Prozess um G20-Ausschreitungen startet: Demo-Recht ist in Gefahr
Mitgefangen, mitgehangen, so die Devise der Anklage im G20-Prozess um Ausschreitungen an der Elbchaussee. Vier Mit-Läufern drohen hohe Haftstrafen.
Brisant an dem Verfahren ist Folgendes: Gelingt es der Staatsanwaltschaft, das, was sie in der Anklageschrift bereits dargelegt hat, in ein Gerichtsurteil umzumünzen, kann das Rechtsgeschichte schreiben – und das Demonstrationsrecht entscheidend verändern.
Videos beweisen, dass aus der Gruppe der rund 220 Vermummten heraus schwere Straftaten begangen wurden. 19 Autos wurden in Brand gesetzt, Scheiben eingeworfen, AnwohnerInnen mit Gegenständen beworfen. Laut Staatsanwaltschaft ist insgesamt ein Sachschaden von mehr als einer Million Euro entstanden. Die martialischen Bilder des „schwarzen Mobs“, wie die Ankläger sie titulieren, gingen um die Welt.
Den vier aus Hessen stammenden Angeklagten wird jedoch keine dieser Straftaten konkret zugerechnet. Sie sollen kein Auto angezündet, keine Schaufensterscheibe zum Bersten gebracht, nicht einmal einen Böller geworfen haben. Sie sollen einfach nur mitmarschiert sein. Damit hätten die vier Männer, von denen keiner vorbestraft ist und von denen zwei während des G20-Gipfels noch nicht volljährig waren, nach bisheriger Rechtsprechung keine hohen Strafen zu erwarten.
Zwei höchstinstanzliche Urteile sind dabei maßgebend: Im sogenannten Brokdorf-Urteil, in dem es um das Verbot einer Demo gegen den schleswig-holsteinischen Atommeiler ging, entschied das Bundesverfassungsgericht 1985 so: Die Versammlungsfreiheit friedfertiger Demo-TeilnehmerInnen bleibe auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen von einigen DemonstrantInnen zu rechnen ist. Seitens der Behörden seien alle Mittel auszuschöpfen, die auch in diesem Fall den friedlichen DemonstrantInnen eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte im Mai 2017, dass schon ein „ostentatives“ – also auf Provokation angelegtes – Mitmarschieren in einer gewaltbereiten Menge ausreiche, um den Tatbestand des Landfriedensbruchs zu erfüllen. Die „konkrete Täterschaft bei der Begehung von Gewalttaten“ sei dabei nicht erforderlich, um sich strafbar zu machen. Allerdings schränkte der BGH ein: Dies gelte nicht für politische Demonstrationen, bei denen von einigen TeilnehmerInnen – nicht von allen – Gewalttaten begangen werden.
Friedliche von gewaltbereiten Demonstranten trennen
Beide Urteile – und damit die bislang geltende Rechtsprechung – zielen also darauf ab, bei Polit-Aufmärschen, aus denen heraus Straftaten begangen werden, friedliche DemonstrantInnen und aktive GewalttäterInnen säuberlich voneinander zu trennen. Hamburgs Staatsanwaltschaft aber legt es nun darauf an, Spreu und Weizen bewusst zu mischen. Die Devise der Ankläger lautet: Mitgefangen, mitgehangen!
In ihrer Anklageschrift ordnet sie über 100 während des Elbchaussee-Aufmarschs begangene Straftaten – Brandstiftung, Sachbeschädigung und Körperverletzungen – den Angeklagten strafrechtlich zu. Nicht weil sie diese Taten aktiv begangen hätten, sondern weil sie mitmarschierten und damit den EinzeltäterInnen Rückhalt gewährten. Auch der Tatbestand des Landfriedensbruchs sei erfüllt, weil der Protestzug nicht unter dem Schutz des Versammlungsrechts stehe. Er habe kein politisches Anliegen gehabt, sondern sei eine Zusammenrottung Krimineller gewesen, mit dem Ziel, schwere Straftaten zu begehen.
Auch der taz-Podcast Lokalrunde beschäftigt sich in seiner aktuellen Folge mit dem Elbchaussee Prozess.
Was das aus Sicht der Ankläger für die Angeklagten bedeutet, machte die Staatsanwaltschaft mit ihrem Antrag deutlich, das gesamte Gericht wegen Befangenheit abzulehnen. Der Grund dafür: Die Strafkammer kam in einer vorläufigen Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass die Beschuldigten bei Verurteilung mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren Haft zu rechnen hätten.
Obwohl schon dieser Strafrahmen für die bloße Teilnahme an einer Versammlung, aus der heraus Straftaten begangen wurde, beispiellos wäre, nutzte die Staatsanwaltschaft die Zwischenbilanz, um das gesamte Gericht wegen Befangenheit abzulehnen – auch das ein beispielloser Vorgang. Die Begründung: Die RichterInnen hätten bei ihrer Bewertung „die Dimension der Taten vollständig aus dem Blick verloren“ und damit „die Opfer verhöhnt“. Statt nur drei Jahre müssten die Angeklagten für sechs bis zehn Jahre hinter Gittern verschwinden. Der Befangenheitsantrag wurde abgelehnt.
Beim Prozess wird sich nun zeigen, ob das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach den G20-Vorkommnissen noch dasselbe sein wird wie zuvor.
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