Protest gegen die Rentenreform: Es riecht nach Dilettantismus
Frankreichs Rentenreform verwirrt viele. Die Regierung ignoriert den Protest und riskiert, dass der Zorn eskaliert.
B egonnen hatte diese Reform der Renten in Frankreich mit an sich legitimen Absichten. Das System sollte einfacher, verständlicher und sozial gerechter werden und allen auf Dauer ein minimales Auskommen im Alter garantieren. Wer konnte dagegen sein? Vor einem Jahr noch war darum eine große Mehrheit für eine solche Reform zur Harmonisierung.
Heute hat die Regierung eine Mehrheit gegen sich, Streiks und Blockaden seit Wochen und alle paar Tage Zehntausende von Demonstranten auf der Straße und zusätzliche Berufskategorien, die sich der Mobilisierung anschließen. Nicht erst heute steht fest, dass Emmanuel Macron und seine Regierung diese Reform vermasselt haben.
Damit nicht genug sind nach der Verabschiedung der Gesetzesvorlage im Ministerrat und vor der Parlamentsdebatte die Regierungsmitglieder nicht in der Lage zu erklären, was wirklich vorgesehen ist, und wie sich die von ihr geplanten Umstellungen für die Bürgerinnen und Bürger je nach Situation auswirken werden. Es herrscht große Verwirrung. Bei einer Frage wie der Existenz im Alter, die alle bewegt, ist das verantwortungslos.
Besonders schlimm aber ist, dass die Staatsmacht mit der mangelnden Klarheit die den Verdacht weckt, dass diese „Reformer“ letztlich nicht wissen, was sie tun. Inkompetenz, Dilettantismus oder vorsätzliche Vertuschung? Niemand kann es mit Sicherheit sagen. Der Staatschef scheint indes ebenso sehr wie sein Premierminister entschlossen zu sein, den ungebrochenen Widerstand einfach zu ignorieren – um jeden Preis.
Vielen geht es nicht mehr „nur“ um die Rentenreform
Wer den Streik und die friedliche Kundgebung als Mittel der demokratischen Auseinandersetzung diskreditiert, muss sich nicht wundern, wenn der frustrierte Widerstand zu radikaleren und gewaltsamen Methoden greift. Eine Kraftprobe kann in Frankreich, wie man aus der Geschichte weiß, leicht eskalieren. Der französische Premierminister Edouard Philippe scheint indes zu glauben, dass er mit seiner Kompromisslosigkeit wie einst Margaret Thatcher die Macht der Gewerkschaften brechen könne.
Die Frage stellt sich angesichts der an Arroganz grenzenden Haltung der Staatsmacht und der polizeilichen Repression anlässlich von Demonstrationen, ob es gar die eigentliche Zielsetzung dieser „Reform“ sein könnte, auf längere Zeit die Verteidigung der sozialen Errungenschaften und Rechte zu lähmen. Vorerst liegt der Fehdehandschuh noch auf der Straße. Macrons Gegner fühlen sich bestärkt, vielen von ihnen geht es nicht mehr „nur“ um die Rentenreform.
Anmerkung der Redaktion: Avanti dilettanti – den Rechtschreibfehler in der Überschrift der ersten Version des Artikels bitten wir zu entschuldigen. Wir haben ihn nun korrigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren