Prozess gegen „Hannibal“-Schlüsselfigur: Das Handy des Polizisten
Marco G. organisierte die Preppergruppe Nordkreuz. Wie sich die Justiz mit der Aufdeckung rechter Netzwerke schwertut.
Im Zeugenstand steht ein Polizist. Es ist Mitte Dezember, der dritte Verhandlungstag und der Kriminaloberkommissar sitzt hier, weil er die Mobiltelefone des Angeklagten ausgewertet hat. Er berichtet, wie die Nachrichten ausgesehen haben, die Marko G. in Chats austauschte. Am 20. April 2017 verschickte er etwa ein Bild von Adolf Hitler, beschriftet mit „Happy Birthday“. Am 19. November 2016 ein Video, in dem eine Frau und ein Nussknacker zu sehen sind, die Frau bewegt den Arm nach oben und sagt „Sieg Heil“. Er hat auch ein Bild verschickt, auf dem mehrere Soldaten zu sehen sind. Einer zielt auf eine am Boden liegende Person. Dazu der Schriftzug „Asylantrag abgelehnt“.
Der Angeklagte Marko G. ist Polizeibeamter, 49 Jahre alt, seit 2004 war er für das Spezialeinsatzkommando (SEK) in Mecklenburg-Vorpommern tätig. Derzeit ist er vom Dienst suspendiert. Er steht seit Ende November wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Sprengstoffgesetz vor dem Landgericht Schwerin, weil er widerrechtlich Waffen und Munition beschafft und gelagert haben soll. 42 Minuten hat die Staatsanwältin gebraucht, um die Liste mit den Patronen, Pistolen, Gewehren und Sprengkörpern vorzulesen, die G. bei sich gehortet haben soll, darunter rund 55.000 Schuss Munition, auch solche für Kriegswaffen.
Nach Recherchen der taz ist Marko G. eine der Schlüsselfiguren des Hannibal-Netzwerks, bestehend aus bundesweit mehreren Chatgruppen, die von einem damaligen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte ins Leben gerufen wurden, um sich auf einen „Tag X“ vorzubereiten. Für manche der Prepper war das eine Naturkatastrophe, andere glauben, sich vor Geflüchteten schützen zu müssen. Marko G. administrierte unter anderem die Gruppe Nordkreuz. Gegen zwei ihrer Mitglieder ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen Terrorverdachts, Marko G. zählt für die Ermittler in Karlsruhe bisher nicht als Tatverdächtiger.
Die seltsamen Gesten des Angeklagten
Der Prozess in Schwerin ist der bisher größte zum Hannibal-Komplex, aber Marko G.s Verstrickungen in das Netzwerk sind hier eigentlich nicht Thema. Die Staatsanwaltschaft hat die Rolle von Marko G. bei Nordkreuz und Nord.com aber mit in die Anklageschrift aufgenommen. Schließlich könnte die Vorbereitung auf den ominösen Tag X ein Motiv für das exzessive Waffensammeln sein.
Der Staatsanwalt und die Staatsanwältin fragen den Kriminalbeamten im Zeugenstand, ob er einen Zusammenhang zwischen den Waffenermittlungen und den Chats sieht. Es sei von einem möglichen Krisenfall gesprochen worden „und dann ist die Frage, was man mit Krisenfall meint“, sagt er. „Wenn man Ausländer meint, dann kann man das in Zusammenhang sehen.“
Das ist ein entscheidender Moment, das merken sie auch auf der Empore. Marko G. grüßt sie immer, vor Verhandlungsbeginn und am Ende, mal mit einer besonderen Geste – die rechte Hand auf die linke Brust und dann den Arm in weitem, gemessenem Schwung nach vorn –, mal, weil mit Handschellen gefesselt, beide Arme nach oben streckend. Von oben grüßen sie zurück. Wenn die Staatsanwältin Zeugen zu Patronen oder Waffen befragt, lachen sie. Die Alte habe ja keine Ahnung von nichts, tuscheln sie, oder auch mal: „Wenn die quatscht, könnte ich reinschlagen.“ Aber in dem Moment, als der Beamte über die Chats spricht, schauen sie einfach nur still nach unten.
Dieser Moment zeigt, welchen Fragen der Prozess nachgehen könnte: Wie konnten sich Netzwerke von radikalisierten Männern in Polizei, Armee und anderen Behörden bilden und wie gefährlich sind sie? Handelt es sich um frustrierte Männer mit rassistischem Humor oder sind sie auf dem Weg, rechtsradikale Terroristen zu werden?
Aber es geht in Schwerin allein um das Waffenarsenal von Marko G. Die dreiviertel Stunde der Stille geht vorbei wie eine Geistererscheinung.
Marko G., der Waffennarr
In den Tagen davor wurde stundenlang über Waffen und Patronen gesprochen und wo sie gefunden wurden, überall im Haus verteilt. Am zweiten Verhandlungstag hat sich Marko G. selbst zu Wort gemeldet. Er erzählte von der ersten Durchsuchung im August 2017, damals war er noch Zeuge. Wie er um vier Uhr aufgestanden sei, Schlafstörungen in der lauen Sommernacht. Also habe er damit begonnen, sein Auto mit Munition zu beladen, am Vormittag wollte er auf den Schießstand.
Dann knurrte sein Hund. Einbrecher? Er habe im Flur seine Pistole in die Hand genommen, dann ein Blick durchs Fenster: Laserlicht, Maschinenpistolen, Beamte der GSG9. Also die Pistole auf den Boden. „Ich habe die Kollegen im Bruchteil einer Sekunde wahrgenommen, bevor sie mich wahrgenommen haben“, sagt er. „Wäre es umgekehrt gewesen, säße ich heute nicht hier.“
Marko G. ist jemand, der sich mit Waffen auskennt wie wenige im Land. Selbst der Zuständige der Waffenbehörde im Landkreis fragte ihn regelmäßig um fachlichen Rat. Die beiden duzen sich.
Marko G., Angeklagter
Der Beamte, seit 1991 in der Waffenbehörde, ist im grauen Anorak gekommen, er hat einen Ordner vor sich liegen. Auf viele Nachfragen kann er nicht antworten, er sei ja kein Sachverständiger. Jedenfalls kommt heraus, dass er den Bescheid über den endgültigen Entzug der Waffenberechtigung mit fast zweijähriger Verzögerung erst im September 2019 hat zustellen lassen. Und dann: Die Erlaubnis zum Kauf von Munition hat er Marko G. bisher gar nicht entzogen. Er werde da jetzt, murmel, murmel, mal einen Bescheid ausstellen.
Ein Waffenexperte baut am dritten Verhandlungstag eine Uzi-Maschinenpistole auseinander und wieder zusammen. Polizisten fanden sie bei der zweiten Hausdurchsuchung im Juni 2019 in einem Metallkoffer. Im Jahr 1993 war sie bei der Bundeswehr gestohlen worden. G. will sie nach einer Waffenmesse auf einem dunklen Parkplatz gekauft haben, als Sammler. „Leider siegte meine Faszination für Waffen und sicher auch meine Abenteuerlust“, heißt es in seiner Aussage. Zudem: Als Präzisionsschütze sei er gar nicht daran interessiert, mit einer Uzi zu schießen. Präzisionsgewehre haben die Ermittler bei ihm nicht gefunden.
Es klackt und klickt, als die Waffenteile einrasten. Es soll geklärt werden, ob man mit der Maschinenpistole einfach so hätte schießen können oder ob da ein Bauteil zwischen Lauf und Schalldämpfer stecken müsste, welches Marko G. nicht hatte. Dafür war eine Schraubenmutter im Koffer, die den gleichen Zweck erfüllt. „Kann man sich das Ding auch einfach im Baumarkt kaufen? Also die Mutter, nicht die Uzi“, sagt der Vorsitzende Richter und lacht.
Fragen, die nicht gestellt werden
Die Staatsanwaltschaft agiert oft so, als wolle sie Marko G. unbedingt drankriegen, wisse aber nicht genau, wie sie das anstellen soll. Den Polizisten, der die Kommunikation ausgewertet hat, befragt sie hart nach den Gründen dafür, wieso er nach Hitler-Bildern und rassistischen Nachrichten gesucht hat. Diese Hartnäckigkeit wäre auch bei der Befragung von Marko G. interessant gewesen. In dessen Aussagen gab es durchaus Widersprüche.
So behauptet Marko G., er habe zunächst nicht gewusst, worum es sich bei dem „Mehmet-Turgut-Pokal“ handle. Turgut, das zur Erinnerung, wurde am 25. Februar 2004 vom rechtsterroristischen NSU in Rostock mit drei Kopfschüssen getötet. G. gewann also einen nach diesem Mann benannten Pokal beim Schießen mit dem Luftgewehr, es war der Geburtstag eines ihm bekannten Anwalts, den die Bundesanwaltschaft als rechtsextremen Terrorverdächtigen führt.
Als er begriffen habe, was er da gewonnen hatte, habe er die Trophäe vernichtet, sagt Marko G. Der Beamte, der seine Chats ausgewertet hat, berichtet aber von Nachrichten vor dem gemeinsamen Schießen, in denen beim Thema Pokal von einem „bedauernswerten Südländischen“ die Rede ist, den es „vor nicht allzu langer Zeit in unserer schönen Hansestadt dahingerafft hat“.
Freiheitsstrafe ohne Bewährung zu erwarten
Marko G. behauptet, seine Chatgruppen seien unideologisch. Auch die Gruppe „Vier gewinnt“, in der einer der beiden terrorverdächtigen Nordkreuz-Mitglieder aktiv war, auch er Polizist. Nach Bewertung der Bundesregierung allerdings manifestiert sich bei den Beteiligten eine „gefestigte rechtsextremistische Einstellung“.
Auch bei den sogenannten Safe Houses hätte man nachhaken können. Diese Orte, an denen Vorräte, Waffen und Munition gelagert werden sollten, seien „eher ein Gedankenspiel“ gewesen, heißt es in der Einlassung des Angeklagten. In den Chats wurde aber explizit auf das „Safe House Nord“ hingewiesen und darauf, dass es dort sehr viel Platz für „Mun und Mat“ gebe, was wohl für Munition und Material steht. Es ist auch von einem bereits bestimmten Safe-House-Führer die Rede. Wirklich nur ein Gedankenspiel?
Solche Fragen werden in Schwerin wohl nicht mehr beantwortet werden. Die ursprünglich acht Verhandlungstage hat das Gericht auf fünf verkürzt, am heutigen Mittwoch sollen bereits die Plädoyers vorgetragen werden, am Donnerstag soll das Urteil fallen. Marko G. kann eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung erwarten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollten sich vor Prozessbeginn auf zwei Jahre einigen, doch der Deal scheiterte. Seine Freunde, so ist auf der Empore zu hören, planen schon für die Zeit nach der Haft. Waffen werde der Marko jetzt wohl selbst erst einmal nicht mehr besitzen dürfen, aber als Ausbilder in einer Schule für private Sicherheitsleute zum Beispiel, da könne man sich ihn durchaus vorstellen.
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