Pushbacks auf dem Mittelmeer: Frontex lügt und mauert

Die EU-Grenzschutzagentur schiebt illegal Flüchtlinge auf dem Mittelmeer zurück – und vertuscht dies in der eigenen Datenbank. Nun wird sie verklagt.

Frontex-Offizier auf einem Patrouillenboot am Hafen von Malaga

Frontex-Offizier auf einem Patrouillenboot am Hafen von Málaga Foto: picture alliance/dpa/SOPA Images via ZUMA Wire | Jesus Merida

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hat massenhaft Einsatzprotokolle verfälscht, um illegale Zurückschiebungen im Mittelmeer zu vertuschen. Das berichtet der Spiegel.

Es geht um Einträge in einer internen Frontex-Datenbank namens „Jora“. Darin wurden Frontex-Einsätze gegen Flüchtlingsboote in der Ägäis falsch verortet. Diese hatten sich tatsächlich in griechischen Hoheitsgewässern abgespielt – in der Datenbank wurden sie aber türkischen Gewässern zugeordnet.

Der Unterschied ist erheblich: Griechische Gewässer gehören zur EU, die Flüchtenden hatten das Recht, für einen Asylantrag an Land gebracht zu werden. Tatsächlich jedoch wurden sie illegal und mit Gewalt in die Türkei zurück geschleppt. Das habe Frontex mit den Einträgen verschleiern wollen.

Der Spiegel hatte auf Grundlage der EU-Informationsfreiheitsverordnung Einblick in die Datenbank-Einträge verlangt. Beim Vergleich mit Aufnahmen, die Flüchtende während der fraglichen Einsätze mit ihren Handys gemacht hatten, zeigte sich: Die Vorfälle fanden tatsächlich in EU-Gewässern statt. Von dort seien die Boote von griechischen Küstenwächtern zurück geschleppt worden.

Laut Frontex-Protokollen habe etwa am 13. Mai 2020 ein deutscher Helikopter im Frontex-Einsatz gemeinsam mit einem Patrouillenboot der Bundespolizei ein Flüchtlingsboot in türkischen Gewässern entdeckt. Die deutschen Polizisten hätten angeblich das gemeinsame Kontrollzentrum im griechischen Piräus informiert, die Griechen dann wiederum die türkische Küstenwache. Ein türkisches Patrouillenboot sei am Ort des Geschehens angekommen und habe die Verantwortung für den Fall übernommen. Eine Lüge, so der Spiegel.

Frontex sei allein zwischen März 2020 und September 2021 in 22 illegale Pushbacks mit mindestens 957 Flüchtlingen involviert gewesen. In diesen Fällen lagen Fotos von den Flüchtlingen in griechischen Rettungsflößen oder andere Belege vor. Die wahre Zahl der Pushbacks, bei denen Frontex behilflich war, liege „höchstwahrscheinlich noch höher“, so der Spiegel.

„Wie ein Geheimdienst“

Derweil hat die deutsche Seenotrettungs-NGO Sea-Watch Frontex beim Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg verklagt. Frontex verweigere zu Unrecht die Herausgabe von Informationen, so die Klage. „Frontex predigt Transparenz, arbeitet aber wie ein Geheimdienst“, sagt Marie Naass von Sea-Watch.

Es geht um einen Fall vom 31. Juli 2021, bei dem ein Boot mit etwa 20 Flüchtlingen aus dem zentralen Mittelmeer nach Libyen zurück geschleppt wurde. Hierbei handele es sich völkerrechtswidrigen Pushback, so Sea Watch.

Das Boot habe sich innerhalb der maltesischen Such- und Rettungszone befunden. Die Behörden hätten es an einen sicheren Ort bringen lassen müssen. Das hätte Sea-Watch übernehmen können – denn deren Rettungsschiff, die Sea-Watch 3, war zu jener Zeit vor Ort. Die maltesische Leitstelle hatte dessen Crew aber nicht über den Notfall informiert.

Stattdessen fing die sogenannte libysche Küstenwache das Boot ab. Die Menschen wurden in die gleichen Lager zurück gebracht, aus denen sie zuvor geflohen waren. Laut Sea-Watch war eine Drohne von Frontex während des Notfall mehrfach vor Ort. Die Besatzungen des Sea Watch Aufklärungsflugzeugs Seabird und des Rettungsschiffs Sea-Watch 3 hätten dies beoobachtet.

Dokumente unter Verschluss

Deshalb müsse „von einer Beteiligung von Frontex am völkerrechtswidrigen Pullback ausgegangen werden“, so Sea-Watch in einer Erklärung.

Sea-Watch hat deshalb von Frontex mehrfach Auskunft auf Grundlage der Informationsfreiheitsverordnung der EU verlangt, diese aber nicht bekommen. Frontex habe lediglich angegeben, über 73 Dokumente, Bilder und ein Video zu dem Vorfall zu verfügen – diese aber nicht herausgegeben.

Deshalb hat Sea-Watch zusammen mit der Organisation Frag den Staat auf Freigabe der Dokumente geklagt. So wollen die beiden NGOs beweisen, dass die Menschenrechtsverletzung der Bootsinsassen unter Beteiligung von Frontex stattgefunden habe.

„Ohne Transparenz können wir Frontex nicht zur Rechenschaft ziehen, was den Nährboden für Straflosigkeit und weiteren Missbrauch schafft“, so Luisa Izuzquiza, Brüsseler Büroleiterin von Frag den Staat.

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