

K napp vier Monate nachdem das bislang einzige relevante Abkommen zwischen der Ukraine und Russland abgeschlossen wurde, ist offenbar wieder Schluss. Wladimir Putin hat das Abkommen über die Getreideexporte ausgesetzt. Kein ukrainisches Getreideschiff darf den Bosporus mehr passieren. Geplant war, dass bis zum Stichtag 19. November eine Verlängerung ausgehandelt wird.

Die Aussetzung des Abkommens ist nicht nur für die Ukraine ein schwerer Schlag. Ohne das Getreide aus den ukrainischen Schwarzmeerhäfen und aus Russland wird der Weltmarktpreis wieder stark steigen und gerade in den ärmsten Ländern werden sich Hungersnöte verschärfen. Vordergründig macht Russland für die Aussetzung des Abkommens Angriffe auf seine Schwarzmeerflotte, darunter auch auf ein Minenräumschiff, geltend.

Doch Putin ist grundsätzlich unzufrieden mit dem Deal. Denn vereinbart war nicht nur ein Korridor für ukrainische Schiffe durchs Schwarze Meer. Auch russische Getreide– und Düngemitteltransporte sollten wieder möglich werden, indem der Westen seine Sanktionsdrohungen gegen Versicherer russischer Schiffe zurücknimmt. Nach Angaben aus Moskau ist das jedoch nicht passiert.

Nach wie vor würden Schiffe mit russischen Düngemitteln in europäischen Häfen blockiert. Was davon stimmt, ist schwer zu überprüfen, aber wenn man will, dass das Getreide aus den überfüllten ukrainischen Silos auch über den Winter weiter exportiert wird, reicht es nicht aus, Putin vorzuwerfen, er nutzte erneut Getreide als Waffe, sondern man muss mit ihm reden.

Putin ein Angebot machen

In der ersten Runde im Frühsommer haben das Vertreter der UNO und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan übernommen. Beide, sowohl UN-Generalsekretär António Guterres wie auch Erdoğan, stehen erneut bereit. Doch das politische Umfeld für Gespräche hat sich im Vergleich zum Frühsommer verändert.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat per Dekret festgelegt, dass mit Putin nicht mehr verhandelt wird, und auch bei den Kräften im Westen, die mit allen Mitteln einen militärischen Sieg der Ukraine erzwingen wollen, gelten Gespräche mit Moskau inzwischen als Verrat. Doch das ist zynisch, denn die Leidtragenden für einen kompletten Abbruch der Gespräche wären die Ärmsten der Armen der Welt, Menschen, die mit dem Krieg in der Ukraine nichts zu tun haben.

Wer in den USA und Europa will, dass die Getreidelieferungen weitergehen, darf deshalb nicht nur „Erpressung“ rufen, sondern muss Putin ein Angebot machen, so schmerzlich das auch sein mag.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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29 Kommentare

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  • "Wer in den USA und Europa will, dass die Getreidelieferungen weitergehen, darf deshalb nicht nur „Erpressung“ rufen, sondern muss Putin ein Angebot machen, so schmerzlich das auch sein mag."



    Und nun keine drei Tage später, ist Putin, nachdem er Kontra gekriegt hat, zurückgerudert, so schmerzlich das für ihn auch sein mag.



    Eine sehr lehrreiche Episode.

    • @Barbara Falk:

      Wahrscheinlich sogar sehr zum Ärger all jener, die hier und anderswo gerne Verhandlungen fordern ohne auch nur ansatzweise in der Lage zu sein zu umreißen, wie denn Verhandlungen mit einem unwilligen „Verhandlungspartner“ aussehen sollen.

      Mit Faschisten verhandelt man nicht; Punkt. Lustig, dass ausgerechnet jene welche das ausweislich ihres Drängens auf Verhandlungen offensichtlich verstehen wollen , sich gerne selbst als die größten Antifaschisten verstehen.

  • "(...) auch bei den Kräften im Westen, die mit allen Mitteln einen militärischen Sieg der Ukraine erzwingen wollen (...)"

    Von "allen Mitteln" sind wir ja wohl noch sehr weit weg.

    • @Barrio:

      Mehr was man halt als Reserven auf Lager hat. Würde der Westen mit allen Mitteln eingreifen wäre der Krieg konventionell sehr schnell rum

  • Auf dem Rücken der Ärmsten? Es wäre mir neu, dass die Ukraine das Getreide und den Futtermais, sowie das Sonnenblumenöl verschenkt. Ich denke, wenn der Preis stimmt, werden Russland, Kanada und USA den Weizen liefern.

    • @Pepi:

      "Wenn der Preis stimmt" ist genau das Problem. Die Verknappung des Angebots lässt die Preise steigen und natürlich geht das in erster Linie zu Lasten der Ärmsten.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    "Putin ein Angebot machen"



    ==



    Trotz des von Russland ausgesetzten Abkommens haben mehrere Schiffe die ukrainischen Häfen verlassen.

    Mehrere Frachter mit Agrarprodukten haben ukrainische Häfen verlassen. 354.500 Tonnen seien verschifft worden, teilt die ukrainische Militärverwaltung mit. Das sei eine Rekordmenge.

    Notwendig ist jetzt, das die aus der Ukraine auslaufenden Getreide-Frachtschiffe z. B. nach Ägypten, Italien, Irland, Iran, Südkorea, Rumänien, Deutschland, Türkei, Israel, Rumänien, Djibuti und Sudan (Länder in die kürzlich Getreide aus der Ukraine geliefert wurde) von zivilen Schiffen aus diesen Ländern eskortiert werden. Denn diese bisherigen Empfänger ukrainischer Getreidelieferungen haben lt. Jürgen Gottschlich mit dem Ukrainekonflikt nichts zu tun.

    Parallel kann garüber gesprochen werden - zum Beispiel darüber, das das Schwarze - und Asowsche Meer ein internationales Gewässer ist, welches auch von den Empfängerländern mit zivilen Schiffen befahren werden darf.

    Dieses Angebot zur Rückkehr zum internationalen Seerecht und Völkerrecht ist das einzige Angebot, welches Verhandler wie die UN den Russen derzeit machen kann.

    Andere Angebote, welche nicht mit dem Völkerrecht kollidieren, gibt es nicht.

  • "Ohne das Getreide aus den ukrainischen Schwarzmeerhäfen und aus Russland wird der Weltmarktpreis wieder stark steigen und gerade in den ärmsten Ländern werden sich Hungersnöte verschärfen."



    Abgesehen davon ,das ein großer Teil des Getreides als Tierfutter verwendet wird: Weltmarktpreise sind keine physikalischen Naturgesetze, sondern von Menschen gemacht. Das wäre doch jetzt die Gelegenheit für die Wertegemeinschaft der freien Welt,aus globaler sozialer Verantwortung heraus die Spekulation zumindest für einige Güter zu unterbinden. Da gibt es ja verschiedenste Möglichkeiten. Wie sich gezeigt hat kann man ja sogar die Beschlagnahme von privaten Besitz und Konten unbeliebter Konkurrenten und deren "Freunden" legalisieren und durchführen, wenn sie aus dem richtigen falschen Land kommen. Das Einfrieren der globalen Getreidepreise dürfte doch kein Problem sein ,wenn sich alle einig sind.



    Oder gibt es doch dem entgegenstehende egoistische Interessen?



    • @Mustardmaster:

      Andere Möglichkeit: Russland hält sich zur Abwechslung mal an Vereinbarungen.

  • "Was davon stimmt, ist schwer zu überprüfen..." Wenn es einfach wäre, bräuchten wir keine Journalisten.

  • Das Getreideabkommen war ja nur notwendig, weil die Russen gedroht haben, friedliche Handelsschiffe zu beschießen, mit der Begründung, in ukrainischen Getreidefrachtern würden Waffen geschmuggelt.



    Außerdem trauten sich die Ukrainer nicht, die von ihnen selbst verminten eigenen Häfen freizumachen, aus Angst vor einem russischen Landungsversuch. Dieses Risiko besteht mittlerweile nicht mehr.



    Bleibt der „Waffenschmuggel“. Im Rahmen des Getreideabkommens durchsuchten seit Juli Russen, Ukrainer, Türken und UN-Vertreter gemeinsam ukrainische (und Handelsschiffe, die durch den Bosporus fahren. Waffen wurden keine gefunden. Nun, drei Monate später, haben die Russen keine Lust mehr, sinnlos nach nicht vorhandenen Waffen zu suchen, sondern möchten, um ukrainische Handelsschiffe wieder blockieren zu können, lieber wieder einfach behaupten, die Ukrainer würden Waffen schmuggeln, weshalb ihre Handelsschiffe ein legitimes militärisches Ziel seien. Drum haben sie das Abkommen einseitig aufgekündigt, mit einer völlig bizarren Begründung.



    Die einfachste Lösung scheint mir, dass die übrigen Parteien, die dem Abkommen verpflichtet sind, die vereinbarten Kontrollen jetzt ohne die Russen durchführen, und den Russen die Ergebnisse der Kontrollen mitteilen.



    Wenn die Russen tatsächlich kontrollierte Schiffe blockieren oder gar beschießen sollten, wäre es an der Zeit, über eine UN-Mission für militärischen Geleitschutz für ukrainische Getreidefrachter nachzudenken.

    • @Barbara Falk:

      nur würde Russland das mit einem Veto blockieren - die Chinesen wahrscheinlich auch.

      Und dann? Doch die Nato schicken? Oder die USA mit einer Allianz der Willigen?

  • "Doch das ist zynisch, denn die Leidtragenden für einen kompletten Abbruch der Gespräche wären die Ärmsten der Armen der Welt, Menschen, die mit dem Krieg in der Ukraine nichts zu tun haben.

    Wer in den USA und Europa will, dass die Getreidelieferungen weitergehen, darf deshalb nicht nur „Erpressung“ rufen, sondern muss Putin ein Angebot machen"

    Zynisch ist es, zusammen mit Putin die Ärmsten der Armen der Welt zu mißbrauchen, um USA und Europa unter Druck zu setzen. So wird ein Schuh draus.

  • ...oder weniger Getreide in die Fleischproduktion stecken. Oder weniger Biosprit.

    Beide "Anwendungen" sind in der Grössenordnung mit dem vergleichbar, was jetzt fehlt.

    Versteht mich nicht falsch. Ich mag Putin auch nicht. Aber auch bei uns läuft eine Menge schief, die genau solchen Leuten in die Hände spielt.

  • Ja, so sieht es aus.



    Letztlich werden nur Verhandlungen Ergebnisse bringen.



    Den Hungernden wird auch relativ egal sein, woher der Weizen für das Brot kommt. Ein " Bummelsteik" gegen russisches Getreide ist daher ebenfalls abzulehnen.



    Krieg ist, im Übrigen, auch keine Lösung.



    Selbst wenn der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass die Ukraine siegreich ist, ist damit noch keine Lösung entstanden.



    Das können nur Verhandlungen, es sei denn, man/frau meinen eine Situation wie zwischen Nord- und Südkorea seibeine Lösung.

    • @Philippo1000:

      Gerade am Bruch des Getreideabkommens sieht man doch wieder einmal, was Abkommen mit Putin wert sind.

      Verhandlungen setzen voraus, dass sich die Verhandlungspartner auch daran halten. Putin hat jetzt aber mehrfach bewiesen, dass ihn Verträge nicht im geringsten interessieren.

      Kann die Ukrainische Bevölkerung daher sehr gut verstehen, dass sie keinen Sinn mehr in Verhandlungen mit Putin sieht.

  • Putin will die Flüchtlingsströme verstärken. Mehr steckt nicht dahinter. Angebote, Verhandlungen, Unzufriedenheit mit dem Deal...sieht da jemand vielleicht den Wald vor lauter Bäumen nicht?

    • @Nachtsonne:

      Genauso ist es.

  • "muss Putin ein Angebot machen, so schmerzlich das auch sein mag." Wie soll das Angebot aussehen und wie verhindert man das man in Zukunft immer wieder erpresst wird? Solange es darauf keine gute Antwort gibt ist Artillerie die beste Lösung für das Problem Russland.

    • @Machiavelli:

      > ist Artillerie die beste Lösung für das Problem Russland

      Artillerie löst das "Problem Russland" sicherlich nicht. Wie soll das funktionieren? Mit Artillerie kriegen Sie alles mögliche kaputt, aber gedeihliche internationale Handelsbeziehungen bauen Sie damit nicht auf.

      • @Carcano:

        Sie prügeln die russische Armee aus der Ukraine, das führt hoffentlich zu einem Umdenken in Russland weg von Chauvinismus und Imperialismus hin zu Frieden und Handel.

  • "....sondern muss Putin ein Angebot machen, so schmerzlich das auch sein mag."

    Absurd. Das einzige Angebot, das Putin erhalten möchte, ist die Aufgabe der Ukraine. Putin ist genauso ein "Verhandlungspartner" wie Hitler es auch nicht war.

    • @Elena Levi:

      So ist es.

  • Richtig, man muss Russland ein Angebot machen und selbstverständlich auch russische Getreide- und Düngemittel-Lieferungen ermöglichen. Alles andere wäre nicht nur töricht.

    • @Genderer:

      Na ja, irgendwie ist das schon Absurd und krank - das ist so, als ob ich einem Einbrecher ein Angebot machen würde, ein Mehrfamilienhaus weiterhin plündern und zerstören zu können, nur damit er später nicht alles in Brand setzt. Und, Barbara F. : Der Ansatz ist schon richtig aber ich bezweifle es, dass Putin an irgendwelchen Ergebnissen von Untersuchungen interessiert ist. Er nutzt die Zeit und den Hebel, um auf den Selenskyj einen internationalen Druck auszuüben. Der Woscht und seine Companions müssen weg, damit mit Russland Verhandlungen wieder möglich sind ...ich meine, ernsthafte und konstruktive Verhandlungen!

      • @Tomphson:

        Danke für den Vergleich. Ich finde ihn sehr passend.

      • @Tomphson:

        „Er nutzt die Zeit und den Hebel.“



        Das kann man auch anders sehen:Die Zeit läuft ihm weg, und der Hebel wird schwächer. Die Schwarzmeerflotte ist durch die Angriffe bereits arg gerupft. Die Schiffe halten sich, aus Angst vor ukrainischen Angriffen, von der ukrainischen Küste fern, der jüngste Angriff zeigt, dass selbst der Hafen von Sewastopol nicht sicher ist. „Hebel“ bedeutet ja, eine Blockade tatsächlich durchführen zu können.



        IMO werden die Russen nichts dagegen unternehmen, wenn die anderen Beteiligten jetzt, wie angekündigt, das Abkommen weiter umsetzen. Außer laut zu lamentieren und zu drohen. Putin hat sich mal wieder ins eigene Knie geschossen.

    • @Genderer:

      Wie wäre folgendes Angebot:



      1. Sofortiger Rückzug Russlands aus allen besetzen Gebieten der Ukraine inklusive Krim & Donbass.



      2. Freilassung aller ukrainischer Kriegsgefangenen



      3. Auslieferung aller Hauptkriegsverbrecher (Putin, ect) an ein UN Tribunal



      4. Zahlung von Reperationen an die Ukraine durch Lieferungen von Gas & Baumaterial für den Wiederaufbau und Arbeitsleistung (z.B. Minen & Blindgänger räumen) der russischen Kriegsgefangenen in der Ukraine



      5. Entmilitarisierung & UN-Verwaltung von Königsberg

      Als Gegenleistung hebt der Westen die Sanktionen auf und gibt den russischen Oligarchen ihren Besitz zurück.



      Klingt doch nach einem fairen Deal, oder?

    • @Genderer:

      "Richtig, man muss Russland ein Angebot machen"



      Das Angebot gibt es seit Februar: Einstellen aller Angriffe und Rückzug auf russisches Territorium. Scheint irgendwie nicht anzukommen.