Psychologe über Klimaschutz-Weitsicht: „Ernüchternde Befunde“
Hildesheimer Psycholog*innen haben nachgewiesen, dass die Interessen künftiger Generationen bei aktuellen Verhandlungen kaum berücksichtigt werden.
taz: Herr Majer, Ihre Forschung bestätigt, dass die Interessen nachfolgender Generationen in Verhandlungen kaum berücksichtigt werden. Wie schlimm ist die Lage?
Johann Majer: Es ist tatsächlich ein sehr ernüchternder Befund. Er zeigt, dass wir nicht davon ausgehen können, dass die Interessen nachfolgender Generationen in Verhandlungen berücksichtigt werden.
Wie haben Sie das untersucht?
Wir haben Proband*innen in verschiedene simulierte Konfliktsituationen hineinversetzt und ihnen jeweils Informationen über ihre eigenen Interessen und über die der nachfolgenden Generationen gegeben. Einmal ging es zum Beispiel um konkurrierende Forstbetriebe, die untereinander Ressourcen, also Holz, verteilen sollten. Es besteht immer ein Konflikt, der zwischen den Parteien gelöst werden soll. Die Konfliktlösung bestimmt aber auch, wie die Situation für künftige Generationen gestaltet wird.
Diese Lösungen haben die Interessen nachfolgender Generationen nicht berücksichtigt?
Genau.
Welche Faktoren haben Einfluss auf die Berücksichtigung?
Wenn Parteien der Gegenwart Abwägungen zwischen ihren eigenen Interessen und denen nachfolgender Generationen treffen mussten, waren ihre Verhandlungslösungen sehr selbstdienlich. Da haben wir uns gefragt: Was ist, wenn wir die Verhandlungsparteien kompensieren? Also in dem Beispiel gesprochen: Für jeden Baum, den ihr stehen lasst, also für die nachhaltige Lösung, bekommt ihr eine Kompensation. Trotzdem haben wir praktisch das gleiche Ergebnis herausgefunden: Der Effekt war nicht ganz so stark wie in den ersten zwei Studien, aber er war immer noch da. Dabei hätten die Konfliktparteien in diesem Setting nur daran denken müssen, die Interessen nachfolgender Generationen zu berücksichtigen! Das ist sehr ernüchternd.
In der Realität werden die Interessen nachfolgender Generationen oft nicht berücksichtigt, obwohl sie am meisten unter der Klimakrise leiden werden.
38, ist seit 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Psychologischen Institut der Universität Hildesheim. Das Forschungsprojekt („Verhandlungsführer der gegenwärtigen Generationen setzen ihre Interessen auf Kosten der zukünftigen Generationen um“) wurde gemeinsam mit der Leuphana Universität Lüneburg durchgeführt.
In unserem dritten Setting waren die Auswirkungen auf nachfolgende Generationen stärker, davor hatten wir die Labor-Settings symmetrisch aufgebaut. Das dritte Setting ist die Variante, die der Realität am ehesten entspricht. Selbst da war der Effekt ähnlich, in der Tendenz sogar noch stärker.
Wieso werden die Interessen folgender Generationen nicht berücksichtigt?
Empirisch können wir darüber noch keine Aussagen treffen. Ein erster Fokus zukünftiger Forschung sollte sein, den psychologischen Prozess genauer zu verstehen: Ist das ein bewusstes Ausblenden der Interessen nachfolgender Generationen, also eine „intergenerationale Ignoranz“?
Haben Sie eine These, womit diese Ignoranz zusammenhängen könnte?
Da kommen viele psychologische Barrieren zusammen: Zum Beispiel die Unsicherheit, was überhaupt für künftige Generationen bleibt. Außerdem haben wir eine Machtasymmetrie: Diejenigen am Verhandlungstisch können entscheiden, zukünftige Generationen haben keine Stimme und sind auf Rücksicht der Verhandlungsführer*innen angewiesen. Sie können auch nicht reziprok handeln: Wenn ihnen also jemand etwas Gutes tut, können sie das nicht zurückgeben. Das ist über die Zeit gar nicht möglich. Eine andere spannende Frage ist: Wir haben zwar diese ernüchternden Befunde, aber was können wir tun, um die Interessen nachfolgender Generationen an den Verhandlungstisch zu bekommen? Ein Aspekt könnte sein, eine gemeinsame soziale Identität herzustellen und zu stärken.
In die andere Richtung funktioniert Solidarität – Stichwort Rente. Wie können folgende Generationen ihre Interessen vertreten, so wie es ältere tun?
Es gibt schon viele gute Ansatzpunkte. Da draußen gibt es ja nicht nur Forschung, sondern viele Organisationen und Institutionen, die versuchen, darauf einzuwirken, dass wir die Interessen künftiger Generationen berücksichtigen und die Asymmetrie am Verhandlungstisch aufheben. Es ist wichtig, diese Arbeit zu unterstützen und diesen Organisationen eine stärkere Stimme zu geben.
Also FFF an den Verhandlungstisch?
Ja genau! Oder wir bestimmen jemanden, der diese Interessen stärker vertritt, als unsere Institutionen es derzeit tun.
Wir diskutieren hier über hochpolitische Fragen. Welche Rolle kann die Psychologie dabei spielen?
Unser Fach ist maßgeblich an den psychologischen Prozessen interessiert, also: Wie fühlen Leute, wie nehmen sie wahr, wie verhalten sie sich? Wir in unserer Forschung betrachten aber interaktive, also letztlich kollektive Entscheidungsprozesse. Außerdem sitzen in allen wichtigen Positionen in Politik, Unternehmen, Organisationen trotz allem Menschen, und bei denen können wir ähnliche Prozesse, Fehleinschätzungen und Biases beobachten. Die können wir mithilfe der Psychologie besser verstehen und ansprechen.
Wo kann politische psychologische Forschung ansetzen?
Eine große Debatte ist: Was kann die Psychologie zur sozial-ökologischen Transformation beitragen? Bisher hat sie sich darauf fokussiert, Individualverhalten wie Konsum zu verändern. Das ist auch wichtig, aber ich denke, wir sollten uns zusätzlich auf höhere Entscheidungsebenen konzentrieren: Was sind die Probleme auf den Ebenen, in denen die strukturell wichtigen, systemrelevanten Entscheidungen getroffen werden, also in Unternehmen und Politik? Wichtig ist auch die Akzeptanz politischer Maßnahmen: Die ausgehandelten Entscheidungen müssen von der Gesellschaft angenommen werden. Das ist eine sehr aktuelle Debatte und ich würde sagen: Wir brauchen beides!
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