Polizeiliche Kriminalitätsstatistik 2024: Erfasste Kriminalität sinkt leicht – wohl nur wegen Gras
Die Gesamtzahl der Fälle sinkt dank Cannabislegalisierung, doch die Gewalt steigt. Verdächtig sind immer mehr Kinder und Ausländer.

Veränderungen bei den Delikten
Während die Gesamtzahl der registrierten Fälle sich kaum veränderte, gibt es in einzelnen Kategorien durchaus Unterschiede zwischen 2024 und 2023. Die registrierte Gewaltkriminalität insgesamt nahm um 1,5 Prozent zu, hier wurden rund 217.000 Fälle registriert. Deutlicher ist der Anstieg von rund 9 Prozent bei Fällen von sexualisierter Gewalt wie etwa Vergewaltigungen, Nötigungen und anderen Übergriffen teils mit Todesfolge. Faeser sagte dazu: „Die Schuld liegt immer beim Täter, niemals beim Opfer.“ Sie lobte das kürzlich beschlossene Gewalthilfegesetz, das Betroffenen unter anderem ab 2027 einen Platz im Frauenhaus garantiert.
Um rund 9 Prozent stieg auch die Zahl von Fällen, in denen es um Missbrauchsdarstellungen von Jugendlichen geht. Registrierte Fälle von Bedrohung und Stalking nahmen je um rund 7 Prozent zu.
Massiv gesunken ist dagegen die Zahl der Rauschgiftdelikte. Hier registrierte die Polizei über 100.000 Fälle weniger als noch im Vorjahr, ein Minus von rund 35 Prozent. Die Zahl von Ermittlungen im Zusammenhang mit dem inzwischen teil-legalisierten Cannabis sank gar um mehr als 50 Prozent.
Weiter viele ausländische Tatverdächtige
Bei den ermittelten Tatverdächtigen gibt es kaum Unterschiede zum Vorjahr. Zu den rund 6 Millionen Straftaten wurden letztes Jahr etwa 2 Millionen Tatverdächtige ermittelt, 3 Prozent weniger als 2023. Rund 58 Prozent von ihnen waren Deutsche, 42 Prozent Ausländer*innen, auch bei diesem Verhältnis hat sich im Vergleich zum Vorjahr fast nichts verändert.
Der Anteil der Ausländer*innen ist unter anderem deswegen so hoch, weil in die Statistik auch Delikte einfließen, die nur von Menschen ohne deutschen Pass begangen werden können – etwa Fälle von illegaler Einreise oder illegalem Aufenthalt.
Vergleiche mit der Ausländerquote, die in der Bevölkerung Deutschlands bei rund 15 Prozent liegt, sind also eher irreführend: Ohne ausländerrechtliche Verstöße liegt der Anteil ausländischer Tatverdächtiger nur noch bei rund 35 Prozent, 2023 waren es 34 Prozent. Dabei handelt es sich aber weiter nicht nur um Ausländer*innen, die auch dauerhaft in Deutschland leben. Stattdessen sind auch Tourist*innen, Geschäftsreisende und solche Personen mitgezählt, die nur kurz nach Deutschland einreisen und Verbrechen zu begehen, etwa Drogenschmuggler oder ausländische Hooligans.
Größere Veränderungen gibt es bei den Tatverdächtigen im Unterbereich der Gewaltkriminalität. Hier fällt zum einen auf, dass die Zahl ausländischer Tatverdächtiger mit Plus 8 Prozent deutlich stärker stieg als die Gesamtzahl der Fälle. Ihr Anteil an allen Verdächtigen aus dieser Kategorie liegt damit bei rund 43 Prozent. Mit einem Plus von mehr als 11 Prozent stieg auch die Zahl von Kindern unter den Tatverdächtigen massiv, der Wert für jugendliche Verdächtige stieg um 4 Prozent. Die Behörden konnten im letzten Jahr rund 58 Prozent aller registrierten Straftaten aufklären. Das entspricht fast exakt der Quote von 2023.
Aussagekraft der Zahlen
Bei der Polizeilichen Kriminalstatistik handelt es sich um eine sogenannte Ausgangsstatistik. Es werden also nicht alle Fälle gezählt, die angezeigt werden, sondern nur diejenigen, bei denen die Polizei die Ermittlungen auch abschließt und eine Staatsanwaltschaft übernimmt.
Expert*innen verweisen zudem darauf, dass das Dunkelfeld im Bereich der Kriminalität wohl sehr groß ist. Viele Vorfälle werden nicht angezeigt. Die Professorin Susann Prätor von der Polizei Akademie Niedersachsen sagte dazu bei einer Veranstaltung des Mediendienst Integration: „Das Hellfeld ist nur ein Ausschnitt, der vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung abhängt – und das variiert je nach Deliktart.“
Das bedeutet auch, dass allein steigende Sensibilität und gewachsene Anzeigebereitschaft zu höheren Fallzahlen in der Statistik führen können. Ob dahinter ein tatsächlicher Anstieg der begangenen Taten steht, ist damit nicht gesagt. Dies könnte etwa für den aktuellen Anstieg bei den Fällen sexualisierter Gewalt gelten.
Dass nicht alle Delikte angezeigt werden, ist auch einer der Gründe dafür, dass so viele Ausländer*innen unter den Tatverdächtigen sind. Studien zeigen, dass Menschen, die als nicht-deutsch wahrgenommen werden, doppelt so häufig für Gewalttaten angezeigt werden, wie Personen, die keinen erkennbaren Migrationshintergrund haben.
Gründe für die Entwicklungen
Der Anstieg der Gesamtzahl der erfassten Delikte geht wohl zu einem guten Teil auf die sozioökonomische Lage in Deutschland und die Inflation zurück. Prätor: „Die Bedingungen, unter denen Menschen leben, sind der zentrale Faktor dafür, wie hoch die Kriminalitätsrate unter ihnen ist.“
Zwar sank die Inflationsrate zuletzt wieder deutlich, doch bleiben die Preise weiter hoch, während das Lohnniveau nur langsam hinterherkommt. Wenn das Leben teurer wird, steigt der Anreiz, kriminell zu werden. Auch die psychischen Folgen der Coronapandemie dürften eine Rolle spielen, insbesondere gilt das für Jugendliche und Kinder, die besonders betroffen waren.
Allerdings: Gewaltkriminalität unter Jugendlichen sei auch vor Corona gestiegen, so Prätor. Die „Corona-Delle“ und der anschließende „Nachholeffekt“ suggeriere fälschlicherweise eine dramatische Entwicklung im Zusammenhang mit der Pandemie. Die Grünen-Innenpolitikerin Lamya Kaddor führte die höhere Jugendkriminalität am Mittwoch auch auf „gesellschaftliche Polarisierung und wachsenden Extremismus“ zurück.
Inflation, Wirtschaftliche Lage und Folgen der Corona-Maßnahmen betreffen auch Ausländer*innen. Dass ihr Anteil an den Tatverdächtigen grundsätzlich so hoch ist, hat ebenfalls sozioökonomische Gründe. So leben Ausländer*innen öfter in Städten, wo Kriminalität und Armut insgesamt höher, gleichzeitig Polizeikontrollen aber sehr viel häufiger sind. Prätor dazu: „Wo viel kontrolliert wird, kann auch mehr entdeckt werden.“ Geflüchtete, die einen deutlichen Anteil der Ausländer*innen ausmachen, sind zudem besonders oft jung, männlich oder haben traumatische sowie gewaltvolle Situationen erlebt – weitere Faktoren, die mit einer höheren Chance einhergehen, kriminell zu werden.
Langfristige Trends
Grundsätzlich sind die Zahlen der aktuellen Kriminalstatistik nur begrenzt mit denen aus vergangenen Jahren vergleichbar, wie schon das Beispiel Cannabis zeigt. Die Gesetzeslage ändert sich, genauso wie das Anzeigeverhalten der Bevölkerung oder die Ermittlungsschwerpunkte der Polizei.
Dennoch sind einige Trends ablesbar. Im mittelfristigen Vergleich zeigt sich ein deutlicher Anstieg der Zahlen nach dem Ende der Maßnahmen gegen die Coronapandemie ab 2022. Von 2022 auf 2023 nahm sowohl die Gesamtzahl der Fälle (+5 Prozent) als auch die Gewaltkriminalität zu (+9 Prozent). Insbesondere die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen (+18 Prozent) sowie der Kinder (+12 Prozent) und Jugendlichen (+10 Prozent) nahm damals deutlich zu. Der Anstieg scheint nun zumindest gebremst. Die Gesamtzahl der Fälle hat sich auf einem hohen Plateau eingependelt, das deutlich über dem Niveau der Vor-Corona-Jahre liegt.
Der langfristige Vergleich zeigt aber, dass die Zahl ermittelter Fälle und besonders die Gewaltkriminalität auch schon deutlich höher lag als jetzt. 2007 registrierte die Polizei etwa rund 6,3 Millionen Straftaten, 500.000 mehr als 2024.
Aktualisiert am 02.04.2025 um 12:00 Uhr. d. R.
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