Pro-Palästina-Demo in London: Explosive Mischung
300.000 pro-palästinensische Demonstrierende trafen am Samstag in London auf 2.000 Hooligans. Interessant war, wie die Polizei damit umgeht.
Das Gejohle von außen drang akustisch durch, obwohl das gesamte Gebiet um das Cenotaph abgeriegelt geworden war. 2.000 Rechtsextreme, laut der Polizei vor allem Fußball-Hooligans, hatten sich in der Stadt versammelt. Dabei sollten die Absperrungen eigentlich Schutz bieten vor anderen Demonstrant:innen: Mehrere hunderttausend Menschen wollten, wie bereits an den vergangenen drei Wochenenden, für einen Waffenstillstand in Gaza auf die Straße gehen.
Die Debatte darum, ob dies auch an diesem Wochenende richtig oder falsch sei, begleite die britische Politik nahezu die ganze Woche. Eine Seite fürchtete die potenzielle Entehrung des Gedenktages, sollte es zu Chaos kommen – zumal die Pro-Palästina-Demos zuvor immer durch Whitehall und am Kriegsdenkmal vorbeigezogen waren. Andere glaubten, dass gerade der Armistice Day eine besondere Symbolkraft für die Solidaritätsproteste mit Gaza bereithielt.
Obwohl die Marschroute der Demonstration geändert wurde und die Londoner Polizei angab, mit dem bisher größten Polizeiaufgebot an dem Gedenktag im Einsatz zu sein, quengelte vor allem die britische Innenministerin Suella Braverman. Ihr sei all das nicht ausreichend genug, die pro-palästinensischen Demonstrationen bezeichnete sie als Hassmärsche.
Doppelmoral bei der britischen Polizei?
Zu einem Höhepunkt des Streits kam es unter der Woche in der Tageszeitung The Times. Suella Braverman sagte dort, Teile der pro-palästinensischen Demonstrationen erinnere sie an die protestantischen Ulster Gruppen Nordirlands. Den starken und richtigen Einsatz der Polizei gegen Rechtsextremist:innen und Nationalist:innen könne sie bei dem sich „identisch benehmenden pro-palästinensischen Mob“ nicht erkennen. Deren Gesetzesverstöße würden von der Polizei sogar ignoriert, es herrsche eine Doppelmoral. Gegen Fußballfans würde ebenfalls mehr vorgegangen als gegen politische Minderheitsgruppen, welche Lieblinge der Linken seien. Und auch Lockdown-Gegner:innen seien während der Pandemie härter rangenommen worden als etwa Black-Lives-Matter-Protestant:innen. Auf deren Demonstrationen seien Beamt:innen sogar selbst auf die Knie gegangen.
Viele Beobachter:innen glaubten, dass sich Braverman mit diesen Worten aus ihrem Amt katapultieren werde, denn mit Premierminister Sunak und der Downing Street waren die Sätze nicht abgesprochen. Doch Sunak gab sich ungerührt, Braverman genieße weiter sein Vertrauen. Finanzminister Jeremy Hunt gab zumindest zu verstehen, dass er die Worte der Innenministerin so nicht übernehmen würde. Erst eine Woche zuvor hatte Braverman mit der Bemerkung, dass Obdachlosigkeit und das Übernachten in Zelten auf der Straße „ein Lebensstil“ sei, für Aufregung gesorgt.
Mindestens 300.000 Personen aus dem ganzen Land hatten sich schließlich der Pro-Palästina-Demo angeschlossen. Die Proteste blieben überwiegend friedlich, obwohl man durchaus zahlreiche Plakate sichten konnte, die gegen Israels Existenz gerichtet waren, Holocaust und Nazivergleiche schürten, oder behaupteten, dass Israel einen Genozid betreibe.
Eine IS-ähnliche schwarze Fahne mit dem islamischen Glaubensbekenntnis und Verkleidungen, die an Hamaskämpfer erinnerten, wurden ebenfalls gesehen. Eine Gruppe zitierte Sprüche über das Massaker in Khaybar, einer jüdisch besiedelten Oase, im Jahr 628. Weit verbreitet und unüberhörbar wurde am ganzen Tag „From the River to the Sea, Palestine will be free“ skandiert. Der Spruch gilt als Negierung des Existenzrechts Israels.
Die meisten forderten jedoch nur einen Waffenstillstand, für den sie einzig Israel in der Verantwortung sehen. Britischen Politikern gaben die Demonstrant:innen eine Mitschuld an den vielen Opfern in Gaza, sei es aufgrund britischer Waffenlieferungen oder weil diese sich nicht für einen Waffenstillstand einsetzen. Bisher haben die beiden Parteiführer nur eine humanitäre Pause gefordert, da ein Waffenstillstand der Hamas zugutekäme.
Als Wohnungsminister Michael Gove am Samstag auf der Demonstration auftauchte, riefen die Protestierenden ihm „Schande“ entgegen. Gove wurde daraufhin mit einem Polizeidienstwagen in Sicherheit gebracht.
Auseinandersetzungen mit Hooligans
Probleme gab es dann vor allem vonseiten der Fußball-Hooligans, welche sich an verschiedenen Stellen in der Nähe des Cenotaphs und entlang der Marschroute der Demo mit Union- und St. Georgs- Fahnen verschanzten. Sie versuchten, sich der pro-palästinensischen Demo und dem Cenotaph zu nähern. Scotland Yard gab an, dass sie klar Unruhe stiften wollten, viele waren angetrunken, manche mit Schlagwaffen bewaffnet.
Es waren klar Gruppen, von denen Suella Braverman in der Times als härter behandeltes Milieu sprach. Die Hooligans schienen von Bravermans Interview ermutigt worden zu sein. Auch Tommy Robinson, einer der bekannteren Namen im rechtsradikalen Milieu war anwesend. Bei Auseinandersetzungen mit diesen Gruppen in der Nähe des Cenotaphs wurden neun Beamt:innen verletzt.
Am Ende des Tages versuchten sich auch vermummte Gruppen aus der pro-palästinensischen Demo heraus selbständig zu machen. Eine Gruppe von 150 Personen wurde laut der Polizei dabei gestoppt. Insgesamt wurden am Samstag von der Polizei 126 Personen festgenommen, viele davon aus dem rechtsextremen Milieu. Premierminister Sunak verurteilte noch am Samstag die Vorkommnisse.
Die Frage für die kommende Woche bleibt, ob sich Suella Braverman halten kann. Die Labour-Partei wirft ihr vor, verschiedene Gruppen des Landes gegeneinander aufgewiegelt zu haben. Auch der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan sah sie als verantwortlich für den Aufmarsch der rechtsradikalen Gruppen an. Nicht wenige suggerieren, Braverman versuche absichtlich zu provozieren, um sich als potenzielle konservative Parteiführerin der Zukunft einen Namen zu machen.
Von Braverman wird man im Laufe der Woche so oder so mehr hören. Das Supreme Court des Vereinigten Königreichs will am Mittwoch sein Urteil über die Legalität der von Braverman verteidigten Abschiebungen von Flüchtlingen nach Ruanda verkünden.
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