Polizist erschießt psychisch Kranken: Eskalation mit Todesfolge
In Bremen-Gröpelingen wird ein Mann bei einem Polizeieinsatz erschossen. Parteien fordern Aufklärung, die Gewerkschaft der Polizei ruft nach Tasern.
taz |
Der Einsatz fand laut Polizei gegen kurz nach 14 Uhr vermutlich aufgrund einer „psychosozialen Krise“ im Breitenbachhof in Gröpelingen statt. Die Staatsanwaltschaft wurde am Freitag konkreter: Der Marokkaner hatte demnach wenige Tage zuvor eine fristlose Kündigung für seine Wohnung erhalten; diese soll er zuvor mit Wasser mehrfach beschädigt haben.
Der Vorfall begann demnach harmlos: Nach bisherigem Wissensstand habe die Vermieterin für die Besichtigung der Schäden am Donnerstag zwei Polizist*innen als Unterstützung hinzugerufen; der Termin in der Wohnung selbst soll dann reibungslos verlaufen sein.
Zur Eskalation kam es erst danach: Laut Staatsanwaltschaft soll der Mann im Anschluss an die Wohnungsbesichtigung vom sozialpsychiatrischen Dienst untersucht und dafür auf die Wache gebracht werden. Als er sich weigert, rufen die zwei Polizist*innen zwei Kolleg*innen in zivil dazu. Ein Video, das in den sozialen Netzwerken geteilt wird, zeigt, wie die Situation danach eskaliert.
Polizist*innen reden zeitgleich auf den Mann ein
Der 54-Jährige steht in dem Video mit gezücktem Messer auf einem Parkplatz, vier Polizist*innen umringen ihn mit Abstand von geschätzt fünf Metern. Die Stimmen der Polizist*innen klingen laut und aufgeregt, sie sprechen durcheinander. Der Marokkaner spricht mit den Beamt*innen; was er sagt, ist in seinem gebrochenen Deutsch schwer verständlich. „Das bringt nix“, sagt er. Seine Haltung wirkt einigermaßen entspannt, er zieht sein Hemd zurecht, krempelt seine Ärmel hoch, wechselt das Messer in die linke Hand.
Ein paar Schritte macht er auf die Polizist*innen zu, die weichen zurück; seine linke Hand hält dabei weiter das Messer, sie ist nach unten gerichtet. Die rechte, leere Hand, streckt er aus. Die Beamt*innen reden weiter gleichzeitig auf ihn ein. „Wenn du das Messer weglegst, legen wir die Waffen auch ab“, so ein Polizist. „Das Messer! Das Messer!“ ruft währenddessen eine Beamtin – und fordert einen dritten Kollegen zum Einsatz von Pfefferspray auf. Die Situation wirkt stressig.
Die Polizist*innen verteilen sich neu, der 54-Jährige hüpft ein wenig herum, in etwa wie ein Boxer; der Abstand zu den Polizist*innen beträgt erneut etwa fünf Meter. Erst als von rechts ein Polizist das Pfefferspray zückt, sprintet der Mann plötzlich in Richtung des Beamten los. Der weicht zurück; vermutlich, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft, ist er es, der im Anschluss zweimal schießt und den Marokkaner zweimal in den Oberkörper trifft.
Die Pressearbeit der Polizei beschränkt sich für den Vorfall fast ausschließlich auf Twitter. „Sehr betroffen“ zeigte sich Polizeivizepräsident Dirk Fasse zeigt sich dort Polizeivizepräsident Dirk Fasse: „Meine Gedanken sind bei den Angehörigen und bei den Kolleginnen und Kollegen, die dieser belastenden Einsatzsituation ausgesetzt waren.“
Gerade auf Twitter sorgen der Vorfall und das Video auch für große Diskussionen. Die Reaktionen reichen von „Ihr Mörder“ über „das war Notwehr“ bis hin zu rassistischen Beleidigungen gegen das Opfer. Viele äußern ihr Mitgefühl vor allem gegenüber dem Polizisten, der die tödlichen Schüsse abgegeben hat; andere stellen die Frage, ob auch ein Schuss auf die Beine möglich gewesen wäre. Und viel diskutiert wird darüber, ob struktureller Rassismus ursächlich für die Eskalation sei.
Auch zwischen den Regierungskoalitionen wird ein Streit über Twitter ausgetragen: Sofia Leonidakis, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, äußerte sich dort am Donnerstag „entsetzt und fassungslos angesichts der tödlichen Polizeischüsse in Gröpelingen“. Kevin Lenkeit, innenpolitischer Sprecher des Koalitionspartners SPD, antwortete mit einem Tweet: „Es ist traurig, wie du hier auf dem Rücken eines Polizisten und eines Getöteten Stimmung machst. Ich schäme mich für deine unqualifizierten Kommentare. Willkommen in Regierungsverantwortung!“
Gewerkschaft der Polizei fordert Taser
Die Gewerkschaft der Polizei hat den Vorfall derweil zum Anlass genommen, um ihre Forderung nach Tasern zu wiederholen: Wenn man den Vorfall richtig auswerte, um das eigene Vorgehen weiter zu professionalisieren, solle man sich auch Gedanken machen, „inwieweit das Geschehene mit einem Distanzelektroimpulsgerät einen anderen Verlauf hätte nehmen können“, heißt es in einer Mitteilung. Momentan gibt es zu den Elektroschockern einen Modellversuch in Bremerhaven.
Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) will diese Diskussion erst nach Abschluss der Ermittlungen führen. Das sieht auch Lenkeit so, weist aber doch darauf hin, dass er sich mehrfach für eine flächendeckende Ausstattung der Polizeien mit Tasern ausgesprochen habe. Ein Konflikt innerhalb der Regierungskoalition in dieser Frage deutet sich an. Die Linke betont durch ihren Sprecher Tim Ruland: „Auch Taser sind Waffen, die in der Benutzung zu Verletzungen und im schlimmsten Fall zum Tod führen können.“ Zudem bestehe die Gefahr, „dass bei einer Ausrüstung mit Tasern die Hemmschwelle zur Nutzung sinkt.“
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