Premier will Präventivschläge erlauben: Japan rüstet unerwartet kräftig auf
Japan begründet seine Hinwendung zu einer eigenständigeren Sicherheitspolitik mit der Aggressivität Chinas – und der Unzuverlässigkeit der USA.
Am letzten Wochenende erklärte Kishida vor 800 Soldaten gar, dass es künftig japanische Präventivschläge auf feindliche Stützpunkte geben könnte. Die dafür nötigen Offensivwaffen besitzt Japan noch nicht, weil die pazifistische Verfassung einen Angriffskrieg verbietet.
Konkret packt Kishida zusätzliche 6 Milliarden Euro in den geplanten Nachtragshaushalt. Mit dem Geld werden Marinepatrouillen-Flugzeuge, Seeminen und andere Waffen früher eingekauft als bislang geplant. Somit wachsen die Verteidigungsausgaben für 2021 um nie erreichte 14 Prozent zum Vorjahr auf den neuen Höchstwert von fast 48 Milliarden Euro. Erstmals übertrifft die Summe die inoffizielle Obergrenze für das Verteidigungsbudget von einem Prozent der Wirtschaftsleistung.
Kishida begründet seine Schritte mit Nordkoreas Raketentests und Chinas Aufrüstung. Japans Sicherheitsumfeld verändere sich mehr denn je, erklärte der Premier. Er steht auch unter dem Druck von Hardlinern wie Sanae Takaichi. Die ultrarechte Politikstrategin der Regierungspartei LDP will das Verteidigungsbudget sogar verdoppeln.
Tokios Richtungswechsel
„Japans Sicherheitspolitik vollzieht einen Richtungswandel“, erklärt der deutsche Japanexperte Sebastian Maslow, der an der Frauenuniversität Sendai lehrt. „Dabei werden die Parameter des Nachkriegspazifismus neu definiert.“ Der frühere Premier Shinzo Abe habe in seinen knapp acht Amtsjahren (2012–2020) die Stärkung der Verteidigungskapazität mit modernen Waffensystemen beschleunigt. Zugleich habe sich Japan stärker in der Allianz mit dem einzigen Partner USA engagiert.
Sebastian Maslow, Japanexperte
Der US-Politologe Hal Brands spricht gar von einer „außenpolitischen Revolution“: Japan könnte der wichtigste US-Verbündete im 21. Jahrhundert werden. Nach dem verlorenen Weltkrieg habe Japan auf eine selbständige Außenpolitik verzichtet und seine Sicherheit an die USA ausgelagert. „Diese Ära des Stillhaltens ist nun vorbei, und der Hauptgrund ist die Bellizität von China, dazu kommen die unzuverlässigen USA“, meint Brands.
Die USA hätten unter Trump Japan durch ihren Austritt aus dem Freihandelsvertrag für Pazifikanrainer (TPP) im Stich gelassen. Peking wiederum fordere die japanische Hoheit über die Senkaku-Inseln (Chinesisch: Diaoyutai) im Ostchinesischen Meer heraus und bedrohe Taiwan an Japans südlicher Flanke.
Der Ärger von Peking entzündete sich zuletzt an Japans überraschend klarer Bereitschaft, die De-facto-Unabhängigkeit von Taiwan zu verteidigen. „Ein Notfall in Taiwan würde als Notfall für die amerikanisch-japanische Allianz angesehen“, beteuerte Expremier Abe im Rahmen einer Konferenz in Taiwan. Zugleich warnte er China vor den Konsequenzen eines Angriffs. „Ein militärisches Abenteuer führt in den wirtschaftlichen Selbstmord“, so Abe, der seit seinem Rücktritt im September 2020 die Strippen in der LDP zieht. Dabei würde auch China wegen der engen Verbindung zur Weltwirtschaft schwer geschädigt werden.
China reagiert verärgert
Daraufhin bestellte am Donnerstag das Außenministerium in Peking den japanischen Botschafter ein. Vizeaußenministerin Hua Chunying wies Abes Aussagen als „brutalen Eingriff“ in Chinas innere Angelegenheiten zurück. Japan sollte die „Entschlossenheit und Stärke des chinesischen Volkes nicht unterschätzen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett